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USA töten Anführer des neu erstarkten IS

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Dschihadisten haben sich in Syrien neu formiert und attackierten Haftanstalt. Washington schlägt jetzt zurück.


Der IS in Syrien war schon besiegt geglaubt, doch zuletzt hat er sich mit voller Wucht zurückgemeldet. Vor einigen Tagen stürmten Kämpfer des "Islamischen Staates" die Haftanstalt Sina im nordostsyrischen Hassaka, während drinnen ein Aufstand losbrach. Es ging um die Befreiung der einsitzenden Häftlinge, die Kämpfe mit kurdischen Sicherheitskräften tobten tagelang, es gab 330 Tote.

Am Donnerstag schlugen dann die USA zu: Bei einem Einsatz von Spezialkräften im Nordwesten Syriens wurde nach Angaben des Weißen Hauses der Anführer des IS getötet. Er soll Drahtzieher des Anschlags auf das Gefängnis gewesen sein. US-Präsident Joe Biden erklärte, er selbst habe den Einsatz gegen Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi angeordnet.

Biden, der auch Oberkommandierender der US-Streitkräfte ist, erklärte, alle Soldaten seien sicher von dem Einsatz zurückgekehrt. Dank der Fähigkeiten und des Mutes des US-Militärs sei der IS-Anführer "vom Schlachtfeld genommen" worden. Das Vorgehen habe "die Welt zu einem sichereren Ort gemacht". So "sauber" verlief der Einsatz aber offenbar nicht, laut Zeugen gab es auch zivile Opfer. Ein leitender US-Beamter sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass der Anführer des Islamischen Staates sich nach Beginn des Angriffs gemeinsam mit Familienmitgliedern selbst in die Luft gesprengt habe.

Triumphierende Videos

Laut Angaben der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden zudem Ziele nördlich der Region Idlib bombardiert. Die Gefechte dauerten demnach bis in die Nacht an. Der Angriff auf die Haftanstalt Sina, der die US-Kommandoaktion zur Folge hatte, war laut kurdischer Selbstverwaltung die schwerste Attacke seit Jahren. Zwar gab es immer wieder Versuche, inhaftierte Terroristen aus dem Gefängnis zu befreien. Im Gegensatz zum jüngsten Angriff gelang dabei aber nur einigen wenigen die Flucht.

Der IS, der die Aktion offiziell für sich reklamierte, spart in den triumphierenden Videos, die er den sozialen Medien verbreitete, auch nicht mit Details. So hätten IS-Kämpfer mit Lastwagen zwei Autobomben am Eingang der Haftanstalt zur Explosion gebracht und auch den Gefängnisdirektor bei Gefechten getötet. Bestätigt ist dies nicht. Eines allerdings ist Fakt: Der Sturm auf die Haftanstalt erforderte eine enorme Logistik, systematische Planung und vor allem personelle Ressourcen, die der IS lange Zeit nicht mehr hatte. Die Botschaft ist daher eindeutig: Die Dschihadisten haben sich neu formiert, der Islamische Staat ist zurück.

"Wir werden nicht mehr alleine fertig mit ihnen", reflektiert der Co-Vorsitzende des kurdischen Roten Halbmonds, Sherwan Bery, das Geschehene. Nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg in Syrien seien die Menschen erschöpft. Auch die Sanitäter und Sanitäterinnen des Roten Halbmonds hätten keine Kraft mehr. Gleichwohl hätten sie auch jetzt alles unternommen, um die Verwundeten des Angriffs zu versorgen.

Es käme ständig zu Überfällen, berichtet Bery. Der in der letzten Woche sei aber der Schlimmste seit langem gewesen. Auch im Irak gäbe es vermehrt Anschläge. Auch dort hätte die kurdische Autonomieverwaltung inzwischen Probleme, dem IS standzuhalten. Tausende von IS-Anhängern säßen auch dort in den Gefängnissen. Es sei deshalb nicht damit getan, dass einige von ihren Heimatländern zurückgeholt würden, wie beispielsweise Deutschland, Holland und Schweden es getan hatten. "Wir brauchen vielmehr ein Rehabilitierungsprogramm für diese Leute", fordert Bery. Ansonsten blieben sie eine Gefahr, "nicht nur für uns, auch für den Westen."

Böse Erinnerungen

Der Sturm auf die Haftanstalt weckt böse Erinnerungen an die Jahre zwischen 2014 und 2017, als dies vor allem im Irak gängige Praxis war. Überall, wo IS-Kämpfer einsaßen, gab es Befreiungsversuche. Nicht zuletzt in Abu Ghraib, dem berühmt-berüchtigten Gefängnis westlich von Bagdad, gelang eine Erstürmung, bei der alle Gefangenen fliehen konnten. Kurz darauf wurde Anbar, die flächenmäßig größte Provinz im Irak, zum Kalifat des IS deklariert. In der Folge eroberten die Dschihadisten weite Teile des Nordiraks und Nordostsyriens. Die Städte Mosul und Rakka wurden zu Terrorhochburgen. Der Horror für Millionen von Menschen begann, mit blutigen Anschlägen versuchte der IS, auch in Europa und den USA Angst und Schrecken zu verbreiten.

Mit der Ermordung des Dschihadistenchefs Abu Bakr al-Baghdadi glaubten die USA im Oktober 2019, den IS besiegt zu haben. Die irakische Regierung hatte bereits Anfang 2018 den Sieg über die Terrormiliz verkündet. Doch Experten warnten von Anfang an vor verfrühter Euphorie. Sie sollten recht behalten.

Die Terrormiliz IS sei in Syrien und im Irak wieder am Erstarken, warnte der Antiterrorchef der Vereinten Nationen schon vor mehr als einem Jahr in einem Bericht an den UN-Sicherheitsrat. Mehr als 10.000 Kämpfer des IS seien in dieser Region noch oder wieder aktiv, und die Zahl der Anschläge sei im Vergleich zum Vorjahr 2020 bedeutend gestiegen. Auch die Sprecher der US-Truppen kamen in den letzten zwei Jahren vermehrt zu dieser Erkenntnis. Und trotzdem kam der Befehl aus Washington zum Abzug der amerikanischen Soldaten aus dem Irak. US-Präsident Joe Biden vollzog damit das Wahlversprechen, die Kriege der USA im Nahen Osten zu beenden.

Als Reaktion darauf weitet die Nato nun ihre Mission im Zweistromland aus, um kein Vakuum entstehen zu lassen. Der Einsatz mit derzeit 300 Soldaten soll schrittweise auf rund 4.000 Soldaten erhöht werden, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach Beratungen der Verteidigungsminister der Allianz. Damit solle verhindert werden, dass die Dschihadistenmiliz wieder an Stärke gewinne. Die Nato bildet seit 2017 im Irak Sicherheitskräfte aus. Irakische Soldaten wurden dabei insbesondere in der Entschärfung von Sprengsätzen, der Instandhaltung von Material und in medizinischer Versorgung geschult. Hinzu kam Beratung des irakischen Verteidigungsministeriums und anderer Sicherheitsbehörden.

Österreich will helfen

Bei der Ausbildung von irakischem Sicherheitspersonal will nun auch Österreich mithelfen. Die künftige Ausrichtung und allfällige Erweiterung der Mission sei aber von politischen Entscheidungen nach der Parlamentswahl und der Bildung einer neuen Regierung im Irak abhängig, erläutert Ministeriumssprecher Michael Bauer. Österreich würde sich "grundsätzlich" mit "Beratungspersonal" beteiligen, wobei man aufgrund der jahrzehntelangen Beteiligung an UNO-Einsätzen am Golan in Syrien und im Libanon über eine entsprechende "Expertise und Akzeptanz" verfüge.

Bis der erste Bundesheersoldat seinen Dienst im Zweistromland versieht, dürfte es aber wohl noch eine Weile dauern. Gut drei Monate nach den Parlamentswahlen im Irak ist noch immer keine neue Regierung in Sicht. Die Koalitionsbildung gestaltet sich schwierig. Optimisten gehen davon aus, dass es mindestens noch einmal drei Monate dauert, bis eine Regierung steht, Pessimisten sprechen hingegen von sechs Monaten. Es bleibt zu hoffen, dass bis dahin der IS nicht noch weiter an Stärke gewinnt.