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Assads Schergen in Ketten

Von Michael Schmölzer

Politik

Bahnbrechendes Urteil in Deutschland: Ex-Chef eines syrischen Foltergefängnisses zu lebenslanger Haft verurteilt.


Gefoltert wurde in syrischen Gefängnissen schon vor Ausbruch des Bürgerkrieges 2011. Ab diesem Zeitpunkt nahmen die Quälereien allerdings eine fast unvorstellbare Dimension an. Schätzungen gehen davon aus, dass 60.000 Syrer an den systematischen Folterungen in den berüchtigten Geheimgefängnissen des Regimes gestorben sind. Viele verschwanden ganz einfach; ihr Schicksal bleibt für immer ungewiss.

Jetzt wurde im weltweit ersten Prozess um Staatsfolter in Syrien der Angeklagte Anwar Raslan zu lebenslanger Haft verurteilt. Die deutschen Richter in Koblenz sprachen den 58-Jährigen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 27-fachen Mordes, Folter und weiterer Delikte schuldig. Er war laut Anklage früher Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes und soll die Al-Khatib-Haftanstalt in Damaskus geleitet haben.

Für Menschenrechtler und Juristen ist das Urteil bahnbrechend. Es handle sich um ein "historisches Signal im weltweiten Kampf gegen die Straflosigkeit", befand der Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Markus N. Beeko. Für die Opfer ist mit dem Schuldspruch auch das syrische Regime unter Präsident Bashar al-Assad verurteilt worden. Sie hoffen, dass der Diktator einst selbst zur Verantwortung gezogen wird.

Ehemalige Häftlinge erkennen ihre Peiniger

Das Bild, das die UNO und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International von den Zuständen in den berüchtigten syrischen Geheimgefängnissen zeichnen, ist erschütternd. Die, die aus Assads Haftanstalten entkommen konnten, berichten demnach von Schlägen, Elektroschocks, manchen wurden die Fingernägel ausgerissen. Überlebende sagen, dass Häftlinge von Panzern überrollt wurden, die Mitgefangenen hätten die Leichen aufsammeln und in anstaltseigene Krematorien bringen müssen. Die Gefangenen würden unbekleidet an den Händen aufgehängt, zu essen gebe es kaum etwas.

Ziel des Regimes unter Diktator Assad ist es immer noch, jeden Widerstand zu brechen. In vielen Gefängnissen werden von den Bewachern Schmiergelder von den Angehörigen verlangt, um Besuchsrechte oder ein Lebenszeichen zu erhalten.

Die Häftlinge werden von den Polizeistationen, von der Straße oder direkt von zu Hause per Laster und mit verbundenen Augen in die Gefängnisse gebracht und von den Wärtern von der ersten Minute an geprügelt. Dort herrscht ein permanentes Klima der Angst, die Gefangenen sind dem Sadismus der Wärter schutzlos ausgeliefert. Sie dürfen nicht miteinander reden und den Aufsehern nicht direkt in die Augen sehen. Es gibt Berichte, wonach die Häftlinge einen "Sprecher" bestimmen müssen, der dann jemanden aus der Gruppe für Prügel und Folter auswählen muss. Weigert er sich, wird er selbst misshandelt. Sexualisierte Gewalt ist an der Tagesordnung, die Gefangenen müssen ihre Essensrationen direkt vom Boden essen und tagelang nasse Kleidung tragen. Im Winter sind die Zellen ungeheizt, Krankheit und Infektionen sind weit verbreitet, medizinische Hilfe gibt es so gut wie keine.

Für die UNO ist laut Bericht klar, dass sich die syrische Regierung der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hat. Aber: Nicht nur das Regime, auch die syrischen Rebellen und die von Kurden angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte wenden gegenüber ihren Gefangenen unmenschliche Methoden an.

Die, die dem Horror entkommen sind, entschließen sich oft zur Flucht aus Syrien und suchen am häufigsten in Deutschland Schutz. Nicht nur die Opfer, auch die Täter flüchten nach Europa. Ehemalige syrische Häftlinge erkennen bei zufälligen Begegnungen oder via Facebook ihre Peiniger wieder und erstatten Anzeige.

So war es auch im Fall des jetzt zu Ende gegangenen Prozesses in Koblenz. In der Haftanstalt Al-Khatib sollen unter der Befehlsgewalt des nun Verurteilten zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4.000 Häftlinge gefoltert worden sein, viele starben an den Folgen. In dem im April 2020 gestarteten Verfahren war auch ein zweiter Mann angeklagt, der als Untergebener an den Folterungen beteiligt war. Ihn verurteilte das Gericht bereits vor einem Jahr in einem eigenen Verfahren wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht rechtskräftig zu viereinhalb Jahren Haft.

Pionierarbeit für weltweite Aufarbeitung

Dass der Prozess in Deutschland stattfinden konnte, liegt am sogenannten Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Demnach dürfen auch Taten verhandelt werden, die keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland haben. Zudem soll ein 2016 eingerichteter "internationaler Mechanismus" der Vereinten Nationen die Ermittlungen zu schweren Vergehen in Syrien erleichtern. Er sammelt Beweise, um eventuell später Verantwortliche vor Gericht stellen zu können.

Das European Centre for Constitutional and Human Rights erklärte, der Koblenzer Staatsfolter-Prozess habe gezeigt, was die internationale Strafjustiz "bei allen Defiziten" leisten könne. Das Urteil schaffe eine "solide Basis" für andere Strafverfolger. Deutschlands Justizminister Marco Buschmann bezeichnete das Gerichtsurteil als Vorbild für die Strafverfolgung auch in anderen Staaten. Die "Pionierarbeit" des Koblenzer Gerichts verdiene es, weltweit wahrgenommen zu werden.

Österreich soll sich hier übrigens nicht mit Ruhm bekleckert haben. Laut "Kurier" hat das BVT 2015 einen syrischen General, der unter Verdacht steht, Kriegsverbrechen begangen zu haben, auf Wunsch des Mossad nach Österreich geschleust. Wo der Syrer drei Jahre unbehelligt leben konnte, bevor er untertauchte.