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Vor der fünften Corona-Welle

Von WZ-Korrespondentin Agnes Fazekas

Politik

Die Konsequenzen der Omikron-Variante werden in Israel frühzeitig sichtbar sein. Premier Bennett ruft zum Impfen auf.


Als sich Israels Regierungschef Naftali Bennett Ende November in einen Atomschutzbunker unterhalb Jerusalems zurückzog, ging es nicht um den Konflikt mit dem Iran. Stattdessen simulierte der Premier mit Beratern unter der Erde eine andere Katastrophe: die fünfte Corona-Welle. Besonders gravierend sollte diese Krise sein; das Virus war zu einem impfresistenten Supervirus mutiert, das auch bei Kleinkindern schwere Erkrankungen verursacht. Für das Szenario wurde die Welle "Omega" getauft. Die Realität hat Israel mittlerweile eingeholt, weltweit wird über die Gefahr der Variante Omikron geforscht - dem kleinem o im griechischen Alphabet, im Gegensatz zum großen bei Omega.

Nur wenige Tage nach der Bunker-Übung wurde auch in Israel die Omikron-Variante des Coronavirus identifiziert. Bevor die Mutante getauft war, rief Bennett schon den nationalen Notstand aus. 50 afrikanische Nationen wurden sofort auf eine Verbotsliste gesetzt, Israelis wurde die Ausreise in jene Länder untersagt. Mit dieser Maßnahme habe sich Israel "kostbare Zeit erkauft", erklärte Bennett. Viele europäische Staaten seien bereits "im Lockdown oder auf dem Weg dorthin".

Erster Omikron-Toter in Israel

Wieder galt Israel als Vorreiter, wie bereits bei der Impfung der Bevölkerung. Deutlich schneller als in Europa erhielten die Bürger ihre Dosen. Dank der Kooperation mit dem Pharmariesen Pfizer gab es auch nie Lieferschwierigkeiten. So zeigte der Blick gen Nahost aber auch, dass die Wirkung der Impfung schneller nachlässt als erhofft. Nur noch 59 Prozent der 9,4 Millionen Israelis gelten als vollständig geimpft, also zweifach geimpft bis zu sechs Monate nach der Zweitimpfung oder mit Booster-Impfung.

Klar wurde ebenfalls dank des Studiums der Daten aus Israel, dass der Booster der Delta-Welle Einhalt gebietet. Israel hatte damit schon im August begonnen - und die vierte Welle ohne Lockdown überstanden. Während sich die europäischen Regierungen noch bemühen, ihre Länder so unbeschadet wie möglich durch die vierte Welle zu bringen, stimmt Bennett die Israelis bereits auf die fünfte Welle ein: "Die Welle kommt", sagte er Ende vergangenen Woche. Jede Familie müsse sich vorbereiten, bat Bennett und rief zu Booster-Impfungen und Impfungen von Kindern auf.

Zwar lag die Zahl der schweren Covid-Fälle Anfang dieser Woche erst bei 81 und ist in den vergangenen Tagen relativ stabil geblieben. Aber bereits bei 175 Israelis ist eine Infektion mit der Omikron-Variante nachgewiesen worden. Dazu kommen 380 Verdachtsfälle. Nun wurde in Israel sogar der erste Omikron-Todesfall gemeldet: In einem Spital in Beersheva ist am Montag ein doppelt geimpfter Mann zwischen 60 und 70 Jahren mit der neuartigen Variante gestorben. Er hatte allerdings verschiedene Vorerkrankungen, auf die sein Tod hauptsächlich zurückzuführen sei, hieß es, "und nicht auf die Atemwegsinfektion durch das Coronavirus".

Vierte Impfung für Ältere?

Die vor drei Wochen verhängten Einreisebeschränkungen seien jedenfalls nicht ausreichend, erklärte der Premier. Zu Beginn dieser Woche hat Israel seine Liste der "roten" Länder erweitert, darunter die USA, Kanada und mehrere EU-Staaten wie Deutschland und Italien. Reisen dorthin sind ausdrücklich untersagt, es sei denn, es liegt eine Genehmigung durch ein spezielles Gremium vor. Von den knapp 6.000 neuen Coronavirus-Infektionen in der vergangenen Woche waren rund 15 Prozent aus dem Ausland zurückzuführen.

So souverän Israels Handhabung der Pandemie für andere Regierungen aussieht - auch der damalige Kanzler Alexander Schallenberg holte Ende November telefonischen Rat beim Amtskollegen ein -, in Israel muss sich der Regierungschef das Vertrauen der Bürger hart erarbeiten. Bennetts nationalreligiöse Jamina-Partei verfügt nur über sieben der insgesamt 61 Parlamentssitze.

Ehefrau Gilat Bennett wollte partout nicht auf ihren Urlaub mit den vier Kindern verzichten. Immerhin wurde dieser nun von Mauritius auf ein weniger verfängliches, anonymes Ziel umgebucht. Aber es klang plötzlich schal, dass Bennett einst appellierte: "Ich empfehle, im Moment nicht ins Ausland zu fliegen. Die Regierung und die Bürger müssen nun Verantwortung zeigen und vorsichtig sein."

Endlich Transparenz und Glaubwürdigkeit war die Devise der neuen Regierung. Von Scheinheiligkeit, Korruption und Eigennutz haben die Israelis nach den zwölf Jahren unter Benjamin Netanjahu genug. Doch die lauernde Opposition wartet nur auf Zwist in der "Regierung des Wandels". Diese besteht aus sieben Parteien und wird von der arabischen Ra’am gestützt, die aber kein Regierungsmitglied stellt. Das ideologisch extrem breit gefächerte Bündnis eint in erster Linie die Abneigung gegenüber Netanjahu. Nun muss die Koalition gesundheitspolitisch liefern.

Ob und wie schnell sich die Wirksamkeit des Boosters verflüchtigt und ob die Sorge vor Omikron berechtigt ist, wird die Welt mit dem Blick nach Israel vermutlich bald wissen. Auch seiner Rolle als Testlabor wird das kleine Land im Nahen Osten wieder gerecht: Ein israelisches Krankenhaus wird in den kommenden Tagen eine klinische Studie starten, um die Wirksamkeit eines vierten Boosters zu testen. Als Probanden dienen 150 Mitarbeiter des medizinischen Personals, von dem seit Beginn der Impfungen serologische Testdaten gesammelt wurden. Um sich für die Studie zu qualifizieren, müssen die Teilnehmer bis zum 20. August ihre dritte Impfung erhalten haben und über einen bestimmten Antikörperspiegel verfügen. Gesundheitsminister Nitzan Horowitz sagte, dass das Beratungsgremium diese Woche erörtern werde, ob es ratsam sei, in naher Zukunft älteren Israelis die bereits vierte Impfung zu geben.

In der Öffentlichkeit sieht es dagegen nicht viel anders aus als im November. Wer nicht fliegen muss, schert sich recht wenig um dieses Virus. Immerhin gibt es derzeit andere unangenehme Dinge. Sturm Carmel wütet über Israel. Der beschert dem Mount Hermon im Norden ersten Schnee und den Asphaltwüsten Tel Avivs überschwemmte Straßen und tropfende Wohnzimmerdecken.