Zum Hauptinhalt springen

Russlands Verwirrspiel bei Atomwaffen

Von Alexander Dworzak

Politik

Putins Sprecher kalmiert, der Außenminister droht und der Ex-Präsident zeichnet ein schwammiges Szenario.


Dmitri Peskow ist Sprecher von Wladimir Putin, dank seines geschliffenen Englisch dient er auch als globales Sprachrohr des russischen Präsidenten. Im Gespräch mit dem US-Sender PBS setzte Peskow Anfang der Woche folgende Botschaft ab: "Niemand in Russland denkt an den Einsatz oder auch nur an die Idee eines Einsatzes von Atomwaffen."

Im Krieg gegen die Ukraine - nach Moskauer Definition eine "spezielle Militäroperation" - rechne Russland weiter damit, alle Ziele zu erreichen. Unabhängig vom Ausgang gebe es keinen Grund für den Einsatz von Nuklearwaffen. Diese würden nur bei einer "Bedrohung der Existenz Russlands" eingesetzt werden. Peskow zufolge hätten aber die staatliche Existenz Russlands und die jetzigen Ereignisse in der Ukraine "nichts miteinander zu tun".

Beruhigende Worte - allerdings stehen sie in Kontrast zu Äußerungen anderer russischer Regierungsvertreter. Erst am vergangenen Wochenende drohte der ehemalige Präsident und Premierminister Dmitri Medwedew, mittlerweile stellvertretender Leiter des russischen Sicherheitsrates. Er verwies auf ein Dokument zur nuklearen Abschreckung, in dem Russland festlegt, wann es Atomwaffen einsetzt: "Nummer eins ist die Situation, in der Russland von einer Atomrakete getroffen wird. Der zweite Fall ist jeder Einsatz von anderen Atomwaffen gegen Russland oder seine Verbündeten", erklärte Medwedew gegenüber dem britischen "Guardian". Beim dritten Fall handle es sich um einen "Angriff auf eine kritische Infrastruktur, der unsere nuklearen Abschreckungskräfte lahmlegt". Und, viertens, falls ein "Angriff gegen Russland und seine Verbündeten verübt wird, der die Existenz des Landes selbst gefährdet, auch ohne den Einsatz von Atomwaffen, also mit dem Einsatz konventioneller Waffen".

Wann besteht eine "existenzielle Bedrohung"?

Die ersten drei Punkte spielen aktuell keine Rolle. Weder handelt es sich bei der Ukraine um eine Atommacht, noch plant sie einen Angriff auf russisches Territorium. Umso mehr fällt der vierte Punkt ins Gewicht. Die Formulierungen des "Angriffs" und der "existenziellen Bedrohung" lassen viele Interpretationsmöglichkeiten - und politischen Gestaltungsspielraum. Europas Politiker wollten Russland "zerstören, brechen, vernichten, erdrosseln", sagte Außenminister Sergej Lawrow ebenfalls vergangene Woche. Wann, wenn nicht dann, besteht eine solch "existenzielle Bedrohung"?

Laut Lawrow habe der Westen Russland den "totalen Krieg" erklärt. Die Formulierung von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels benutzte Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire zu Monatsbeginn mit Verweis auf die Finanz- und Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Umgehend setzte es vehemente Kritik, Le Maire entschuldigte sich am selben Tag.

Kein Bezug ist stärker als der auf den Nationalsozialismus. Die UdSSR schöpfte ihre Identität aus den heroischen Sieg im "Vaterländischen Krieg" von 1941 bis 1945, Russland bedient sich bis heute dieser nationalen Erzählung. Ausgeklammert bleiben dabei bis heute die ersten beiden Weltkriegsjahre, den Hitler-Stalin-Pakt und die sowjetischen Gräueltaten.

Um diesen externen Inhalt zu verwenden, musst du Tracking Cookies erlauben.

Dass nun Atomwaffen die ultimative Drohung und Bedrohung darstellen, ist allen Akteuren klar. Und Russland verfügt mit mehr als 6.200 von rund 13.000 nuklearen Sprengköpfen über das größte Arsenal weltweit. Aber auch der Kreml weiß, dass ein Angriff mit Atomraketen von den westlichen Nuklearwaffenmächten USA, Frankreich und Großbritannien beantwortet werden könnte. Wie sagte Lawrow selbst vor knapp einem Monat: ein Atomkrieg könne "nicht gewonnen" werden.