Als auf den Radarschirmen über Montana ein unidentifiziertes Flugobjekt angezeigt wurde, ging man bei der US-Armee noch von einer Anomalie aus. Zu schnell war das Signal nach seinem ersten Auftreten wieder verschwunden. Dass es sich dabei nicht um ein zufälliges Phänomen handelt, wurde erst klar, als das Radarecho ein paar Stunden später auch über den Bundesstaaten Wisconsin und Michigan auftauchte. Ein F-16-Kampfjet der US-Luftwaffe stellte in sechs Kilometern schließlich Sichtkontakt zu dem achteckigen Objekt her. Nachdem Präsident Joe Biden den entsprechenden Befehl gab, wurde es am Sonntag um 14.42 Ortszeit über dem Huronsee an der Grenze zu Kanada abgeschossen.
Welche Aufgabe das unbemannte Luftfahrzeug genau hatte und ob es tatsächlich aus China stammt, ist auch Stunden nach dem Abschuss nicht klar. Und statt konkreter Antworten gibt es nach dem mittlerweile dritten Vorfall dieser Art derzeit vor allem mehr oder weniger plausible Theorien, die von klassischer Spionageaufklärung bis zu einem Austesten der amerikanischen Fähigkeiten beim Aufspüren fremder Luftfahrzeuge reichen. Denn anders als der riesige Ballon, der vor zehn Tagen in den US-Luftraum eingedrungen ist, waren die drei deutlich kleineren Objekte nur in einer Höhe von maximal zwölf Kilometern unterwegs.
Dass unbekannte Flugobjekte plötzlich gehäuft über den USA entdeckt werden, bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass es davor keine Eindringlinge im US-Luftraum gegeben hat. Vor der Entdeckung des großen Spionageballons lagen kleine und sich nur langsam fortbewegende Luftfahrzeuge aber ganz offensichtlich unter der Wahrnehmungsschwelle des Luftraumüberwachungssystems Norad, dessen Filter und Algorithmen darauf ausgerichtet waren, schnell fliegenden Flugzeuge oder Raketen aufzuspüren. "Was es wirklich schwierig macht, diese Luftfahrzeuge zu entdecken und zu verfolgen, ist ihre geringe Größe und ihre Form", sagt General Glen VanHerck, der Kommandant von Norad. "Diese Objekte haben eine sehr, sehr kleine Radarsignatur."
USA kalibrieren Radar neu
Laut der Nachrichtenagentur Reuters wurden die Norad-Radarsysteme nach dem Abschuss des großen Spionageballons vor allem dahingehend kalibriert, dass sie nun auch Objekte erkennen können, die maximal mit Windgeschwindigkeit fliegen. "Wir suchen unseren Luftraum nun in bestimmten Höhen viel genauer ab", sagt US-Vizeverteidigungsministerin Melissa Dalton. "Zum Teil erklärt das auch, warum wir nun auch deutlich mehr Objekte entdecken."
Nach Einschätzung von Luis Elizondo, der bis 2017 das UFO-Programm des Pentagons leitete, schicken die Gegenspieler der USA bereits seit Jahren Low-tech-Flugobjekte in den nordamerikanischen Luftraum. "Für China ist das eine ebenso kostengünstige wie hochwirksame Methode, um die USA zu drangsalieren", sagt Elizondo gegenüber der "New York Times".
Auf die Bedrohung durch feindliche Flugobjekte hatte im Jänner auch schon ein geheimer Report hingewiesen, den die US-Nachrichtendienste für den Kongress verfasst haben. Demnach gab es neben mehreren Vorfällen mit Ballonen und Drohnen auch mindestens zwei mutmaßliche Spionagezwischenfälle, bei denen bisher noch nicht bekannte Technologien zum Einsatz gekommen sein dürften. Laut dem Bericht, der alle Fälle seit dem Jahr 2021 dokumentiert, gab es zudem für 177 der 366 Sichtungen von unbekannten Flugobjekten keine offizielle Erklärung.
Aufschluss über die Einsatzziele von drei abgeschossenen Flugobjekten soll nun vor allem die Untersuchung der Trümmer geben. Die Bergung der Objekte ist aber schwierig. So müssen die Teile des in den Huronsees gestürzten Luftfahrzeugs erst von Tauchern geborgen werden, das vorige Woche im kanadischen Luftraum abgeschossene Luftfahrzeug ging in einem nur sehr schwierig zu erreichenden Gebiet im Nordwesten nieder, in dem die normalerweise eisigen Temperaturen die Suche wohl noch zusätzlich erschweren dürften.
Anzeichen für Deeskalation
Indessen gab es am Montagabend trotz der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China wegen des Ballon-Streits Anzeichen für eine Deeskalation. US-Außenminister Antony Blinken erwäge ein Treffen mit seinem chinesischen Konterpart Wang Yi am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz nächstes Wochenende, erfuhr die Nachrichtenagentur "Reuters" von mit der Angelegenheit vertrauten Personen. Blinken hatte wegen des Ballon-Streits eine Anfang Februar geplante Reise nach Peking abgesagt.
Die US-Regierung wies am Montag Vorwürfe Chinas zurück, amerikanische Höhenballons hätten die Volksrepublik ohne Erlaubnis überflogen. "Jede Behauptung, dass die US-Regierung Überwachungsballons die Volksrepublik China überqueren lässt, ist falsch", sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Adrienne Watson. China betreibe vielmehr Spionage mit Höhenballons, mit denen die Souveränität der Vereinigten Staaten und von über 40 Ländern auf fünf Kontinenten verletzt worden sei.
Watson reagierte damit auf Angaben des chinesischen Außenministeriums, nach denen im vergangenen Jahr mehr als zehn Mal US-Ballons in großer Höhe über chinesischem Territorium geflogen seien. Auf die Frage, wie China auf die Flüge reagieren werde, sagte der Ministeriumssprecher lediglich, die Reaktionen der Volksrepublik auf solche Vorfälle seien verantwortungsvoll und professionell.
Der Streit über Höhenballons hat die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen beiden Großmächten weiter eingetrübt. Anfang des Monats gab die US-Regierung bekannt, ein Überwachungsballon sei entdeckt worden und ließ ihn am 4. Februar vor der Küste von South Carolina abschießen. Am Freitag wurde ein zweites Objekt in der Nähe von Deadhorse, Alaska, abgeschossen. Ein drittes Objekt wurde am Samstag über dem kanadischen Yukon zerstört. Am Sonntag schoss ein US-Jet das bislang vierte Flugobjekt über der Grenze zwischen den USA und Kanada über dem Huron-See ab. (rs, reuters)