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Der kasachische Balanceakt

Von Klaus Huhold

Politik

Kasachstan geht zunehmend auf Distanz zu Russland.


Der 17. Juni war wohl ein Tag, an dem die Popularität von Kassym-Schomart Tokajew, des Präsidenten von Kasachstan, bei seinen Landsleuten gestiegen ist. An diesem Tag widersprach er nämlich beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg auf offener Bühne dem russischen Machthaber Wladimir Putin. Tokajew sagte, dass Kasachstan die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk nicht als selbstständige Staaten anerkennen werde. Denn dies würde dem Recht von Staaten auf territoriale Unversehrtheit widersprechen.

In Kasachstan gibt es keine glaubwürdigen Umfragen, doch sind sich politische Beobachter weitgehend einig, dass dieser Auftritt von Tokajew in der eigenen Bevölkerung auf Zuspruch gestoßen ist. Denn in Kasachstan sitzen die Ängste tief, dass dem Land ein ähnliches Schicksal wie der Ukraine drohen und Putin auch Ansprüche auf kasachisches Territorium stellen könnte. Russen stellen nämlich im flächenmäßig größten Binnenstaat der Welt ein Viertel der Bevölkerung und sind damit die größte Minderheit. Vor allem im Norden des Landes leben zahlreiche Russen. Was Tokajew in St. Petersburg zu der Ukraine sagte, geschah also auch mit Blick auf das eigene Land.

Tokajew wolle zeigen, dass er Kasachstan auch ohne russische Patronage führen kann, sagte ein kasachischer Diplomat der Nachrichtenagentur Reuters. Dabei war angenommen worden, dass er sich in der Schuld Russlands sieht. Anfang Jänner war ein Aufstand gegen die Regierung ausgebrochen, der sich zunächst an gestiegenen Treibstoffpreisen entzündete. Demonstranten plünderten Geschäfte und zündeten Regierungsgebäude an, und es gab Anzeichen, dass Sicherheitskräfte die Fronten gewechselt hätten. Tokajew gab den Schießbefehl - und er bat das von Russland angeführte Militärbündnis Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit um Hilfe. Und dieses eilte auch gleich herbei. Die Unruhen kosteten 225 Menschen das Leben.

Sieger bei Präsidentenwahl steht schon fest

Die Hintergründe sind bis heute unklar - ob es ein spontaner Volksaufstand war oder die Proteste durch Machkämpfe in der Elite angeheizt wurden. Offenbar scheint sich Tokajew aber nun ziemlich sicher zu sein, dass er wieder die Kontrolle über den Sicherheitsapparat hat. Anders wäre sein offensives Auftreten gegenüber seiner einstigen Schutzmacht Russland nicht zu erklären. Und sonst hätte er wohl auch nicht für diesen Sonntag Präsidentenwahlen angesetzt.

Um bei der Bevölkerung den Unmut zu dämpfen, hat der 69-Jährige ein Reformpaket aufgesetzt. Dem Präsidenten wird dabei nur noch eine einmalige Amtszeit von sieben Jahren zugestanden, und das Parlament hat künftig mehr Macht. Mit diesen Reformen distanziert sich Tokajew von seinem Vorgänger Nursultan Nasarbajew, der fast 30 Jahre Präsident und als in der Verfassung festgeschriebener "Führer der Nation" die Überfigur der kasachischen Politik war.  Tokajew hat auch bereits öffentlich geklagt, dass sich unter Nasarbajew eine Schicht reicher Leute gebildet hätte, die nun der Gesellschaft mehr zurückgeben solle.

Das ändert aber nichts daran, dass auch unter Tokajew Kasachstan autoritär regiert wird. Die fünf Gegenkandidaten bei der Wahl sind nur Staffage; Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind derart eingeschränkt, dass ein faires Votum unmöglich ist.

Mit einer voraussichtlich kräftigen Zustimmung im Rücken wird Tokajew auch seinen außenpolitischen Kurs fortsetzen. Dieser gleicht einem Balanceakt, bei dem er versucht, in alle Richtungen gute Beziehungen zu pflegen.

So befindet sich Kasachstan auch in einem regen Austausch mit China, ist es doch ein wichtiger Korridor für chinesische Exporte, die über die "Neue Seidenstraße" laufen. Die meisten Direktinvestitionen kommen wiederum aus der EU, und erst diese Woche hat EU-Außenbeauftragter Josep Borrell das rohstoffreiche Land besucht, um eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zu vereinbaren. Kasachstan ist jetzt schon ein wichtiger Öl- und Gaslieferant und soll die EU nun auch vermehrt mit Seltenen Erden versorgen.

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Kasachstan will einfach wirtschaftlich wachsen und dazu muss es "Teil der globalen Wirtschaft sein, Zugang zu anderen Volkswirtschaften haben, die die kasachischen Ressourcen benötigen", erklärte der Politologe Tremor Umarow dem Onlinemagazin "Telepolis".

Abhängig von Russland beim Ölexport

Mit Putin einen antiwestlichen Block zu bilden, würde dem Land nur schaden. Gleichzeitig kann es sich Kasachstan auch nicht ganz mit Russland verscherzen. So gehen 53 der 68 Millionen Tonnen Öl, die Kasachstan im Jahr exportiert, über die Kaspische Pipeline, die durch Russland führt. Moskau kann diesen Export jederzeit blockieren.

Kasachstan hält sich auch weiterhin an alle Vereinbarungen mit Russland - auch dass es zehntausende Russen, die vor der Teilmobilisierung geflohen sind, aufgenommen hat, war durch den visumfreien Grenzverkehr zwischen den beiden Ländern gedeckt. Sanktionen gegen Russland hat Kasachstan auch keine in Kraft gesetzt, vielmehr laufen über das Land zahlreiche russische Exporte, etwa nach China. Und hier braucht auch Moskau die Regierung in Astana. Mit dieser will Russland einen billigeren Transit für russisches Getreide nach China verhandeln.