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Günstige Kohle aus Russland und Ärger in Osteuropa

Von Bernhard Seyringer

Politik

Seit dem Angriff auf die Ukraine importiert China mehr Rohstoffe aus Russland, um eine Energiekrise abzuwenden.


Als Hua Chunying am 24. Februar vor die Kameras trat, um den russischen Angriff auf die Ukraine zu kommentieren, kritisierte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums als Erstes die Nato-Osterweiterung. Hua sah darin die Begründung für das Vorgehen Moskaus.

Dieses Narrativ ist auch sechs Monate nach Kriegsbeginn offizielle Haltung Pekings. Diese Sichtweise wird von den meisten zentral- und osteuropäischen Staaten mit wenig Sympathie wahrgenommen. Genau zum zehnjährigen Jubiläum des Forums zwischen China sowie Ländern aus dem zentral- und osteuropäischen Raum haben sich sämtliche europäische Staaten geweigert, den Gipfel auszurichten. Zwar konnte in Telefonaten Chinas mit dem polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda sowie Außenminister Zbigniew Rau noch eine gemeinsame Position gefunden werden. Aber Chinas Sonderbeauftragte Huo Yuzhen wurde mit dem Austritt von Lettland und Estland diesen Monat schlicht überrascht. Auch Tschechien hat derartige Absichten geäußert. Nachdem Litauen bereits 2021 ausgetreten ist, ist das Format von 17+1 auf 14+1 geschrumpft. Das bedeutet einen Rückschlag bei den Bemühungen, die osteuropäischen Länder stärker an China zu binden - auch, um die "Neue Seidenstraße" voranzutreiben. Der Verlust an Einfluss in Zentral- und Osteuropa gilt in Peking aber als sekundär.

Atomkraft ausbauen

Eminent wichtig sind China intakte Beziehungen zu Russland, auch für die Energieplaner. Diese setzen zur Bewältigung der globalen Energiekrise zumindest kurzfristig auf Kohle und mittelfristig auf die drastische Erhöhung des Nuklearanteils am nationalen Energieportfolio. Mit fast 60 Prozent Anteil ist Kohle der mit Abstand wichtigste Energieträger.

Im April und Mai hat China zusätzlich den Import verbilligter Kohle aus Russland auf mehr als 40 Prozent der Einfuhren gesteigert und konnte dadurch eine für Herbst drohende Energiekrise abwenden. Zusätzlich wird in China selbst mehr Kohle abgebaut. Von einer zehnprozentigen Steigerung im zweiten Quartal berichtete die Nationale Energiebehörde im August.

Im Bereich der Kernenergie ist bereits im 14. Fünfjahresplan, der für die Jahre 2021 bis 2025 gilt, der geforderte Ausbau der Nennenergie von 54,5 Gigawatt (GW) auf 70 GW bis 2025 vorgesehen. Zhang Tingke, der Generalsekretär der Nuklearenergiebehörde, hat zehn neue Kraftwerksbauprojekte entlang der gesamten Ostküste vorgestellt.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Energiefrage spielt Kasachstan, das sowohl an China als auch Russland grenzt. Das zentralasiatische Land, das stets die außenpolitische Balance zwischen Russland, dem Westen und Chinas Interessen suchte, ist seit Russlands Krieg in der Ukraine deutlich vom Kreml abgerückt. In der Hauptstadt Nur-Sultan werden Luhansk und Donezk nicht als unabhängige "Volksrepubliken" anerkannt und Strategien erarbeitet, wie westliche Unternehmen, die Russland verlassen wollen, umworben werden können.

Neue Sicherheitsarchitektur

Das dürfte wohl der Hintergrund für Russlands Umweltbedenken sein, die zur Schließung des russischen Schwarzmeerhafens Novorossiysk für kasachische Ölexporte in Richtung Europa geführt haben. Das Öl wird aktuell über baltische Häfen mithilfe chinesischer Logistik nach Westeuropa transportiert. Kasachstan ist außerdem ein Schlüsselland für die "Neue Seidenstraße", für den bisherigen Nordkorridor durch Russland, aber auch für den alternativen Mittelkorridor via Georgien und die Türkei.

Den wirtschaftspolitischen Ambitionen soll eine militärische Komponente hinzugefügt werden. Das machten Chinas Ankündigungen einer "Globalen Sicherheitsinitiative" klar. Verkündet während des Krieges, der Russland als schwachen Sicherheitsgaranten präsentieren soll, bietet Chinas Staatschef Xi Jinping eine post-russische Sicherheitsarchitektur für Staaten in Afrika, Lateinamerika und insbesondere Zentralasien an.

Diese Offensive erregte weniger Aufsehen als die Reaktion auf den Besuch von US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi in Taiwan. Militärmanöver Chinas vor der Insel folgten, die Peking als Teil seines Territoriums ansieht. Diskutiert wird in China derzeit weniger die Einnahme von ganz Taiwan als ein Konfliktszenario mit kontrollierbarem Eskalationspotenzial. So könnte die taiwanesische Insel Kinmen erobert werden. Sie liegt nur zwei Kilometer vor der Küste Festlandchinas.