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Eigeninteresse als Chinas Leitfaden

Von Klaus Huhold

Politik

Ob die Volksrepublik Russland Waffen liefern wird, hängt vor allem davon ab, welchen Nutzen sich China davon verspricht.


Man möge sich bitte nicht auf Angelegenheiten konzentrieren, die man nicht lösen könne, sagte der indische Premier Narendra Modi. Indien war Gastgeber des G20-Außenministertreffens, das diese Woche in Neu-Delhi stattfand, und wollte vermeiden, dass der Ukraine-Krieg die Zusammenkunft der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer beherrscht. Vielmehr sollten sich die Minister nach Indiens Vorstellungen lieber Herausforderungen wie Wachstum, Entwicklung, Katastrophenresilienz oder der finanziellen Stabilität widmen.

Doch das blieb ein frommer Wunsch. Auch dieser Gipfel war von Wortgefechten zwischen Russland und westlichen Vertretern überschattet. US-Außenminister Antony Blinken sagte, Russland beschädige die G20 mit seinem "ungerechtfertigten Krieg". Russlands Außenminister Sergej Lawrow wiederum meinte, westliche Delegationen hätten das Treffen zu einer "Farce" gemacht. An eine gemeinsame Erklärung zum Abschluss der Zusammenkunft am Donnerstag war so nicht zu denken.

USA sondieren Sanktionen

Der Westen hier, Russland dort - diese Frontstellung war von Anfang an klar. Offen war allerdings die Frage, wie sich andere Staaten mit nicht so eindeutiger Haltung verhalten würden. Gastgeber Indien hielt an seiner neutralen Position fest, doch China scheint immer mehr, so befürchtet man es zumindest im Westen, an die Seite Russlands zu rücken.

So verkündete der russische Außenminister Sergej Lawrow bei einem Treffen mit seinem neuen chinesischen Kollegen Qin Gang, dass Moskau die Zusammenarbeit mit China umfassend ausbauen wolle. Die chinesischen Vertreter widersprachen dem nicht.

Den Westen treibt nun die Sorge um, wie die Volksrepublik diese Zusammenarbeit definiert - und ob sie auch die Lieferung von Waffen beinhaltet. Laut CIA-Chef Bill Burns zieht Peking die Lieferung "tödlicher Unterstützung" an Russland zumindest "in Erwägung". Es sei allerdings noch keine endgültige Entscheidung gefallen, sagte Burns am Sonntag dem Sender CBS News.

Die USA wollen China von diesem Schritt abhalten, indem sie ihre Informationen sehr offensiv mit der Weltöffentlichkeit teilen und dabei gleichzeitig eine Drohkulisse aufbauen. So betonte Burns auch, dass eine chinesische Waffenlieferung "riskant und unklug" wäre.

Gleichzeitig sondieren die USA offenbar bei Verbündeten schon mögliche Sanktionen gegen China. So berichtet die Nachrichtenagentur "Reuters", dass die USA ihre diplomatischen Fühler Richtung G7 ausgestreckt haben, um ein gemeinsames Vorgehen gegen China im Fall des Falles zu sondieren. Zu den G7 gehören neben den USA Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und Großbritannien. Ein von den USA konsultierter Regierungsvertreter meinte allerdings, er habe bisher nur wenige Informationen erhalten, die die US-Annahme einer militärischen Unterstützung Russlands durch China stützten.

Die USA wollen nun mehr Informationen teilen. Und auch in westlichen Medien tauchen immer mehr Berichte auf, wonach China seinen strategischen Partner Russland mehr unterstützt, als Peking das offiziell zugibt. So berichtete kürzlich "Der Spiegel", dass russische Militärs mit dem chinesischen Drohnenhersteller Xi’an Bingo Intelligent Aviation Company über die Lieferung von 100 Kamikazedrohnen verhandeln, die jeweils mit 35 bis 50 Kilogramm Sprengstoff bestückt werden können. Zudem sollen die Russen beim Aufbau einer Eigenproduktion derartiger Drohnen unterstützt werden.

China weist derartige Vorwürfe von sich und betont, dass es sich an alle Regeln halte. Ob die Volksrepublik tatsächlich Waffen an Russland liefern wird, ist zum derzeitigen Zeitpunkt wohl noch unabsehbar. Klar ist aber, dass China in diesem Konflikt vor allem seinen eigenen Interessen folgt und auch in diesem Sinne über Waffenlieferungen entscheiden wird. Nur sind diese Interessen widersprüchlich.

China teilt rund 4.200 Kilometer Grenze mit Russland und will in dem Nachbarland mit einem freundlich gesinnten Regime zusammenarbeiten. "Wenn Putin stürzen und eine prowestliche demokratische Regierung an die Macht kommen würde, wäre das ein Albtraum für China", sagte Alexander Gabujew von der Denkfabrik "Carnegie Endowment for International Peace" der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

In diesem Sinne hat China kein Interesse daran, dass Putin am Ende seinen Angriffskrieg verliert. Und so kann auch die von Peking vorgelegte Friedensinitiative verstanden werden. Diese läuft nämlich darauf hinaus, dass die Ukraine für einen Frieden sämtliche Gebietsverluste akzeptieren soll. Russland ist aber selbst das zu wenig. Man sehe derzeit die Voraussetzungen für eine friedliche Lösung nicht gegeben, hieß es aus dem Kreml. Wenn Moskau einem derartigen Frieden nicht zustimmt, braucht es aber Waffen.

Stellvertreterkrieg droht

Darüber hinaus sieht die Volksrepublik die USA als größten Gegner an. Nach chinesischer Lesart unternehmen die USA alles in ihrer Macht Stehende, um Chinas Aufstieg zu verhindern. Deshalb erwartet sich die Volksrepublik laut Beobachtern auch keine Verbesserung der Beziehungen zu Washington, sollte es im Ukraine-Konflikt die Position der USA einnehmen. In diesem Sinne ist ein - auch durch Waffen - gestärktes Russland im Sinne Chinas, bindet der Ukraine-Krieg doch Kapazitäten der USA.

Es gibt für China also durchaus Gründe, die für Waffenlieferungen an Russland sprechen. Dem stehen aber starke Gegenargumente gegenüber. Die Volksrepublik würde damit ihren Konflikt mit den USA endgültig vollkommen eskalieren. Auch die Europäer, die weiterhin mit China den Ausgleich suchen, hätten dann kaum noch Argumente für ihre Position. China braucht Europa als Absatzmarkt und für seinen technologischen Fortschritt, für Europa ist wirtschaftliches Wachstum ohne China kaum denkbar. Geriete man in Frontstellung, wäre der Schaden für beide Seiten enorm.

Doch genau das droht zu passieren, sollte China nun Russland, vielleicht sogar großflächig, mit Waffen unterstützen. Denn dann würde der Ukraine-Krieg zu einem Stellvertreterkrieg werden, bei dem der demokratische Westen auf der einen und die autoritären Mächte China und Russland auf der anderen Seite stehen.