Zum Hauptinhalt springen

Wer erklimmt als Nächster den Stuhl Petri?

Von Heiner Boberski

Politik
Hat erste Weichen für seine Nachfolge schon gestellt: Papst Franziskus.
© reuters / Yara Nardi

Erstmals seit 126 Jahren wird ein amtierender Bischof von Rom 86 Jahre alt, die Suche nach einem Nachfolger beginnt.


Die Rücktrittsgerüchte um Papst Franziskus sind verstummt. Aber die Frage bleibt virulent: Wie geht es in der katholischen Kirche unter einem unweigerlich eines Tages gewählten neuen Pontifex weiter? Wie sehr eine religiöse Leitgestalt polarisieren kann, zeigt derzeit wohl am deutlichsten Kyrill, der russisch-orthodoxe Patriarch von Moskau.

Am 17. Dezember vollendet Papst Franziskus, 1936 als Jorge Mario Bergoglio in Flores in Argentinien als Sohn italienischer Einwanderer geboren, das 86. Lebensjahr. Das ist deshalb kein gewöhnlicher Papst-Geburtstag, weil seit dem Jahr 1896 kein Bischof von Rom mehr ein solches Alter im Amt erlebt hat. Johannes Paul II. ist 2005 im 85. Lebensjahr gestorben, Benedikt XVI. hat sich 2013 mit nicht ganz 86 Jahren von der Leitung der katholischen Kirche zurückgezogen.

1896 war Leo XIII. Papst. Er hatte 1878 den Petrusdienst übernommen und vor allem durch die erste Sozialenzyklika "Rerum novarum" (1891) Bedeutung erlangt. Sein außergewöhnlich langes Pontifikat soll damals einen ranghohen Kardinal zu dem Seufzer veranlasst haben: "Wir haben einen Heiligen Vater gewählt, nicht einen Ewigen Vater."

Wäre der heute 95-Jährige Benedikt XVI. nicht abgetreten und hätte er im Amt dieses hohe Alter erreicht, wären ihm vielleicht leise ähnliche Kommentare gewidmet worden. Möglicherweise hätte es einen ähnlichen Stillstand in der Kirche gegeben wie in den letzten Jahren Leos XIII., der 1903 im 94. Lebensjahr starb. Bis weit ins 20. Jahrhundert war es völlig verpönt, in der Öffentlichkeit über den Gesundheitszustand eines Papstes und mögliche Nachfolger zu spekulieren. Das hat sich im Zeitalter der modernen Medien, die auch sonst keine Tabu-Themen kennen, spätestens aber seit dem Attentat auf Johannes Paul II. im Mai 1981, deutlich geändert.

Das Sterben des polnischen Papstes im April 2005 fand geradezu öffentlich statt, von breiter Medienberichterstattung begleitet. Schon lange zuvor ließen sein konservativer Kirchenkurs und seine Auswahl neuer Bischöfe - in Österreich etwa Hans Hermann Groer und Kurt Krenn - viele Ausschau halten, ob unter den "Papabili" - den für das Papstamt geeignet erscheinenden Kardinälen - nicht liberaler und fortschrittlicher eingestellte Kirchenmänner zu finden wären.

Ein Jesuit wurde forciert

Als Hoffnungsträger galt Kardinal Carlo Maria Martini, Erzbischof von Mailand und Jesuit, aber sein Gesundheitszustand und vor allem das durch die Ernennungen Johannes Pauls II. geprägte Kardinalskollegium raubten ihm im Konklave 2005 jede Chance. Eine Gruppe von Kardinälen um Martini, die sich ab 1997 regelmäßig im Schweizer St. Gallen traf - zeitweise waren auch die österreichischen Bischöfe Johann Weber und Alois Kothgasser dabei -, forcierte in diesem Konklave einen anderen Jesuiten, Jorge Mario Bergoglio, den Erzbischof von Buenos Aires. Das Wahlverfahren wäre in jedem Fall auf Joseph Ratzinger hinausgelaufen, aber der Argentinier, der die zweitmeisten Stimmen hatte, kürzte es durch seinen Rückzug ab. Das erwarb ihm viel Sympathie, die ihm vermutlich dann bei seiner Wahl im März 2013 nützte.

Nun währt das Pontifikat von Franziskus bald zehn Jahre. Die großen Reformen, die sich progressive Katholiken erhofften, blieben aus, nicht wenige sind enttäuscht. Dennoch hat der Argentinier vor allem das konservative Lager gegen sich aufgebracht. Seine versöhnlichen Gesten gegenüber Menschen, deren Leben nicht ganz gemäß kirchlichen Normen verläuft, werden dort als Abweichen von der kirchlichen Lehre kritisiert. Man fragt sich, wie viel Franziskus in seinem Pontifikat noch bewegen will und kann. Wird sich sein Nachfolger an seinen Reformbemühungen orientieren oder nicht?

Konservative drängen

Vor diesem Hintergrund werden von den Medien - noch etwas zögernd - die heutigen "Papabili" ins Visier genommen. Denn das Interesse an der Kirche ist anscheinend nur mehr dann sehr groß, wenn sie Skandale produziert.

Es sind vor allem konservative Gruppen, die einen neuen Papst herbeisehnen. Dass sie einen Bischof von Rom nach ihrem Geschmack bekommen, ist nach den Weichenstellungen in diesem Pontifikat aber eher unwahrscheinlich. Am Geburtstag des Papstes besitzen 127 Kardinäle, die noch nicht das 80. Lebensjahr vollendet haben, das Recht zur Papstwahl im Konklave. 82 davon, also fast zwei Drittel, hat Franziskus ernannt (laut traditioneller Kirchensprache "kreiert"), 34 sein Vorgänger Benedikt XVI., die restlichen 11 stammen noch aus der Ära Johannes Pauls II., darunter der einst "papabile" Kardinal Oscar Andres Rodriguez Maradiaga aus Honduras, der am 29. Dezember 80 Jahre alt wird und damit als Nächster sein Wahlrecht verliert.

Im Kardinalskollegium ist der Einfluss der Europäer, die dort derzeit 50 Wahlberechtigte ("Elektoren") - davon 20 Italiener - stellen, weiter zurückgegangen. Unter Franziskus kommen immer mehr Kirchenmänner aus bisher kaum beachteten Regionen statt Inhabern traditioneller "Kardinalssitze" zum Zug. Deshalb ist es keineswegs sicher, dass Österreich nach Christoph Schönborn bald wieder einen Kardinal bekommen wird.

Dutzende Anwärter

In den letzten Jahren wurden die Namen von rund zwei Dutzend Kardinälen als Papstanwärter genannt. Die meisten davon hat Edward Pentin 2020 in seinem Buch "The Next Pope: The Leading Cardinal Candidates" (Sophia Institute Press) porträtiert. Mehrere dieser Kandidaten haben aber praktisch keine Chance mehr. Die Italiener Angelo Scola und Gianfranco Ravasi sind bereits 80 Jahre alt geworden, im 80. Lebensjahr stehen Angelo Bagnasco, der ehemalige Präsident der Italienischen Bischofskonferenz, und der Prager Erzbischof Dominik Duka.

Dass die Wahl wie bei Benedikt XVI. oder Franziskus wieder auf einen 78- oder 77-Jährigen fällt, ist angesichts des seit damals gesunkenen Altersdurchschnitts im Kardinalskollegium eher zweifelhaft, daher ist auch mit dem kanadischen Kurienkardinal Marc Ouellet, dem Bostoner Erzbischof Sean Patrick O’Malley, Mauro Piacenza aus Italien, Christoph Schönborn aus Österreich und Robert Sarah aus Guinea, einem Hoffnungsträger der Konservativen, kaum noch zu rechnen.

Dass Kardinäle vom konservativen Flügel, die in einzelnen Fällen sehr deutlich in kritischer Distanz zu Franziskus stehen, ernsthaft als Papabili in Betracht kommen, ist fraglich. Es gibt aber zweifellos starke konservative Strömungen in der katholischen Kirche - vor allem viele junge Priester wirken derzeit "päpstlicher als der Papst" -, denen ein Papst vom Schlag des Amerikaners Raymond Leo Burke, des Niederländers Willem Jacobus Eijk oder des Deutschen Gerhard Müller recht wäre.

Auch Malcolm Ranjith aus Sri Lanka, schon 2013 als Papstanwärter gehandelt, vertritt eine sehr konservative Linie. Als konservativ, aber loyal zum Papst gilt der ungarische Primas Peter Erdö. Um seine Chancen gebracht hat sich wohl der New Yorker Kardinal Timothy Dolan, er soll an alle Kardinäle ein Buch des Autors George Weigel verschickt haben, das ein konservatives Anforderungsprofil für den künftigen Papst empfiehlt.

Nach unzähligen Italienern haben seit 1978 ein Pole, ein Deutscher und zuletzt ein Argentinier, immerhin mit italienischen Wurzeln, das Petrusamt übernommen. Jetzt wäre einmal ein Papst aus Afrika oder Asien fällig - oder doch wieder einmal ein Italiener?

Keine starke Trendwende

Es wäre kein Wunder, wenn der nächste Papst etwas konservativer ist als der heutige, aber eine starke Trendwende erscheint angesichts der aussichtsreichsten Papstanwärter unwahrscheinlich. Bei einer Papstwahl muss man mit dem Wort Favorit sehr vorsichtig sein, denn ein alter Spruch - der bei genauer Prüfung seltener zutrifft, als man glaubt - lautet: "Wer als Papst ins Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus."

Doch die letzten Päpste gehörten alle, obwohl das medial nicht immer so vermittelt wurde, zumindest zum erweiterten, wenn nicht sogar zum engsten Favoritenkreis. Schon längere Zeit steht der frühere Erzbischof von Manila, Luis Antonio Tagle (65 Jahre alt), vielfach sozial engagiert, ganz oben auf der Papabili-Liste. Franziskus hat den charismatischen, fast immer freundlich lächelnden Philippiner nach Rom geholt, an die Spitze des Dikasteriums für die Evangelisierung der Völker berufen und heuer in die höchste Ordnung der Kardinäle aufgenommen, zu den Kardinalbischöfen. Tagle war allerdings jüngst von der Abberufung der Führung der Caritas Internationalis durch den Papst betroffen, was einen Imageverlust für ihn bedeutet.

Ein weiterer chancenreicher Papstanwärter ist für die "vaticanisti" der neue Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz Matteo Zuppi (67). Der Erzbischof von Bologna ist mit der Vereinigung Sant’ Egidio verbunden, die sich besonders für Arme und Ausgegrenzte engagiert und damit ganz auf der Linie des gegenwärtigen Pontifex liegt. Aus Afrika zählt schon seit Jahren der aus Ghana stammende Kurienkardinal Peter Turkson (74), dem Umweltschutz ein besonderes Anliegen ist, zum Favoritenkreis.

Immer mehr ins Rampenlicht rückt Mario Grech (65), der aus Malta stammende Generalsekretär der Bischofssynode, der dank seiner Funktion allen Kardinälen besonders gut bekannt ist. Er ist auch verantwortlich für den gerade laufenden Synodalen Prozess in der Kirche. Immer steht auch der Kardinalstaatssekretär, die Nummer zwei im Vatikan, weit oben auf der Kandidatenliste. Der Italiener Pietro Parolin (67) ist aber mehr Diplomat als eine charismatische Führungsfigur und hat die Verantwortung für die Vatikan-Finanzen, der er offenbar nicht gewachsen war, abgeben müssen.

In der Hand Gottes

Jetzt feiert aber erst einmal Papst Franziskus, begleitet von vielen guten Wünschen aus aller Welt, seinen 86. Geburtstag. Er hat alle Gedanken an Rücktritt dementiert und zeigt sich entschlossen, das Schifflein Petri noch eine Weile zu steuern. Alle Überlegungen zu seiner Nachfolge müssen Spekulationen bleiben, denn niemand weiß, wie lange das gegenwärtige Pontifikat noch dauert und welche Kardinäle an dessen Ende das Wahlrecht besitzen werden.