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Die Hölle von Falludscha

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die US-Operation "Iraqi Freedom" geriet vor 20 Jahren zum Desaster.


Es ist ein Uhr nachts. Die Reporterin steht am Heliport in der schwer bewachten Grünen Zone in Bagdad und wartet auf den Hubschrauber, der sie nach Falludscha mitnimmt. Das erste Mal für eine deutschsprachige Journalistin, Deutschland und Österreich sind nicht Teil der Kriegsallianz. Aus Sicherheitsgründen fliegen die amerikanischen Streitkräfte nur nachts. Tagsüber ist es zu gefährlich. Flugzeuge und Hubschrauber werden dann beschossen. Die Stadt liegt zwar nur 80 Kilometer von Bagdad entfernt, aber die Straße dorthin ist noch gefährlicher als der Luftweg.

Es ist März 2005 und die US-Truppen sind jetzt zwei Jahre im Irak. Präsident George W. Bush hatte schon längst das Ende der Kampfhandlungen ausgerufen, doch danach ging es erst richtig los. Der Widerstand gegen die Besatzer formierte sich, täglich gab es Anschläge auf US-Truppen und alle, die mit ihnen zu tun hatten und für sie arbeiteten. US-Administrator Paul Bremer löste über Nacht die irakische Armee auf als ein Relikt aus den Zeiten Saddam Husseins, die GIs machten Jagd auf seine Anhänger.

In Falludscha gab es viele davon, mehr als in anderen Städten. Die internationale Terrororganisation Al Kaida mischte sich ein und verzahnte sich mit den irakischen Aufständischen. Falludscha wurde zum Hotspot des sunntischen Terrors für das ganze Land.

Inferno für die Besatzer

Erbitterte Kämpfe mit den Amerikanern, zwei blutige Schlachten mit vielen Verlusten. Im Gefängnis Abu Ghraib, gleich neben Falludscha, folterten amerikanische Soldaten irakische Gefangene. Sunnitische Aufständische überfielen einen Konvoi der amerikanischen Sicherheitsfirma Blackwater, ermordeten vier Mitarbeiter, zündeten die Leichen an und hängten sie über die Brücke am Euphrat.

Falludscha wurde zum Inferno der Besatzer. Erst General David Petraeus gelang es 2008 in einem Bündnis mit den Scheichs von Falludscha, das Ruder herumzureißen und den Irak nicht ins totale Chaos abgleiten zu lassen.

Als der zweimotorige Chinook-Hubschrauber donnernd heranknattert, um die Reporterin nach Falludscha zu fliegen, kommt unweigerlich die Szene aus Saigon vor Augen, als US-Truppen schmählich aus Vietnam abzogen. "Ich hoffe, wir ziehen hier nicht auch wieder zu früh ab", sagt die amerikanische Presseoffizierin. Doch es sollte so kommen.

Doktor Talib Al-Janabi hat allem standgehalten. Doch jetzt ist er müde, seine Augen sind leer, sein Haar ist ergraut. Der Arzt sitzt in einem Zimmer seines privaten Krankenhauses gleich an der Einfahrt nach Falludscha. Über der Tür steht bescheiden "Manager". Er habe jetzt eine reine Geburtenklinik mit einer kleinen gynäkologischen Abteilung. Notaufnahmen wie früher und Akutbehandlungen mache er nicht mehr, sagt der Mediziner. Zwei Mal habe er sein Krankenhaus neu aufgebaut, technisch neu ausgestattet und "alles ist kaputt gegangen".

Für ein drittes Mal reiche die Kraft nicht mehr. Als die Amerikaner sich mit den Aufständischen und Al Kaida heftige Schlachten lieferten, benutzten beide Seiten Janabis private Klinik, weil das städtische Krankenhaus zerbombt wurde, wie überhaupt die ganze Stadt.

Falludscha lag in Schutt und Asche. Auch Janabis Krankenhaus wurde nicht vor Zerstörung verschont. Bei dem Besuch im Frühjahr 2005 zeigte er zerschossene Brutkästen, ein zerstörter Kreißsaal. Die obere Etage der Klinik war unbrauchbar, die unteren Behandlungsräume funktionierten noch.

Weil er sowohl US-Soldaten als auch Aufständische behandelte, wurde Janabi von allen Seiten bedroht. Seine Familie brachte er nach Bagdad in Sicherheit. Er blieb in seiner Klinik und arbeitete weiter. Zum Wiederaufbau habe er von den Amerikanern Geld bekommen. Aber das reichte nicht für eine moderne technische Ausstattung.

"Alle kamen zu mir"

Als die US-Truppen 2011 aus dem Irak abzogen, hatte das Janabi-Hospital viel zu tun. "Alle kamen zu mir, weil das städtische Krankenhaus lange nicht funktionsfähig war", sagt der Manager. Doch dann kam die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Als erste Stadt im Irak fiel Falludscha schon im Januar 2014 unter ihre Kontrolle. "Ich habe die Amerikaner wieder zurückgeholt", sagt Hoschjar Zebari im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der am längsten gediente Außenminister Iraks (2003-2014) nach dem Sturz Saddam Husseins wohnt jetzt in einem großzügigen Haus außerhalb der Kurdenmetropole Erbil. Vom Empfangszimmer aus hat man einen wunderbaren Blick auf die kurdischen Berge, das satte Grün des Frühlings. In den letzten Amtswochen von George W. Bush sei er nach Washington gereist und habe das Rückzugsabkommen der US-Truppen aus dem Irak unterzeichnet, sagt der kurdische Politiker. Bush-Nachfolger Barack Obama hätte es dann vollzogen, obwohl er, Zebari, ihm damals schon riet zu bleiben, da der Irak nicht stabil genug sei, um auf eigenen Füßen zu stehen.

Doch Obama wollte nichts mit dem Irak zu tun haben. Es sei nicht sein Krieg, hat er immer wieder betont. Als der IS Falludscha, Mosul und Tikrit eingenommen hatte, die Jesidenstadt Sinjar überfiel, ein Massaker an der dortigen Bevölkerung anrichtete und daraufhin auch auf die Kurdengebiete Kurs nahm, griffen die USA ein. Zunächst mit Luftangriffen, später auch mit Soldaten im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition, der dann auch Deutschland angehörte. "Dieses Mal haben die Amerikaner uns zugesagt, so lange zu bleiben, wie es nötig ist", behauptet Zebari fest. Und tatsächlich wird kurz vor dem zwanzigsten Jahrestag des Einmarsches bekannt, dass die 1.500 US-Soldaten vorerst im Irak bleiben sollen. Der IS sei noch nicht besiegt, auch wenn das Kalifat, deren Staat, nicht mehr existiere.

Immer wieder Anschläge

Doch im Norden Iraks werden zunehmend wieder Anschläge auf Öleinrichtungen und Sicherheitskräfte verzeichnet, die auf das Konto der Terrormiliz gehen. Einwohner der nördlichen Provinzen Kirkuk und Salahedin reden von Schutzgelderpressungen, wie es sie vordem gegeben hat zur Geldbeschaffung. In Falludscha ist es bislang ruhig geblieben, seitdem die Terrormiliz 2016 von hier vertrieben wurde. "Es ist seit 2003 nicht so sicher wie in den letzten fünf Jahren", sagen Einwohner der Stadt, die sich im berühmtesten Kebab-Restaurant Iraks zum Mittagessen treffen.

Hajji Hussein ist eine Institution in Falludscha und hat mittlerweile Filialen im ganzen Land. Über den Verbleib der Amerikaner im Irak ist man in Falludscha nicht begeistert. Die Ablehnung gegenüber Washington sitzt tief.

Immer wieder fällt der Name Mohamed Al Halbusi, wenn es um Gegenwart und Zukunft der Stadt geht. Der erst 42 Jahre alte sunnitische Politiker habe dafür gesorgt, dass hier wieder aufgebaut wurde, Straßen teeren lassen, Investoren geholt, die Wohnungen und Häuser errichteten. Als Gouverneur sei er erstklassig gewesen, sind sich die Gäste bei Hajji Hussein einig. Doch seitdem er in Bagdad sei und Präsident des Parlaments, habe er sich verändert und die Entwicklung in Falludscha sei zum Stillstand gekommen.

Omar, der für die sunnitische Religionsbehörde in Falludscha arbeitet, sagt, dass es derzeit nirgends weitergehe und nur derjenige einen Job bekomme, der in Halbusis Fortschrittspartei eintrete. Klientelpolitik, wie überall im Irak. "Ich bin in seiner Partei", sagt Omar, "und trotzdem sehe ich, was nicht läuft." Auch Korruption spiele eine Rolle. Strom sei noch immer unzureichend und die Wasserqualität schlecht.

Das bestreitet Banan Medech, der bei der Wasserbehörde in Falludscha arbeitet. Das Trinkwasser käme aus dem Euphrat, sagt der Ingenieur, wöchentlich würden Proben entnommen und immer wieder festgestellt, dass die Qualität den vorgeschriebenen Normen entspräche.

Allerdings, so schränkt Banan Medech ein, seien die Leitungen veraltet, Rohre müssten ausgetauscht werden. Doch das Geld dafür geht zunächst in einen Neubau der Wasserbehörde. Banan zeigt ein tempelartiges Gebäude, das noch im Bau ist und für über 1.000 Mitarbeiter geplant wurde. Falludscha ist noch lange nicht fertig.

Die US-Operation "Iraqi Freedom" geriet vor 20 Jahren zum Desaster. Falludscha, nordwestlich von Bagdad, wurde zum Symbol des Scheiterns. Jetzt wird wieder aufgebaut, doch politische Hürden versperren den Weg.