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Gefangen in der Null-Covid-Politik

Von Ronald Schönhuber

Politik

Das Virus vermiest den Chinesen das dritte Neujahrsfest. Ein Ausstieg aus den strikten Maßnahmen ist aber schwierig.


Pan Lei versucht, das Beste daraus zu machen. Statt der üblichen Reise zu seinen Schwiegereltern in Guangzhou hat der Angestellte aus Peking diesmal ein schickes Boutique-Hotel in den Bergen westlich der chinesischen Hauptstadt gebucht. Das kostet mit 5.000 Yuan - umgerechnet 700 Euro - derzeit zwar deutlich mehr als die 2.000 Yuan, die normalerweise verlangt werden, aber eine wirkliche Wahl hat Pan nicht. "Alle Hotels rund um Peking sind in der Ferien teuer", sagt der 47-Jährige gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. "Aber es ist Neujahr und ich will, dass die Familie zusammen etwas Schönes unternimmt."

Hotels und Restaurants in den großen Städten und deren Umland zählen derzeit zu den Gewinnern in China. Denn angesichts der wegen der Omikron-Variante noch immer strengen Reisebeschränkungen und der jederzeit drohenden Lockdowns haben sich viele Chinesen heuer dazu entschieden zum wichtigsten Fest des Jahres nicht zu Eltern und Verwandten in ihrer Heimatregion zu fahren, sondern bestenfalls einen Kurzurlaub in der Nähe zu machen. So gibt es in diesem Jahr mit geschätzt 1,18 Milliarden Reisebewegungen in der fünfwöchigen Saison um die Feiertage zwar einen Zuwachs von 35 Prozent gegenüber 2021. Verglichen mit dem letzten Vor-Corona-Jahr, 2019, als das chinesische Transportministerium noch schier unglaubliche drei Milliarden Reisen verzeichnete, ist der Einbruch aber offensichtlich.

Erhöhte Alarmbereitschaft

Es ist mittlerweile das dritte Neujahrsfest, bei dem das Coronavirus den Chinesen einen Strich durch die Rechnung macht. Die ersten Infektionen waren im Dezember 2019 in der zentralchinesischen Metropole Wuhan entdeckt worden. Nach einem als unzureichend kritisierten Umgang mit der neuen Atemwegserkrankung griff China Ende Jänner 2020 hart durch und riegelte mehr als 50 Millionen Menschen in Wuhan und umliegenden Städten von der Außenwelt ab.

Mit Ausgangssperren, Massentests, Quarantäne, Kontaktverfolgung und strikten Einreisebeschränkungen hat das bevölkerungsreichste Land das Virus seit dem Frühsommer 2020 weitgehend unter Kontrolle gebracht. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen blieb dank der auch in den entlegensten Gegenden durchgepeitschten Null-Covid-Politik zumeist im niedrigen zweistelligen Bereich, das Leben normalisierte sich in vielerlei Hinsicht.

Doch von einer grundsätzlichen Entspannung kann auch im Jahr des Tigers, das laut dem chinesischen Mondkalender in der Nacht auf Dienstag begonnen hat, keine Rede sein. Denn die Sorge vor der hochinfektiösen Omikron-Variante hat die Alarmbereitschaft der Behörden so kurz vor dem Beginn der Olympischen Spiele in Peking noch einmal verschärft. In der Hauptstadt, wo am Wochenende gerade einmal drei Corona-Fälle verzeichnet wurden, sind momentan mehrere Wohnsiedlungen mit zehntausenden Menschen vollständig abgeriegelt.

Dass selbst beim geringsten Verdacht rigorose Maßnahmen verhängt werden, drückt auch auf das Wirtschaftswachstum. Fabriken müssen kurzfristig schließen, Lieferketten werden ohne Vorwarnung unterbrochen. Kristalina Georgieva, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, rief die Regierung in Peking Mitte Jänner sogar schon dazu auf, ihren Ansatz zu überdenken. Die Null-Covid-Strategie sei nicht nur eine Belastung für die chinesische Wirtschaft, sondern auch für die Konjunkturerholung in den anderen Ländern.

Geringerer Impfschutz

Doch derzeit hat die Volksrepublik nach der Einschätzung vieler chinesischer Experten gar keine andere Wahl, als weiterhin auf einen extrem strikten Kurs zu setzen. Denn im Vergleich zu westlichen Ländern verfügt China nach wie vor über ein schwach ausgebautes Gesundheitssystem. So kommen in der Volksrepublik 3,3 Krankenschwester auf tausend Einwohner, in den USA sind es rund neun. Ähnlich ist das Verhältnis auch bei der Zahl der Ärzte oder der medizinischen Einrichtungen.

Gleichzeitig kann sich China nur bedingt auf den Schutz durch die bisher verabreichten Impfungen verlassen. So zeigen Studien, dass die in China produzierten Vakzine nur begrenzt gegen die neue Omikron-Variante wirken. Alternativen gibt es allerdings keine, weil es die Regierung bisher abgelehnt hat, westliche Impfstoff zu importieren. Und der chinesische mRNA-Impfstoff wurde zwar schon oft angekündigt und versprochen, die tatsächliche Markteinführung ist aber noch nicht in Sicht. "Chinas medizinische Standards und Ressourcen sind nicht so gut wie die der USA oder Großbritanniens", sagte Wu Zunyou, der Chef-Epidemiologe am Chinesischen Zentrum für Seuchenkontrolle- und Prävention vor kurzem in einem Interview. "Aber dafür sind die chinesischen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus viel, viel besser."

Einige Analysten halten es daher sogar für möglich, dass China langfristig sogar gestärkt aus der Krise hervorgeht. Denn die chinesische Wirtschaft hat sich trotz der Einbußen beim Wirtschaftswachstum als erstaunlich resilient erwiesen. Mit einem BIP-Zuwachs von 8,1 Prozent gegenüber dem Jahr 2020 hat die Konjunkturentwicklung zuletzt alle Erwartungen der Ökonomen klar übertroffen. Dass es vielen Chinesen derzeit gut geht, zeigen auch die Hotelbuchungen. Denn nicht nur Pan Lei aus Peking hat sich diesmal ein teueres Hotel geleistet, sondern auch viele andere. Laut der Buchungsplattform Qunar.com ist ein Zimmer derzeit umso schneller ausgebucht, je teurer es ist.