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Obstruktion um jeden Preis

Von Alexander Dworzak und Klaus Huhold

Politik
WZ-Illustration: mozi

Die Posse im Repräsentantenhaus: Wer sind die radikalen Republikaner und was bedeuten sie für die USA?


Wochenlang hatten die Republikaner nach den Zwischenwahlen und der Eroberung des Repräsentantenhauses Vorbereitungszeit für die Inthronisierung bei der ersten Sitzung der Parlamentskammer am Dienstag. Dass es den Konservativen nicht gelang, sich auf einen Fraktionsführer, den sogenannten Speaker, zu einigen, war ein Debakel, welches im US-Parlament seit dem Jahr 1923 nicht gesehen worden ist. 20 der 222 republikanischen Abgeordneten verweigerten Kevin McCarthy die Gefolgschaft. Nach außen gab sich der 57-Jährige gelassen und erklärte, er habe kein Problem damit, neuer Rekordhalter für die meisten Wahlgänge als Speaker zu werden. Gilt doch der Posten als Lebensziel McCarthys und Krönung seiner Karriere im Repräsentantenhaus, die 2007 begann.

Um die parteiinternen Brüche zu kaschieren, meldete sich ausgerechnet der größte Spalter der US-Politik zu Wort, Ex-Präsident Donald Trump. Bevor die Abgeordneten am Mittwoch erneut über den Speaker abstimmten, rief Trump zur Wahl McCarthys auf. Dass auch dieser Appell nicht automatisch Gehör finden muss, zeigte sich, indem weiterhin andere Namen für den Posten gehandelt wurden, darunter der von Rechtsaußen-Kreisen unterstützte Jim Jordan.

Doch die Gemengenlage ist kompliziert, nicht einmal innerhalb des Rechtsaußen-Lagers der Partei und unter größten Trump-Anhängern herrscht Einigkeit über McCarthy. Ausgerechnet Marjorie Taylor Greene, Verschwörungstheoretikerin, Anhängerin der QAnon-Thesen über satanistischen Kindesmissbrauch unter den Demokraten und Verfechterin von Obstruktionspolitik, rief ihre Parteikollegen zu konstruktivem Verhalten auf: Es sei Zeit, McCarthy zu wählen und mit der Arbeit zu beginnen. "Wir können nicht einmal als Kongressmitglieder vereidigt werden, solange kein Speaker gewählt worden ist", erinnerte Greene ihre Republikaner. Den Abweichlern warf sie vor, "russisches Roulette mit der hart erarbeiteten Mehrheit" im Repräsentantenhaus zu spielen.

Derartige Vorwürfe ließen Lauren Boebert kalt. Die 36-jährige Abgeordnete aus Colorado zählte zu den Abweichlern und begründete das damit, McCarthy hätte einen Vorschlag von ihr und zwei weiteren Abgeordneten über Grenzsicherheit und Amtszeitbeschränkungen abgelehnt. Doch selbst TV-Moderator Bret Baier vom republikanischen Haussender Fox News ließ kein gutes Haar an Boeberts Plänen, dass ein Speaker abgesetzt werden könnte, sobald sich fünf Abgeordnete der Mehrheitsfraktion gegen ihn stellen. Im 435-köpfigen Repräsentantenhaus wäre mit diesem Vorschlag Chaos programmiert, kleinste Splittergruppen erhielten enormes Macht- und Drohpotenzial.

Doch sogar das war McCarthy bereit zu akzeptieren, ebenso wie einflussreiche Posten für Verschwörungstheoretiker und Anhänger der Behauptung, wonach die Präsidentschaftswahl 2020 zuungunsten Trumps manipuliert worden sei. Nicht einmal diese Zugeständnisse reichten, um die gesamte Fraktion hinter ihn zu versammeln. McCarthy gilt einem Teil als nicht als konservativ genug.

Staatliche Institutionenin Misskredit bringen

"Ideologisch agnostisch" nennt ihn der Fox News-Kommentator Tucker Carlson, ein Liebling der Anhänger Donald Trumps. "McCarthys wahre Wählerschaft ist die Lobbying-Community in Washington", höhnt Carlson. Er schlug McCarthy zwei Möglichkeiten vor, den Konflikt zu befrieden: Sämtliche Dokumente über den Kapitolsturm 2021 sollten veröffentlich werden. Und ein parlamentarischer Ausschuss sollte eingerichtet werden, um zu durchleuchten, "was FBI und Geheimdienste getan haben, um Innenpolitik zu kontrollieren". Beide Ansinnen wurzeln im Glauben an einen "tiefen Staat", der Bürgern die vermeintliche Wahrheit über Ereignisse verschweigt, Institutionen des Staates in Misskredit bringt und letztlich das Vertrauen in die Demokratie untergräbt.

Dazu passt, wonach sich erfahrene republikanische Abgeordnete mittlerweile in Medien beschweren, dass es den Radikalen überhaupt nicht um Parlamentsarbeit - die immer auch Kompromisse beinhaltet - geht, sondern sie vielmehr diese Bühne nützen wollen, um möglichst laut ihre Agenda in der Öffentlichkeit auszubreiten. Ihnen gilt der Langzeitabgeordnete McCarthy als Teil des Partei-Establishments, das wenn schon nicht gestürzt, dann zumindest geschwächt werden müsse.

Auf Anti-Establishment-Politik verstand sich stets auch Trump - wiewohl er zeitlebens zu den Eliten der USA gezählt hat. Vom Zenit seiner Popularität ist der Ex-Präsident derzeit freilich weit entfernt. Die Unterstützung Trumps für Kandidaten, welche das Präsidentenwahlergebnis 2020 leugnen, war laut Nachwahlanalysen einer der Hauptgründe, warum der Sieg der Republikaner viel geringer ausfiel als erwartet. Anstatt einer komfortablen Mehrheit halten sie mit ihren 222 Sitzen lediglich knapp über den notwendigen 218 Stimmen.

Für Präsident Joe Biden bedeutet das, dass er nur ein paar wenige Republikaner auf seine Seite ziehen muss, um seine Vorhaben durchzubringen, nachdem die Demokraten im Senat ohnehin die Mehrheit haben. Biden hat auch immer wieder betont, dass er an den Ausgleich und den Kompromiss über Parteigrenzen hinweg glaubt.

Trotzdem ist die neue Machtverteilung eine schwere Bürde für seine weitere Präsidentschaft. Denn für den radikalen Flügel der Republikaner ist eine Glaubensfrage, Biden und den Demokraten so viele Prügel wie möglich vor die Füße zu werfen. Und jeder Republikaner, der gegen diese Linie verstößt, droht zum Ausgestoßenen innerhalb seiner Partei zu werden.

Damit steht in wichtigen Fragen ein heftiges Gerangel bevor, das sich bis nach Europa auswirken könnte. Im Sommer dürften die USA nämlich wieder an der gesetzlich festgelegten Obergrenze für ihre Neuverschuldung anstoßen. Sparprogramme als Antwort sind für die Demokraten keine Option, das entspricht nämlich nicht Bidens groß angelegtem Infrastrukturprogramm. Es wird also darauf hinauslaufen, dass Biden die Schuldenobergrenze hinaufsetzen will. Dafür wird er aber schmerzhafte Kompromisse mit den Republikanern eingehen müssen. Bis es so weit kommt, droht Stillstand. Davon betroffen könnte auch die Hilfe für die Ukraine sein, die einige Republikaner, zumindest in ihrem Ausmaß, kritisch sehen. Und im kommenden Jahr könnte die Polarisierung ihren Höhepunkt erreichen, wenn Präsidentschaftswahlen anstehen.