Die wütenden Proteste gegen den Justizumbau in Israel haben einen vorläufigen Erfolg gebracht: Premier Benjamin Netanjahu kündigte im Beisein seiner Minister an, dass die Angelegenheit doch nicht so abgewickelt werde wie ursprünglich geplant. So soll es Änderungen bei jenem Gremium geben, das künftig die Richterinnen und Richter ernennen wird. Außerdem soll die Geschwindigkeit, in dem das Vorhaben durchgezogen wird, gedrosselt werden. Bis jetzt ging es darum, die Reformen im Eilzugtempo durchzuboxen.
Netanjahu und seine Minister eröffneten den Israelis am Montag, dass einige Gesetzesentwürfe erst zu Beginn der Sommersitzung Ende April dem Parlament vorliegen werden. Die Opposition könne so die Zeit für weitere Verhandlungen nutzen, "um eine Verständigung (. . .) zu erreichen". Ein etwas abgeschwächter Entwurf zur Zusammensetzung des Richterwahlausschusses soll trotzdem bis Anfang April durchgebracht werden, wie es weiter in der Stellungnahme hieß.
Die Änderung bei der Besetzung von Richterposten gilt als ein zentraler Teil des umfassenden Gesetzesvorhabens, das in Israel bei der Opposition, in der Armee, in der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft auf entschiedenen Widerstand stößt.
Ziel ist ein Kompromiss
Der neue Vorschlag sieht Medienberichten zufolge vor, dass die Regierung zwei Richter des Obersten Gerichts selbst auswählen kann. Anders als in einem vorherigen Entwurf müssen andere Ernennungen des elfköpfigen Gremiums von mindestens einem Oppositionsmitglied und mindestens einem Richter gebilligt werden.
Die Regierung hätte jedoch auch in dem neuen Vorschlag eine knappe Mehrheit von sechs zu fünf in dem Ausschuss. Aktuell besteht das Gremium aus vier Mitgliedern von politischen Parteien, drei Richterinnen und Richtern sowie zwei Mitgliedern der israelischen Rechtsanwaltskammer. Der Vorsitzende des Justizausschusses der Knesset, Simcha Rothman, sagte, der neue Entwurf solle dafür sorgen, den Menschen in Israel das Gefühl zu geben, ihre Richterinnen und Richter selbst wählen zu können und gleichzeitig "politische Kräfte" daran zu hindern, die "Macht im Höchstgericht" zu übernehmen. Ziel sei es jedenfalls, einen Kompromiss zu erzielen.
Die Protestbewegung hat die Regierung damit vorerst nicht besänftigen können: Die Änderung sei "eine Kriegserklärung gegen das Volk und die israelische Demokratie", hieß es dort. Oppositionsführer Yair Lapid teilte mit, der Vorschlag sei nicht weniger als eine "feindliche politische Übernahme des Justizsystems". Der Richterwahlausschuss werde so zum "Ausschuss zur Ernennung von Kumpanen". Die Opposition will die gesamte Reform gerichtlich anfechten.
Kritiker sehen Israels Gewaltenteilung in Gefahr, das demokratische System gefährdet und warnen vor einer gefährlichen Staatskrise. Einen von Staatspräsident Yitzhak Herzog vorgelegten Kompromissvorschlag hatte Netanjahu zuletzt zurückgewiesen. Die Opposition stellte sich dahinter.
Erst am Samstag hatten Tausende Israelis gegen die Reform protestiert. Auch US-Präsident Joe Biden hat Netanjahu dringend zu einem Kompromiss aufgefordert. In einem Telefonat unterstrich er, dass bei dem geplanten Umbau der Justiz die demokratischen Grundwerte respektiert werden müssten. Die demokratischen Prinzipien seien ein "Markenzeichen" der US-israelischen Beziehungen, befand Biden.
"Palästinenser gibt es nicht"
Israels aktuelle Regierung ist allerdings kein einfacher Gesprächspartner. Ihre Sicht auf die Welt ist oft eigenwillig, die Protagonisten sind rationalen Argumenten schwer zugänglich.
So hat der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich am Sonntag die Existenz des palästinensischen Volkes schlichtweg geleugnet. "So etwas wie Palästinenser gibt es nicht, weil es so etwas wie ein palästinensisches Volk nicht gibt", so Smotrich bei einer Veranstaltung in Paris. Es sei von "einigen Arabern in der Region erfunden worden, um die zionistische Bewegung zu bekämpfen". Diese "historische Wahrheit" müsse überall gehört werden. "Es gibt keine palästinensische Geschichte. Es gibt keine palästinensische Sprache", erklärte Smotrich weiter in der auf Hebräisch gehaltenen Ansprache. Er ergänzte, Menschen wie er und seine Großeltern seien die "wahren Palästinenser" und verwies darauf, dass seine Familie bereits seit dreizehn Generationen in der Region lebe.
Israels frühere Regierungschefin Golda Meir hatte sich vor Jahrzehnten dazu ähnlich geäußert.
Das palästinensische Außenministerium sprach von hetzerischen Äußerungen Smotrichs, die "rassistisch, faschistisch und extremistisch" seien und eine weitere Eskalation in der Region förderten. Smotrich hatte zuletzt mit Aussagen über die palästinensische Kleinstadt Huwara international für Empörung gesorgt. Er forderte nach einem tödlichen Anschlag auf Israelis, der Staat solle den Ort "ausradieren". Nach deutlicher Kritik aus den USA distanzierte er sich wieder von diesen Äußerungen.
Durch Huwara führt eine zentrale Straße, die täglich von vielen israelischen Siedlern im Westjordanland genutzt wird.
Unterdessen steigt in Israel die Sorge vor dem Beginn des Fastenmonats Ramadan. Mit bis zu 2.000 zusätzlichen Beamten soll die Polizeipräsenz in der Jerusalemer Altstadt verstärkt werden. Zehntausende Palästinenser werden zum Freitagsgebet auf dem Tempelberg erwartet, mit Krawallen ist zu rechnen. (red.)