Die schweren Erdbeben in der Türkei haben nach Schätzungen der Weltbank direkte Sachschäden in Höhe von mehr als 34 Milliarden Dollar (rund 32,5 Milliarden Euro) verursacht. Die Gesamtkosten für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung könnten sogar doppelt so hoch sein, wie die Weltbank am Montag prognostizierte. Das ursprünglich erwartete Wachstum des türkischen Bruttoinlandsprodukts von 3,5 bis 4,0 Prozent in diesem Jahr werde um mindestens einen halben Punkt geringer ausfallen, sagte der für das Land zuständige Direktor, Humberto Lopez, vor Journalisten.

Die Weltbank hat der Türkei Soforthilfe in Höhe von 780 Millionen Dollar aus zwei bestehenden Projekten sowie eine Milliarde Dollar zusätzlich bereitgestellt.

Das Land wird nach der schweren Naturkatastrophe Anfang Februar immer wieder von Nachbeben erschüttert, so auch zu Wochenbeginn. Dabei wurde im Südosten der Türkei ein Mensch getötet, mehr als hundert Verletzte wurden gezählt, teilten die Behörden mit. 29 Gebäude sollen eingestürzt sein. In Trümmern wurde nach Überlebenden gesucht.

Das jüngste Nachbeben mit einer Stärke von 5,6 ereignete sich drei Wochen nach einem schweren Beben der Stärke 7,8, bei dem mehr als 50.000 Menschen in der Türkei und in Syrien ums Leben kamen. Die Weltbank will am Dienstag eine eigene Schadensschätzung für Syrien veröffentlichen. Die Situation in Syrien sei "wirklich katastrophal", sagte Anna Bjerde, Vizepräsidentin der Weltbankgruppe für Europa und Zentralasien.

Erdogan bittet um Vergebung

In der Türkei könnten die Erdbeben die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen beeinflussen, die bis Juni stattfinden sollen und die angesichts knapper Umfragewerte die größte politische Herausforderung für Präsident Recep Tayyip Erdogan in seiner zwei Jahrzehnte dauernden Herrschaft darstellen. Nach den schweren Erdstößen vor drei Wochen war Kritik am Krisenmanagement der Regierung laut geworden. Vielerorts wurde beklagt, dass Rettungsteams zu spät, in zu geringer Zahl und mit zu wenig Ausrüstung in die getroffene Region gekommen seien. In den Trümmern gefangene Menschen hätten so nicht gerettet werden können. In den Erdbebengebieten herrschten vielerorts Minusgrade, viele der Eingeschlossenen erfroren.

Auf einer Pressekonferenz am Montag in Adiyaman, einer der am stärksten von der Bebenkatastrophe betroffenen Provinzen, räumte Erdogan denn auch Mängel seiner Regierung bei der Reaktion auf die Katastrophe ein. "Wie jeder Sterbliche können auch wir Fehler, Mängel und Makel haben", befand der Präsident. Er bitte deswegen um Vergebung.

"In den ersten Tagen konnten wir die Arbeit in Adiyaman nicht so effizient durchführen, wie wir wollten, unter anderem wegen der zerstörerischen Wirkung der Erdstöße, des widrigen Wetters und der Herausforderungen durch die beschädigte Infrastruktur", führte Erdogan aus. Er bat "um ein Jahr" Zeit, um "die Wunden des Erdbebens zum Großteil" zu heilen.

Laut dem Weltbank-Bericht hat die Katastrophe türkische Regionen mit der höchsten Armutsquote getroffen, die außerdem mehr als 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge beherbergen. Die Organisation schätzt, dass 1,25 Millionen Menschen wegen der Schäden an ihren Häusern oder eines vollständigen Gebäudeeinsturzes obdachlos geworden sind. Die türkische Regierung hatte zuletzt von rund zwei Millionen Menschen ohne Obdach gesprochen. (reu/dpa)