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Ein Dezennium mit Wellenschlägen

Von Heiner Boberski

Politik

Zehn Jahre Papst Franziskus: Überraschungen, Irritationen, Enttäuschungen.


Der Abend des 13. März 2013 ging in die Geschichte ein. Viele waren überrascht, als nicht der erklärte Favorit, der italienische Kardinal Angelo Scola, sondern der bisherige Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, als neu gewählter Pontifex auf der Loggia des Petersdoms in Rom erschien. Es war eine Überraschung, aber keine Sensation, denn Bergoglio hatte, wie aus einer anonymen Quelle glaubwürdig durchgesickert war, schon bei der Wahl seines Vorgängers Benedikt XVI. im Jahr 2005 die zweitmeisten Stimmen erhalten.

Nicht der Tod, sondern der erste Amtsverzicht eines Papstes seit dem späten 13. Jahrhundert war diesem ungewöhnlichen Konklave vorangegangen, dessen Ende der berühmte weiße Rauch aus dem Rauchfang der Sixtinischen Kapelle verkündete. Erstmals fiel die Wahl auf einen Lateinamerikaner, erstmals auf einen Jesuiten, und erstmals nannte sich ein Papst Franziskus. Damit zeichnete sich schon ein Programm in Richtung Sorge um die Armen und für die Umwelt ab.

Viele faszinierte, wie dieser Mann, der auf die sonst bei solchen Anlässen übliche Stola und Mozetta verzichtete, mit den schlichten Worten "Brüder und Schwestern, guten Abend" die Menge auf dem Platz begrüßte. Die nächste Überraschung bestand darin, dass er zunächst die Anwesenden bat, ihn zu segnen, ehe er selbst seinen ersten päpstlichen Segen spendete. Der erste nichteuropäische Papst seit dem 8. Jahrhundert präsentierte sich als "Bischof von Rom", den die Kardinäle "vom Ende der Welt" geholt hätten.

Bescheidenheit als Maxime

Versuche, den einstigen Provinzial der argentinischen Jesuiten als Komplizen der dortigen Militärdiktatur in den 1970er Jahren zu diskreditieren, hatten keinen Erfolg, denn viele damalige Oppositionelle stellten dem Nachkommen einer antifaschistischen italienischen Familie ein gutes Zeugnis aus. Franziskus machte Eindruck, als er nicht die päpstlichen Gemächer im Apostolischen Palast bezog, sondern sich auf Dauer im vatikanischen Gästehaus Santa Marta einquartierte, wo er regelmäßig mit den anderen Bewohnern speiste.

Schon vorher drückte sein ganzer Lebensstil Bescheidenheit aus. Er fuhr mit dem Bus statt wie vorgesehen mit einem Mercedes mit Chauffeur und trug sein Gepäck selbst. Franziskus orientierte sich offensichtlich am sogenannten Katakombenpakt von 1965. Damals hatten sich etwa 40 Bischöfe aus aller Welt in der Domitilla-Katakombe in Rom getroffen und sich gemäß einem Leitwort des Konzilspapstes Johannes XXIII. zu einer armen und dienenden Kirche verpflichtet.

Von Anfang an war sein Pontifikat von starken Gesten geprägt - und Bildern, die um die Welt gingen. Das galt schon für seine erste Reise aus Rom, als Franziskus auf der Insel Lampedusa einen humanen Umgang mit Flüchtlingen einmahnte. Die traditionelle Fußwaschung am Gründonnerstag nimmt er immer wieder an Häftlingen im Gefängnis vor, von denen viele anderen Religionen angehören. Ein starkes Zeichen setzte der Papst auch 2020 während der Corona-Pandemie, als er auf dem menschenleeren Petersplatz einen außerordentlichen "Urbi et Orbi"-Segen spendete und zur Nächstenliebe und zum Erkennen der echten Prioritäten im Leben aufrief.

Der argentinische Papst übernahm kein leichtes Erbe, schon wegen der zunehmend offensichtlich gewordenen Missbrauchsfälle in aller Welt, für die man mit Recht katholische Geistliche und Institutionen verantwortlich machte. Gegen Ende des Pontifikats seines deutschen Vorgängers waren auch immer wieder vertrauliche Dokumente vom päpstlichen Schreibtisch an die Öffentlichkeit gelangt - der damalige Vatikan-Pressesprecher Federico Lombardi prägte dafür den Begriff "Vatileaks" -, die auf zahlreiche Missstände in der Kirchenzentrale hinwiesen: mit Bezug auf die Vatikanbank IOR, auf Korruption und Günstlingswirtschaft, auf eine Lobby von Homosexuellen.

Reform des Apparats

Es lag nahe, dass Franziskus bei diesen Problemen ansetzte und vordringlich eine Reform des kirchlichen Behördenapparats in Rom, der Kurie, in Auftrag gab. Immer wieder prangerte er auch in Weihnachtsansprachen "Krankheiten der Kurie" an, etwa "spirituellen Alzheimer", was ihn beim dortigen Mitarbeiterstab sicher nicht beliebt machte.

Nach jahrelangen Vorarbeiten trat zu Pfingsten 2022 "Predicate Evangelium", das Grundlagendokument zur Kurienreform, in Kraft. Wichtige Neuerungen sind die Gleichstellung der päpstlichen Behörden, nunmehr 16 "Dikasterien", deren Leitung theoretisch auch Laien, darunter auch Frauen, anvertraut werden kann. Zu den wichtigsten Zielsetzungen der Reform gehören ein Fokus auf das im Titel angesprochene Verkünden des Evangeliums und eine Dezentralisierung - die Kurie steht nun nicht mehr nur im Dienst des Papstes, sondern auch der Bischöfe und der Bischofskonferenzen der Weltkirche.

Wichtige Reisen

Franziskus hat wie seine Vorgänger große und wichtige Reisen unternommen, großen Wert auf den interreligiösen Dialog und die christliche Ökumene gelegt und mit mehreren Lehrschreiben Aufsehen erregt. Sein Vorgänger hatte Enzykliken über die Hoffnung und über die Liebe verfasst, aber eine über den Glauben unvollendet gelassen, die Franziskus im Juni 2013 unter dem Titel "Lumen fidei" fertigstellte.

Ganz seine eigene Handschrift trug dann im November 2013 das Lehrschreiben "Evangelii gaudium", aus dem vor allem der Satz "Diese Wirtschaft tötet!" zitiert wurde. Er drückt signifikant die Kritik des Papstes an heute weit verbreiteten ökonomischen Verhältnissen aus, die Menschen ausbeuten und Ungleichheit und Unfrieden fördern. Seinem Papstnamen entsprechend hat sich Franziskus immer wieder auf die Seite der Armen und Ausgegrenzten gestellt, aber auch leidenschaftlich für die Bewahrung der Schöpfung eingesetzt, etwa in seiner vielbeachteten Umwelt-Enzyklika "Laudato si‘" von 2015.

Das Pontifikat von Papst Franziskus hat zwar die konservativen Kräfte in der katholischen Kirche merklich irritiert und den Progressiven Auftrieb gegeben, letztlich aber auch von ihnen viele enttäuscht, die sich etwa die Abschaffung des Pflichtzölibats, Weiheämter für Frauen oder Reformen ethischer Normen, vor allem im Bereich Sexualität, wünschen. In diese Richtung hat der argentinische Pontifex wenig bis keine Reformbereitschaft erkennen lassen. Den Konservativen geht es freilich bereits eindeutig zu weit, dass zum Beispiel im päpstlichen Schreiben "Amoris laetitia" von 2016 der Empfang der Eucharistie für wiederverheiratete Geschiedene kein absolutes Tabu bleibt, denn das widerspricht aus ihrer Sicht der traditionellen katholischen Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe.

Am Freitag wurde bekannt, dass der Papst den Zölibat als revidierbar ansehe.

Eigene Wegen in Personalpolitik

Franziskus scheut keine Konflikte und ist bereit, wichtige Kirchenmänner zu entmachten, wenn es ihm - aus unterschiedlichen Gründen - nötig erscheint. Zum Beispiel wurde der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller nicht als Chef der Glaubenskongregation verlängert, dem deutschen Kurienerzbischof und ehemaligen Sekretär von Papst Benedikt XVI. Georg Gänswein entzog Franziskus die Präfektur des Päpstlichen Hauses, dem Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin die Vatikanfinanzen und dem als äußerst "papabile" geltenden philippinischen Kurienkardinal Luis Antonio Tagle die Leitung der Caritas internationalis.

In seiner Personalpolitik geht der Papst aus Südamerika eigene Wege, deren Folgen erst ganz sichtbar werden dürften, wenn es um seine eigene Nachfolge geht. In das Kollegium der Kardinäle, das eines Tages den nächsten Papst wählen wird, hat er keineswegs nur Inhaber "traditioneller Kardinalssitze" berufen, sondern oft Bischöfe und Theologen, die wie er "vom Ende der Welt" kommen, und damit die kontinentalen Mehrheitsverhältnisse weiter nach Süden und Osten verschoben. Ob ein Österreicher den nächsten Papst wählen wird, ist daher keineswegs sicher. Wesentlich besser als zuletzt werden aber im nächsten Konklave Länder vertreten sein, in denen die Anteile der Katholiken an der Bevölkerung noch wachsen oder jedenfalls weniger schrumpfen als im "christlichen Abendland".