Wenn Olaf Scholz am Freitag im Weißen Haus eintrifft, wird der deutsche Bundeskanzler wohl auch auf seine Rede zur "Zeitenwende" zu sprechen kommen, die er mit im Gepäck hat. Denn bei seinem nur wenigen Stunden dauernden Arbeitsbesuch bei US-Präsident Joe Biden dürfte Scholz einen Nachweis gebrauchen können, dass er den Kurswechsel in der deutschen Politik nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wirklich ernst gemeint hat.

Im Bundestag hatte Scholz am Donnerstag versprochen, die Regierung in Kiew so lange wie möglich in ihrem Abwehrkampf gegen Moskau zu unterstützen und die Entscheidung über einen Friedenschluss den Ukrainern zu überlassen. Ein Jahr nach der Ankündigung des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens hatte der Kanzler zudem seinen Willen zur Aufrüstung der Bundeswehr bekräftigt. Man müsse die Rüstungsindustrie dazu bringen, dass sie eine "laufende Produktion von wichtigen Waffen, Geräten und Munition" aufbaue, erklärte der Kanzler, der ankündigte, den Großteil der Beschaffungsprojekte noch heuer unter Dach und Fach zu bringen.

Planen für die Zeit danach

Laut deutschen Regierungskreisen geht es bei dem Treffen in Washington darum, mit Biden in aller Ruhe und Vertraulichkeit über die Entwicklung in der Ukraine, aber wohl auch über die Sorgen der Europäer über die Sogwirkung der Klimatechnologie-Subventionen der USA zu sprechen. Die ungewöhnliche Organisation des Besuchs ohne Pressebegleitung hat aber prompt neue Spekulationen über transatlantische Differenzen ausgelöst, wie sie etwa CDU-Chef Friedrich Merz sieht. Bidens Sicherheitsberater Jack Sullivan hatte vor kurzem in einem Interview noch einmal klargemacht, dass die USA ihren Abrams-Kampfpanzer nur deshalb in die Ukraine schicken werden, weil Scholz darauf bestanden habe. Deutlich spürbar war in Washington auch der Ärger darüber, dass der Eindruck entstanden ist, die USA hätten die europäischen Panzerlieferungen gebremst.

"Die Organisation der Reise ist aber kein Krisenzeichen", sagt Sudha David-Wilp, Leiterin des Berlin-Büros des German Marshall Fund (GMF), der Nachrichtenagentur Reuters. Scholz und Biden wollten die Gelegenheit nutzen, die persönlichen Beziehungen zu vertiefen. Washington schaue zudem immer noch auf Berlin als die wesentliche Kraft zur militärischen Abstimmung in Europa. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hatten die USA mit ihrer historisch stärksten Präsenz auf dieser zur Tradition gewordenen Veranstaltung ein transatlantisches Zeichen gesetzt. Ein Drittel des US-Senats war in München und lobte Deutschland wegen der Zusage über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine.

Nach Ansicht von Marco Overhaus, US-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), müssten Präsident und Kanzler nun kurzfristig klären, wie es in der Ukraine weitergehen soll und wie man Kommunikationspannen wie bei den Panzern künftig vermeiden kann. "Es dürfte aber auch um mittel- und langfristige Fragen gehen, die teilweise sehr heikel sind: etwa den Wiederaufbau der Ukraine, die Verfolgung von Kriegsverbrechen, aber auch die Frage, wie ein politischer Prozess zur Beendigung des Krieges aussehen könnte", meint Overhaus. Im Bundestag hatte Scholz am Donnerstag erklärt, dass man sich gemeinsam mit den internationalen Partnern auch bereits Gedanken über eine künftige Nachkriegsordnung und Sicherheitszusagen für die Ukraine mache. In Washington könnten Scholz und Biden zudem den weiteren Umgang mit China absprechen. Die US-Regierung warnt seit Tagen, dass die Volksrepublik Russland Waffen liefern könnte. "Die Frage, welche Bereitschaft es in Deutschland und Europa gibt, für einen solchen Fall Sanktionen gegen China zu verhängen, steht im Raum", meint Overhaus (siehe auch Seite 3).

Gespräche über Subventionen

Auf Wunsch der deutschen Wirtschaft soll Scholz in Washington auch das Thema US-Subventionen ansprechen. "Die Wirtschaft blickt hoffnungsvoll auf den Besuch des Kanzlers", sagt der Chef der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Peter Adrian. "Beide Seiten sollten unbedingt sicherstellen, dass es nicht zu einem Handelskonflikt kommt. Ein Subventionswettlauf würde zulasten der Steuerzahler und des Wettbewerbs insgesamt gehen", warnt auch Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie.

Dass es zu keiner Diskriminierung ausländischer Produzenten durch den stark auf die Energiewende fokussierenden Inflation Reduction Act kommt, hatte Biden zwar versprochen - aber die Umsetzung der Regeln auf amerikanischer Seite birgt Tücken. Und so sehr die deutsche Regierung begrüßt, dass die Amerikaner nun den Kampf gegen den Klimawandel verstärken, so groß sind auch die Befürchtungen. "Es gibt viele Menschen in Berlin, die wirklich besorgt sind", meint GMF-Direktorin David-Wilp.(reuters/rs)