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Kindheit und Jugend "am anderen Ende der Welt"

Von Alexander Brüggemann und Burkhard Jürgens

Politik

Das Familienleben ist Jorge Mario Bergoglio ein Anliegen und eine nie versiegende Quelle für seine Bildersprache.


Vatikan/Buenos Aires. Papst Franziskus ist ein Familienmensch. Das zeigt sich beim 85-jährigen Pontifex auch in vielen seiner Predigten und Ansprachen. Immer wieder zitiert er etwa Lebensweisheiten seiner Großmutter. Rosa Margherita Bergoglio muss eine couragierte Frau gewesen sein: In der Kirche ihres norditalienischen Heimatdorfs stieg sie einmal auf die Kanzel, um Benito Mussolini den Marsch zu blasen. Angeblich war das ein Grund für die Auswanderung nach Argentinien.

Die Großmutter war es auch, die ihren Enkeln den alten piemontesischen Dialekt weitergab. Und Oma Rosa lehrte den heutigen Papst das Beten: "Sie hat mir viel beigebracht in Glaubensdingen." Noch heute, so heißt es, habe er einen Zettel von ihr im Gebetbuch, ein geistliches Testament an die Enkel.

Sie sind wie eine katholische Bilderbuchfamilie: Die Eltern, Jose Mario Francisco Bergoglio und Regina Maria Sivori, lernen sich jung kennen, in der Kirche. Zwar hat die Weltwirtschaftskrise das tapfer erworbene Vermögen der neuargentinischen Bergoglio-Brüder aufgefressen. Doch schon nach einem Jahr heiraten Jose und Regina im Dezember 1935; sie bekommen fünf Kinder; Jorge ist der Älteste.

Die Mutter ist eine begnadete Köchin; von der Schwiegermutter erbt sie das Geheimnis hausgemachter Pasta. Den Vater Jose, Buchhalter bei der Eisenbahn, beschreiben Papstbiografen als liebevolles Familienoberhaupt. Den Sonntag begehen Eltern und Kinder mit Messbesuch und großem Mittagessen. Allerdings bringt der Vater manchmal Bürokram mit nach Hause - für Franziskus nach eigenen Worten ein Grund für seine Abneigung gegen Wirtschaftsthemen.

Bis heute lässt Franziskus nichts auf seine Mutter kommen. Eine seiner vielen Schlagzeilen machte er 2015 mit dem Satz: "Wer meine Mutter beleidigt, erwartet einen Faustschlag." Anlass der kernigen Aussage waren der islamistische Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" in Paris und die anschließende Diskussion über Gewaltbereitschaft und Gewaltverzicht.

Lesen, Religion- und Fußball

Zwar vom "anderen Ende der Welt", wie sich Bergoglio selbst unmittelbar nach seiner Papstwahl beschrieb, war er doch ein ziemlich normaler Junge, wie es scheint. Als Zwölfjähriger schrieb Jorge einem Nachbarsmädchen, Amalia, einen wohl altersgemäßen Liebesbrief: Er werde ihr ein Haus kaufen - das er Amalias Überlieferung zufolge auch zeichnete. Ihre Eltern schritten freilich ein; aus dem Immobilien-Deal wurde nichts. Auch eine viel spätere feminine Schwärmerei von ferne - schon während seines Noviziats bei den Jesuiten - konnte den Bergoglio-Biografen zufolge nichts mehr an seiner Entscheidung zum Priestertum ändern.

Ansonsten hatte der kleine Jorge vor allem drei Dinge im Kopf: Lesen, Religion - und Fußball. Grundstein für seine unverbrüchliche Liebe zu Atletico San Lorenzo de Almagro, dem Club seines Stadtteils Flores, waren Lorenzos Meisterjahr 1946 und ein familiärer Stadionbesuch. Das Straßenkicken lernte der spätere Theologe an der Membrillar Nummer 531, vor seinem Geburtshaus.

Der Musiker Mario Valdez, der 1948 gemeinsam mit Jorge die fünfte Klasse besuchte, erzählte einmal: "Da an der Ecke, wo heute ein kleiner Spielplatz ist, hat der Papst als kleiner Junge jeden Nachmittag gekickt." Ein weiterer Schulfreund, Nestor Carabajo, behauptet, der kleine Jorge sei kein begnadeter Techniker gewesen, aber dafür ein großer Taktiker: Er habe das Team aufgestellt und die Richtung vorgegeben.

Jorges jüngste Schwester, die heute 74-jährige Maria Elena Bergoglio, ergänzte eine weitere Leidenschaft. Ihr Bruder sei als junger Mann schon immer gern am Herd gestanden: "Er ist ein großer Koch" - allerdings mit schwacher Lunge. Im 21. Lebensjahr, kurz vor der Priesterweihe, hätte eine Lungenentzündung den Papst fast das Leben gekostet. Die Solidarität seiner Mitseminaristen und die Entfernung eines Teils der Lunge brachten Jorge Mario Bergoglio durch - und am Ende an die Spitze der katholischen Kirche und die Schwelle zum Jahr 2022.(kathpress)