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"Feminismus ist kein Luxusproblem"

Von Judith Steinkellner

Politik

Politologin Madita Standke-Erdmann über feministische Außenpolitik und ein radikales Neudenken des Sicherheitsbegriffs.


"Das ist kein Gedöns, das ist auf der Höhe der Zeit": Mit diesen Worten verteidigte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die feministische Außenpolitik im deutschen Bundestag gegenüber CDU-Chef Friedrich Merz. Seit sich die deutsche Ampel-Koalition vergangenes Jahr im Koalitionsvertrag offiziell zu einer "Feminist Foreign Policy" bekannt hat, ist diese vielen ein Begriff, dabei ist das Konzept älter als 100 Jahre. Auch unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine rückt es wieder zunehmend in den Fokus. Im Interview spricht die Politologin Madita Standke-Erdmann über einen Ansatz, der die Lebensrealität aller Menschen in politischen Entscheidungen berücksichtigen will.

Wiener Zeitung: 2014 führte Schweden als erstes Land der Welt eine feministische Außenpolitik ein; auch Deutschland bekennt sich dazu. Was sind konkrete Forderungen dieses Konzepts?

Madita Standke-Erdmann: Eine feministische Außenpolitik wirkt transformativ. Sie stellt den Anspruch, Außenpolitik radikal anders zu denken, nämlich bedarfs- und menschenrechtsorientiert, orientiert an der menschlichen Sicherheit. Strukturelle Formen von Diskriminierung, die durch Außenpolitik reproduziert werden und historisch gewachsen sind, sollen aufgebrochen werden. Feministische Außenpolitik hat das Ziel, auf Augenhöhe zu agieren. Das ist zwar ein schwammiger Begriff: Was heißt das, auf Augenhöhe? Aber ganz konkret bedeutet das, dass keine außenpolitischen Entscheidungen getroffen werden, ohne die Auswirkungen dieser Außenpolitik auf die Menschen vor Ort zu reflektieren. Feministische Außenpolitik versucht, ganzheitlich gegen patriarchale, sexistische, koloniale und rassistische Diskriminierungsstrukturen vorzugehen.

Wie unterscheidet sich feministische Außenpolitik damit von anderen Formen der Außenpolitik, wie wir sie beispielsweise in Österreich haben?

Außenpolitik im herkömmlichen Sinne repräsentiert Staaten und Staatsinteressen. Das tut eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik nicht. Sie stellt nicht den Staat ins Zentrum, sondern unterliegt dem Verständnis, dass Menschen und deren Bedürfnisse ins Zentrum der Politik gesetzt werden. Die Frage ist, und das ist eine ganz klassisch feministische Frage: Um wessen Sicherheit, um wessen Interessen geht es hier eigentlich? Nehmen wir als Beispiel Waffen- oder Rüstungsexporte. Es geht natürlich um Profite und darum, dass nationalstaatliche Interessen vertreten werden, und es geht auch darum, strategisch Kriege zu unterstützen. Das wird in dem Moment problematisch, wenn Waffenlieferungen nachweislich zu Menschenrechtsverletzungen führen. Da muss dann die Frage sein: Wie wirken sich außenpolitische Entscheidungen auf die betroffenen Menschen aus? Alles, was international beschlossen wird, hat am Ende des Tages Auswirkungen auf lokaler Ebene. Wir sehen das gerade an der Energiekrise. Deswegen fordert eine feministische Außenpolitik in Bezug auf Rüstungsfragen, dass es klare Kontrollmechanismen gibt, dass Rüstung reguliert und systematisch reduziert wird.

Feministische Ansätze fordern globale Abrüstung. Das wirft im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg die Frage auf, wie praxistauglich der Ansatz der feministischen Außenpolitik ist. Was ist die feministische Antwort darauf?

Das ist zu simpel gedacht. Das Problem ist: Es ist komplex, es ist kompliziert. Man kann diese Frage nicht einfach beantworten. Es gibt viele Positionspapiere von feministischen Zusammenschlüssen aus der Ukraine, die sagen: Wir verstehen unser Recht auf Selbstverteidigung als ganz klar feministisch. Wer seid ihr, uns abzusprechen, dass wir dieses Verteidigungsrecht haben? Das heißt, die Gleichsetzung: "Feministisch bedeutet Abrüstung, und das bedeutet keine Waffenlieferungen" funktioniert nicht. Ich würde jedem widersprechen, der sagt, aufgrund dieser Logik sei feministische Außenpolitik ein zahnloser Tiger. Denn das ist sie nicht. Es geht um Bedarfsorientiertheit. Wenn die Menschen in der Ukraine sagen, sie brauchen Waffenlieferungen, dann sollte es heißen: Wir gehen in den Dialog mit euch und schauen, was denn da gehen kann, solange es mit feministischen Prinzipien vereinbar ist.

Welche feministischen Perspektiven gibt es noch auf Kriegs- und Krisensituationen?

Eine kohärente feministische Außenpolitik sollte immer durch eine feministische Innenpolitik ergänzt werden. Außerdem muss verstanden werden, dass es langzeitpräventive Maßnahmen braucht. Prävention und Nachsorge sind ganz wichtig - nicht nur in Krisen- und Konfliktsituationen. Die deutsche Bundesregierung hat sich zum Beispiel die Klimakrise als außenpolitisches Thema gesetzt. Europa als größter Emittent von schädlichen Klimaausstößen trägt wie der gesamte globale Norden eine riesige Verantwortung für die Klimakrise. Daran wiederum hängen Themen wie Migration und Flucht. Diese Komplexität kann eine feministische Außenpolitik besser begreifen, weil sie verzahnt denkt und versteht, welche strukturellen Diskriminierungen greifen.

Feminismus und feministische Außenpolitik wird - vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten - mitunter als "Luxusproblem" abgestempelt. Was entgegnen Sie solchen Stimmen?

Es geht ja nicht um den Feminismus an sich, sondern um die Menschen - verstärkt natürlich um Frauen, um Mädchen und um historisch marginalisierte Gruppen, um LGBTIQ*. Am Ende des Tages geht es darum, dass die Zivilbevölkerung geschützt wird, dass soziale Infrastrukturen geschützt werden, dass kein Krieg herrscht. Das sind die Ziele. Und das als Luxusproblem zu beschreiben, sehe ich wiederum als eine Luxushaltung. Ich finde es symptomatisch, dass in der nationalen und internationalen Politik Gender und andere Zuschreibungen als Beiwerk verstanden werden. Da wird gesagt: Holen wir die Frauen halt noch an den Tisch, dann haben wir das auch abgehakt. Aber selbst für Leute, die Zahlen wichtig finden: In geschlechtergerechteren Gesellschaften gibt es weniger soziale Konflikte. Daher finde ich nicht, dass das ein Luxusproblem ist, im Gegenteil: Das ist das, worauf es am meisten ankommt. Es zentriert Fragen der Außenpolitik um Menschen und deren Sicherheit.

Wo sehen Sie feministische Außenpolitik schon verwirklicht?

Einige Länder haben es hinbekommen, einen höheren Anteil von Frauen und nicht-binären Menschen in höhere Positionen zu bringen. Kanada hat den Fokus stärker auf die indigene Bevölkerung gesetzt. Das reicht natürlich nicht. Aber in vielen Ländern ist es immer noch ein work in progress. Ganz entscheidend ist, dass diese Prozesse von zivilgesellschaftlichen Akteurinnen begleitet und mitgestaltet werden, und dass die Konzepte, mit denen gearbeitet wird, immer mit Inhalten unterlegt sind. Sonst laufen Begriffe wie "Feminismus" Gefahr, ausgehöhlt und verwässert zu werden.

Denken Sie, dass Österreichs Außenpolitik feministischer sein sollte?

Ich glaube, dass Österreich bereits gute Instrumente an der Hand hat. Beispielsweise hat es 2007 die UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit ratifiziert. Die Istanbul-Konvention wurde 2011 von Österreich unterzeichnet, auch wenn es an der Umsetzung auf nationaler Ebene noch hapert. Es gibt also einige Dinge, die Österreich schon gut macht. Aber vor allem in der Entwicklungszusammenarbeit wäre eine feministische Perspektive wichtig, weil Österreich aus einem europäischen Kontext heraus in der Welt agiert und dort Machtstrukturen reproduziert. Insgesamt würde ich zu einer feministischeren Außenpolitik aufrufen, die mit einer Stärkung der Zivilgesellschaft einhergehen muss, sowohl was Mitspracherechte als auch was die Finanzierung der Zivilgesellschaft angeht. Da gab es unter der schwarz-blauen Regierung einen signifikanten Rückschritt, auch was den nationalen Gewaltschutz angeht.