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"Chinas Macht hat erheblich zugenommen"

Von Klaus Huhold

Politik
Applaus für den starken Mann: Xi Jinping am Parteitag.
© Reuters / Thomas Peter

Peking hat ein immer dichteres Netz über viele Staaten gewoben. Nun stellt China auch global größere Ansprüche.


Als das Ergebnis verkündet wurde, brandete Applaus auf. Eine Mehrheit im UN-Menschenrechtsrat hatte dagegen gestimmt, dass über mutmaßliche Menschenrechtsverbrechen in der chinesischen Provinz Xinjiang überhaupt debattiert wird.

Die Volksrepublik hatte allen Grund, sich selbst zu beklatschen - war das Ergebnis doch ein diplomatischer Triumph für Peking, der Chinas wachsenden Einfluss in internationalen Institutionen zeigt. Peking kritisiert seit jeher, dass der Westen in den Vereinten Nationen zu viel bestimmen würde. Auch dem Österreicher Volker Türk, der am Montag sein Amt als neuer UN-Hochkommissar für Menschenrechte angetreten hat, hat Chinas Führung schon mitgegeben, er möge sein Amt unparteiisch gestalten.

Der Abstimmung vorangegangen war ein Untersuchungsbericht des Menschenrechtsrates. In diesem war festgehalten worden, dass China Angehörige moslemischer Minderheiten in Lagern umerzogen hat - und das offenkundig unter fürchterlichen Bedingungen bis hin zur Folter und zu Vergewaltigungen. Westliche Staaten forderten daher in einer ohnehin vorsichtig formulierten Resolution, dass über diesen Bericht zumindest diskutiert wird - von einer Verurteilung war keine Rede. Doch nur 17 Länder stimmten für so eine Debatte, 11 enthielten sich, 19 waren dagegen.

Dagegen stimmten etwa Kuba und Venezuela oder auch Pakistan, Katar und Indonesien. Peking hatte, das berichten Diplomaten übereinstimmend, zuvor massiv im Hintergrund Verbündete gesucht. Was die einzelnen Motive der Länder waren, China zu unterstützen, darüber kann nur spekuliert werden. Wahrscheinlich war es ein Bündel an Beweggründen: Abneigung gegen die vermeintliche Bevormundung durch den Westen; Länder, die selbst eine schlechte Menschenrechtsbilanz haben, wie etwa Katar, können darauf zählen, dass ihnen auch China die Mauer macht; nicht zuletzt fürchten wohl viele Staaten, dass der Groll Chinas wirtschaftliche Konsequenzen hat.

China vergibt Kredite und schafft so Abhängigkeiten

Klar ist: China wird auf der Weltbühne immer mächtiger - und will es auch sein. Das hat Staats- und KP-Chef Xi Jinping am Wochenende bei seiner Rede zur Eröffnung des Parteitags noch einmal deutlich gemacht. "Chinas internationaler Einfluss, seine Anziehungskraft und seine Macht, die Welt zu gestalten, haben erheblich zugenommen", verkündete Chinas starker Mann, dem aller Voraussicht nach fünf weitere Jahre Amtszeit gewährt werden, bei seiner programmatischen Rede.

In der Großen Halle des Volkes legt die Partei derzeit Chinas Zukunft fest.
© Reuetrs / Thomas Peter

Tatsächlich ist das internationale Gewicht der Volksrepublik kräftig gestiegen. Peking hat nämlich nicht nur in UN-Gremien seinen Einfluss ausgeweitet. Darüber hinaus hat China auch das Entstehen neuer, paralleler Institutionen vorangetrieben. Mit der Asiatischen Entwicklungsbank oder der Chinesischen Export-Import-Bank wurden Institute zur Finanzierung internationaler Projekte ins Leben gerufen, in denen nun China wesentlich mehr Spielraum als in der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds hat.

Diese Institutionen sind wiederum in dem chinesischen Großprojekt eingebunden, mit dem die Volksrepublik ein immer dichteres Netz über verschiedene Staaten webt: die Neue Seidenstraße. Schiffsverbindungen, Schienenstränge und neue Straßen führen über Asien und reichen in afrikanische Dörfer genauso wie in europäische Häfen. Die Volksrepublik unterstützt riesige Bauprojekte, vergibt Kredite oder geht strategische Kooperationen ein.

China bezeichnet dies als Kooperationen, von denen beide Seiten einen Gewinn hätten. Allerdings finanziert die Volksrepublik viele dieser Projekte. Und wie bei jedem Kredit gilt: Der Gläubiger bestimmt die Bedingungen und nicht der Schuldner. So kann China über seine Finanzkraft Druck auf andere Länder ausüben. Und wenn sich Peking eines verbietet, dann ist das Kritik an dem, was China als seine "interne Angelegenheiten" betrachtet.

Das führt wieder direkt zurück zur Abstimmung im Menschenrechtsrat - und auch zum explosivsten Brennpunkt chinesischer Außenpolitik: Peking betrachtet auch die Taiwan-Frage als interne Angelegenheit. China sieht die de-facto unabhängige, demokratisch regierte Insel als abtrünnige Provinz an. Chinas Staatsführung strebe eine friedliche "Vereinigung" an, sagte Xi am Parteitag. "Aber wir werden uns niemals verpflichten, den Einsatz von Gewalt aufzugeben."

Ein Militäreinsatz ist also eine Option, und China rüstet auch seine Armee dahingehend auf, dass sie Taiwan erobern kann. Allerdings hat US-Präsident Joe Biden schon mehrfach erklärt, dass die USA dabei nicht tatenlos zusehen würden. Die Konfrontation mit den USA droht sich hier bis ins Militärische auszuwachsen.

Generell sieht die Parteielite den Westen schon lange als größten Widersacher an. Deutlich zeigte dies bereits das "Dokument Nr. 9", das 2012, also kurz nach Xis Amtsantritt, unter den höchsten Kadern zirkulierte und durch ein Leak an die Öffentlichkeit kam. Demnach befindet sich China in einem "intensiven Kampf" mit dem Westen und dessen Werten. Scharf abgelehnt werden dabei etwa Demokratie oder freie Medien.

Diese Abneigung gegen den Westen teilt Xi mit Wladimir Putin. Russlands Präsident hat auch schon bekräftigt, dass er mit China einen antiwestlichen Block bilden möchte. Die beiden Staaten verbindet bereits eine strategische Partnerschaft und China hat auch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nie verurteilt.

Der Navigator Xi steuert das Schiff auf rauer See

Allerdings hält sich China auch mit aktiver Unterstützung des russischen Feldzuges zurück. Und eine starre Blockbildung entspricht auch nicht der chinesischen Außenpolitik. Vielmehr suche China pragmatische, flexible Partnerschaften zum eigenen Vorteil, sagte erst kürzlich der renommierte britische Sinologe Kerry Brown in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Auf diese Weise will Xi das chinesische Schiff durch die Stürme der Welt steuern - auch das ist ein Bild, das er am Parteitag verwendet hat. Mao Zedong war der "Große Steuermann", Xi Jinping ist nun laut Propaganda der "Navigator".

Xis Rede am Parteitag gab dabei noch einmal Aufschluss über dessen Kurs: Nach innen werden Öffnung und Reformen immer mehr zugunsten von Disziplin und Kontrolle zurückgenommen. Nach außen stellt ein zusehends nationalistisches China immer größere Machtansprüche.