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Desaster für die teuerste UN-Mission

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Politik

Im Kongo schlägt Frust über den Einsatz der Vereinten Nation in Gewalt um. Erreicht wurde im Dauerkonflikt nur wenig.


Weiße UN-Fahrzeuge stehen in Flammen, wütende Protestierende stürmen die mit Stacheldraht gesicherten UN-Lager und verlangen von den Blauhelmen, das Land zu verlassen. Auf den Hauptstraßen des ostkongolesischen Goma, die in der Millionenstadt zu den verschiedenen UN-Stationen führen, errichteten Demonstranten Blockaden. Reifen werden angezündet, Steine in den Weg gelegt. Ein panischer Sprecher der UN-Blauhelme, die die Stationen sichern, fordert alle Mitarbeiter der Mission der Vereinten Nationen im Kongo (Monusco) dazu auf, zu Hause zu bleiben.

Überall in den Städten des krisengeplagten Ostens der Demokratischen Republik Kongo - in Goma, Beni, Uwira, Kasindi - stürmen wütende Kongolesen dieser Tage die UN-Stationen und plündern Vorräte - von Trinkwasser über Lebensmittel bis hin zu Benzin und Büromaterialien. Sogar die Solarpanels auf den Dächern werden abgeschraubt. Die UN-Blauhelme reagierten zunächst nicht. Kongolesische Polizisten feuerten Kugeln in die Luft, um die Menge zu vertreiben - vergeblich. Das Militär muss ausrücken. Doch Videos im Internet zeigen: Auch die Soldaten fangen an zu plündern. Überall herrscht Chaos.

Ende vergangener Woche kam es an der Grenzstation in Kasindi, zwischen Kongo und Uganda, zum Eklat: UN-Blauhelme hatten den Schlagbaum passiert, sie kamen von ihren Ferien in Uganda zurück und wollten zu ihrer UN-Station nahe der Grenze, als Chaos ausbrach und die Blauhelme das Feuer eröffneten: Zwei Menschen wurden getötet, 15 verletzt - darunter zwei Grenzbeamte.

Die Vertreterin der Vereinten Nationen im Kongo, Bintou Keita, zeigt sich "zutiefst erschüttert und bestürzt" über diesen Vorfall und übermittelt den Angehörigen der Opfer ihr "tiefstes Beileid". Sie erklärt, dass gemeinsam mit der kongolesischen Justiz Ermittlungen angelaufen seien und "Kontakt zu den Herkunftsländern dieser Soldaten hergestellt" wurde, "damit ein Gerichtsverfahren unter Beteiligung der Opfer und Zeugen eingeleitet werden kann", so die Erklärung, "damit schnellstmöglich vorbildliche Sanktionen ergriffen werden".

Amtliche Stellen melden mittlerweile mehr als 30 Tote in fünf Städten des Ostens, darunter vier UN-Blauhelmsoldaten. Die meisten seien mutmaßlich erschossen worden, drei Männer seien gestorben, als im Chaos eine Hochspannungsleitung zusammenbrach und es zu Stromschlägen kam.

Regierungsnahe Politiker fachen Protest an

Kongos Regierungssprecher Patrick Muyaya verurteilte die Angriffe auf UN-Einrichtungen und kündigte an, die Verantwortlichen "schwer zu bestrafen". Zu den Verantwortlichen gehören möglicherweise aber auch regierungsnahe Politiker, die zu den Protesten aufgerufen hatten.

Die Jugendorganisation von Kongos Regierungspartei UDPS (Union für Demokratischen und Sozialen Fortschritt) in Goma, der Kongos Präsident Félix Tshisekedi angehört, hatte vergangene Woche zu einem "friedlichen" Protest aufgerufen, um "Nein" zur Monusco zu sagen und sie "anzuweisen, ohne Bedingungen das Land zu verlassen", wie es in einer UDPS-Presseerklärung heißt.

Die Demonstrationen ereignen sich nur wenige Tage nach dem Besuch von Senatspräsident Modeste Bahati Lukwebo. Dieser hatte die Ineffizienz der Monusco beim Kampf gegen bewaffnete Gruppen im Osten der Demokratischen Republik Kongo angeprangert: "20.000 Männer sind seit über 22 Jahren im Land, und wir haben keinen Frieden. Wir werden den Frieden, die Sicherheit und die Integrität des Staatsgebiets selbst gewährleisten", tönte er bei seiner Rede in Goma.

Es ist nicht das erste Mal, dass Kongos Bevölkerung gegen die UN-Blauhelme gewaltsam demonstriert. Die Monusco ist die teuerste Friedensmission der Vereinten Nationen weltweit, erreicht hat sie in über 20 Jahren Dauerkonflikt jedoch relativ wenig. Zuletzt kam es erneut zu Massakern an der Bevölkerung der Region um die Stadt Beni 300 Kilometer nördlich von Goma durch die ugandischen islamistischen Rebellen der ADF (Vereinigte Demokratische Kräfte). Proteste in Beni und anderen Orten gegen die Ineffizienz der Monusco gegenüber der ADF hatten im Mai 2021 Kongos Regierung dazu bewogen, über die Region das Kriegsrecht zu verhängen - seitdem hat die Gewalt aber noch mehr zugenommen.

Frühestmöglicher Abzug im Jahr 2024?

Kongos Regierung versucht nun, die Bevölkerung mit dem Hinweis zu besänftigen, ein Rückzug der UN-Mission aus dem Land sei beschlossene Sache. Tatsächlich beschlossen Kongos Regierung und Monusco im Jahr 2020 zwar eine "gemeinsame Strategie" über einen schrittweisen Rückzug. Doch um einen friedlichen Abzug zu gewährleisten, müssen gewisse Bedingungen gewährleistet sein; beispielsweise muss der Staat in der Lage sein, Sicherheit herzustellen. Das früheste Datum eines möglichen Rückzugs der Blauhelme sei laut diesem Plan 2024.

Dieses Jahr haben die Tutsi-Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März), die laut Kongo von der Regierung von Ruanda unterstützt werden, Teile der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu erobert, von der Goma die Hauptstadt ist. Sie kontrollieren seit mehreren Wochen die Grenzstadt Bunagana an der Grenze zu Uganda. Kongos Armee kommt trotz UN-Unterstützung nicht gegen die Rebellen an.

Für Präsident Tshisekedi ist das umso bedrohlicher, als die Wahlkampfzeit begonnen hat. Ende 2023 stehen Wahlen an, der Staatschef will dieses Mal auf demokratischem Weg gewinnen. Dafür ziehen er und seine Helfer alle populistischen Fäden. Im Juni kam es nach der Eroberung Bunaganas durch die M23 in mehreren Städten, darunter Goma, zu Übergriffen gegen Tutsi und mutmaßliche "Ruander" im Kongo, angestachelt durch UDPS-Funktionäre. Nach den Tutsi wird nun die UN-Mission als Volksfeind dargestellt, um die Menschen in Rage zu bringen.