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Kamala Harris kann noch nicht Schritt halten

Von Klaus Huhold

Politik

Die US-Vizepräsidentin erfüllt bisher Erwartungen nicht. Dass diese so hoch sind, ist vielleicht ihr Dilemma.


Sie ist die Nächste, die geht. Symone Sanders verlässt Ende des Jahres das Team von US-Vizepräsidentin Kamala Harris - die 31-jährige Senkrechtstarterin war eine der wichtigsten Beraterinnen der US-Vizepräsidentin.

Symone Sanders hatte zuvor auch schon für Bernie Sanders und Joe Biden gearbeitet. Jen Psaki, die Sprecherin des Weißen Hauses, betonte, dass es ein "natürlicher" Prozess sei, wenn sich einige Mitarbeiter nach diesen intensiven Jahren neuen Aufgaben widmeten und entschieden, mehr zu schlafen und mehr Zeit für Privates zu haben.Damit trat das Weiße Haus Gerüchten entgegen, dass Sanders sich verabschiedet, weil ihr Verhältnis zu Harris kein gutes gewesen wäre.

Trotzdem verstärkt der Abgang den Eindruck, dass Harris sich in ihrem öffentlichen Auftreten und ihrer politischen Positionierung neu aufstellen will und deshalb gerne neue Köpfe in ihrem Team hätte. Vor rund einem Monat hat sich nämlich auch Ashley Etienne, die Kommunikationsdirektorin von Harris, verabschiedet.

Ganz schwache Popularitätswerte

Klar ist, dass Harris etwas ändern muss. Ihre Zustimmungswerte sind schwach - laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der "Los Angeles Times" liegen sie bei lediglich 41 Prozent, während mehr als die Hälfte der US-Amerikaner derzeit eine schlechte Meinung von ihr hat. Darin spiegelt sich freilich auch die Krise der Demokraten wider. Diese mussten erst kürzlich bei der Gouverneurswahl von Virginia eine empfindliche Niederlage gegen die Republikaner einstecken und verlieren in den Umfragen an Boden. Als Hauptgrund dafür werden parteiinterne Streitigkeiten der Demokraten angesehen, die fast verhindert hätten, dass Präsident Joe Biden das Herzstück seiner Administration, das milliardenschwere Infrastrukturprojekt, durch den Kongress bringt.

Es bleibt aber die Frage, wie sehr es an Harris selbst liegt, dass sie derzeit so schlecht abschneidet. Dazu haben sich zuletzt unzählige zumeist anonyme Quellen - Mitarbeiter des Weißen Hauses, demokratische Politiker oder auch Spender der Partei - in US-Medien zu Wort gemeldet und zwei verschiedene Antworten gegeben.

Die erste lautet: Harris trägt großteils selbst die Schuld an ihrer Krise. Sie ist demnach überfordert in den Politikfeldern, die Biden ihr zugeordnet hat und die doch zu ihr, der Tochter von Einwanderern, passen würden. Weder in der Wahlrechtsreform, durch die verhindert werden soll, dass Minderheiten ihr Stimmrecht genommen wird, noch in der Migrationspolitik sei viel weitergegangen. Vielmehr habe Harris ihre öffentlichen Auftritte versemmelt, als sie etwa bei einem Interview im Fernsehsender NBC bei heiklen Fragen ins Stammeln kam. Darüber hinaus würde ihr Team nicht professionell genug arbeiten, was auch daran liege, dass Harris dieses nicht sonderlich gut führen könne.

Die zweite Antwort lautet: Die Partei und der Präsident wären für die Misere der Kalifornierin hauptverantwortlich. Bei der Wahlrechtsreform bekäme die einstige Staatsanwältin viel zu wenig Unterstützung und mit der Migrationspolitik habe man ihr eine äußerst undankbare Aufgabe zugeschanzt. Für die Republikaner wurde sie damit zum Gesicht einer zu laschen Einwanderungspolitik, für viele progressive Demokraten wiederum fährt sie einen viel zu harten Kurs - etwa, wenn sie nach Guatemala reist und dort potenzielle Migranten auffordert, nicht in die USA zu kommen.

Undankbarer Job in der zweiten Reihe

Generell würde, so argumentieren die Harris-Verteidiger, die Partei ihr viel zu wenig zu Hilfe kommen, wenn sie heftigen Angriffen der Republikaner oder auch anderen rassistischen und sexistischen Schmähungen in den sozialen Medien ausgesetzt ist. Ganz anders sei das bei Pete Buttigieg gewesen. Als der offen homosexuelle Verkehrsminister mit seinem Partner Zwillinge adoptierte, nahm er sich einen Monat Vaterschaftsurlaub und geriet daher ins Kreuzfeuer konservativer Kommentatoren. Das Weiße Haus verteidigte Buttigieg vehement.

Das brachte den Demokraten eine Identitätsdebatte ein, weil Harris-Anhänger die Frage stellten, warum der weiße Mann Buttigieg viel mehr verteidigt wird als Harris, die erste Vizepräsidentin mit afroamerikanischen Wurzeln.

Vielleicht liegt das Dilemma von Harris aber in den viel zu hohen Erwartungen, die in sie gesetzt wurden - und die wiederum mit ihrer Herkunft zusammenhängen. "Die Leute erwarten von ihrer historischen Vizepräsidentin, dass sie jeden Tag Geschichte schreibt, während sie selbst die Pflichten einer Zweitgereihten erfüllen will", kommentiert CNN.

Tatsächlich kann der Job der Vizepräsidentin ein sehr undankbarer sein. Harris hat zwar ein eigenes Team um sich. Dieses muss sich aber ständig mit der Mannschaft um Biden abstimmen, die auch das letzte Wort hat. Auch Harris selbst muss oft Biden einfach unterstützen, seine Agenda durchzubekommen, ohne dass dabei für sie selbst Glanz abfällt. Das ist der Fall, wenn sie hinter verschlossen Türen Gespräche führt, um Abgeordnete von Bidens Infrastrukturprojekt zu überzeugen.

Niemand weiß das besser als Biden selbst, der acht Jahre als Vize von Obama gedient hat und nun Harris - so wie es Obama bei ihm gehandhabt hat - mindestens einmal die Woche zum Mittagessen trifft. Bei der Präsentation des Infrastrukturpakets würdigte Biden die Arbeit seiner Stellvertreterin. "Ich musste früher hier stehen und dem Präsidenten zuhören. Jetzt muss sie hier stehen und dem Präsidenten zuhören. Aber sie verdient jede Menge Anerkennung", sagte er.

Kongresswahlen werden ein Härtetest

Dass er Harris aber als seine Nachfolgerin aufbauen will, ist noch lange nicht gesagt. Biden ist zwar bereits 79 Jahr alt und sieht sich selbst als Übergangspräsidenten, bis eine neue Generation das Ruder übernimmt. Trotzdem hat er angekündigt, bei der nächsten Wahl in drei Jahren wieder antreten zu wollen.

Fraglich bleibt aber, ob er das tatsächlich macht. Und Harris ist selbst auch erst ein Jahr im Amt. Noch kann sie sich ein Tief leisten. Doch die Kongresswahlen in einem Jahr werden wie für die gesamte Demokratische Partei für Harris ein Härtetest werden, bei dem sie mit den in sie gesetzten Erwartungen Schritt halten muss. Und sollte Harris ihre Vizepräsidentschaft tatsächlich als Sprungbrett für das höchste Amt ansehen, muss sie massiv an Popularität zulegen. Dabei steht sie vor der Herausforderung, ein stärkeres eigenes Profil gewinnen zu müssen, ohne den Eindruck zu erwecken, Biden die Show stehlen zu wollen.

Wobei: Für 85 Minuten war Harris schon als erste Frau US-Präsidentin. Weil Biden Mitte November bei einer Darmspiegelung unter Vollnarkose stand, hatte er ihr für diesen Zeitraum die Amtsgeschäfte übergeben.