Es war die "Stunde der Wahrheit", die da am Mittwoch zwischen der Nato und Russland in Brüssel anstand. Jedenfalls wenn man dem russischen Vizeaußenminister Alexander Gruschko glaubt, der diese Formulierung im Vorfeld der mittwöchigen Sitzung des Nato-Russland-Rates benutzte - der ersten seit 2019.

Gruschko wusste, wovon er sprach: Der stellvertretende Chefdiplomat seines Landes war früher russischer Botschafter bei der Nato. Zwischen Russland und dem Westen herrscht dicke Luft. Moskau hat an die 100.000 Soldaten an seinen Grenzen zur Ukraine stationiert, ein möglicher Krieg gegen das Land steht im Raum. Der Kreml will unter allen Umständen einen Beitritt Kiews zum westlichen Bündnis verhindern. Nato-Truppen im südwestlichen Nachbarland würden in Moskau Erinnerungen an die dramatischen Jahre des Zweiten Weltkrieges wachrufen. Die Ukraine wäre auch geografisch ein ideales Aufmarschgebiet gegen Russland, wo man in Großmachtkategorien denkt.

Der Kreml will daher auch einer vertieften militärischen Zusammenarbeit der Ukraine mit dem Westen einen Riegel vorschieben: Man hat eine ganze Reihe an Forderungen aufgestellt, die im Grunde darauf hinauslaufen, dass sich der Westen aus dem postsowjetischen Raum heraushalten möge - abgesehen von den ehemals sowjetischen baltischen Staaten, die bereits voll in EU und Nato integriert sind.

Im Westen hingegen verweist man auf die Souveränität der Ukraine und wertet die Forderungen des Kremls als ein längst überwunden geglaubtes Denken in Einflusssphären. Die US-Botschafterin bei der Nato, Julianne Smith, sagte am Dienstag, es gebe unter den Nato-Mitgliedern absolute Einigkeit darüber, nicht über die "Politik der offenen Türe" des Militärbündnisses zu diskutieren.

Ein Nato-Beitritt der Ukraine ist also prinzipiell möglich - auch wenn die Ukraine im Moment nicht die Kriterien dafür erfüllt. In Kiew sieht man in einem Nato-Beitritt den effektivsten Schutz vor Moskauer Machtansprüchen und die einzig haltbare Sicherheitsgarantie.

Angesichts all der negativen Signale im Vorfeld war es überraschend, dass die Gespräche am Mittwoch in vergleichsweise entspannter Atmosphäre begannen: Gruschko und der stellvertretende russische Verteidigungsminister Alexander Fomin wurden vor der Sitzung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg begrüßt und in den Sitzungssaal begleitet, wo die russischen Vertreter jene der 30 Nato-Staaten Corona-konform mit der Faust begrüßten. Beide Seiten betonten, dass das Treffen wichtig sei. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte im Vorfeld, dass Russland keine Ultimaten stelle und nicht aus einer Position der Stärke verhandle. Man benötige einfach nur konkrete Antworten auf seine Sicherheitsbedenken.

Solche konnte Stoltenberg der russischen Seite am Mittwoch natürlich noch keine geben. "Es war keine einfache Diskussion", sagte der Nato-Generalsekretär nach den Gesprächen am Mittwochnachmittag. Die Differenzen, die man habe, seien nur schwer zu überbrücken. Dennoch wertete er das Treffen als "sehr nützlich".

Geringe Erwartungen

In der Sache blieb Stoltenberg aber hart: Er bekräftigte, dass ein möglicher Nato-Beitritt der Ukraine allein eine Sache zwischen Kiew und den restlichen Nato-Staaten sei. Russland habe dabei kein Mitspracherecht. Vielmehr müsse der Kreml dafür sorgen, dass sich die Lage an der Grenze zur Ukraine entspannt. Auch sonst zeigte sich Stoltenberg Moskau gegenüber angriffslustig und wiederholte bekannte Vorwürfe.

Die Erwartungen an das Treffen waren von vornherein gering gewesen. Schon sein erstmaliges Zustandekommen seit 2019 wurde als Erfolg gewertet. Es sei wichtig, im Dialog zu bleiben, betonte Stoltenberg.(leg/reuters)