Vor Wahlen fliegen bisweilen verbal ordentlich die Fetzen. Nicht immer mit politischen und juristischen Konsequenzen. Den indischen Oppositionspolitiker Rahul Gandhi holten nun aber Aussagen aus dem Wahlkampf 2019 ein.
Wie es sein könne, "dass alle Diebe den Namen Modi haben", hatte sich Gandhi im Hinblick auf zwei flüchtige Geschäftsmänner gefragt. Die Referenz zum späteren Ministerpräsidenten Narendra Modi von der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) lag für viele Inder auf der Hand, so auch für die Justiz. Ein Gericht im Bundesstaat Gujarat hatte gegen Gandhi am Donnerstag eine zweijährige Haftstrafe wegen Rufschädigung verhängt. Nur einen Tag nach der äußerst umstrittenen Verurteilung wurde der führende indische Oppositionelle aus dem Unterhaus des Parlaments ausgeschlossen. Laut nationalem Recht verlieren verurteilte Politiker mit sofortiger Wirkung ihren Parlamentssitz.
Umstrittenes Urteil
Rahul Gandhis Partei, der Indische Nationalkongress (INC), deren Präsidentschaft er nach der Wahlniederlage 2019 niederlegte, hatte im Norden und Osten des Landes zu Protesten gegen das Gerichtsurteil aufgerufen. Denn Parteifreunde und Unterstützer des 52-Jährigen vermuten im Urteil politische Motivation. "Die BJP hat Angst vor dem Aufstieg von Rahul Gandhi. Er stellt eine direkte Bedrohung für die Modi-Regierung dar", sagte etwa der INC-Abgeordnete Pradip Bhattacharya. Gandhi werde "nicht aufhören, die Vetternwirtschaft und die aktive Rolle dieser Regierung bei deren Förderung aufzudecken", meint der nationale Sprecher der Partei, Pawan Khera.
Seitens der regierenden BJP wies man den Vorwurf zurück. Gandhi habe nicht nur den Premierminister Narendra Modi beleidigt, sondern auch alle Inder, die den gleichen Nachnamen hätten. "Eine Sache ist es, die Politik der Regierung in Frage zu stellen, das würde als gesunde Debatte gelten, aber der Kongress hat sich eindeutig nie an solche Regeln gehalten", sagte der Parteivorsitzende Jagat Prakash Nadda gegenüber Reuters.
Gandhi, der sich auf Kaution zurzeit auf freiem Fuß befindet, hat nun einen Monat Zeit, Berufung gegen seine Verurteilung einzulegen. "Ich kämpfe für die Stimme Indiens und bin bereit, jeden Preis zu zahlen", twitterte er Stunden nach seiner Abberufung. Ein weiterer Sprecher des Kongresses sagte am Freitag, die Partei sei zuversichtlich, dass das Urteil aufgehoben werde. Geschieht dies nicht, läuft der Oppositionspolitiker Gefahr, bei den Parlamentswahlen Mitte 2024 nicht an den Start gehen zu können.
Das wäre nach der Schlappe bei den letzten Wahlen ein weiterer Rückschlag für den einst dominanten INC. Während Indiens 75-jähriger Unabhängigkeit von Großbritannien wurde die größte Demokratie der Welt 54 Jahre lang vom Nationalkongress regiert. In den letzten beiden Urnengängen sah sich die Partei jedoch klar von der konkurrierenden BJP auf die Plätze verwiesen. 2014 wurde der Nationalkongress von den Hindu-Nationalisten als stärkste Partei abgelöst. Seit 2019 hält er bei kaum noch zehn Prozent der Unterhaussitze, kontrolliert aber nach wie vor einige wichtige Bundesstaaten.
Ende einer Dynastie?
Auch Gandhi entstammt einer erfolgreichen indischen Politfamilie, die bislang drei Ministerpräsidenten hervorgebracht hat. Seine Mutter Sonia Gandhi war zudem die dienstälteste INC-Präsidentin. Selbst schaffte es der BJP-Kritiker - der nicht mit Nationalheld Mahatma Gandhi verwandt ist - weder in ein Ministeramt, noch vermochte er, dem INC zu großen nationalen Wahlerfolgen zu verhelfen. Zuletzt versuchte er, seiner angeschlagenen Partei durch einen 135-tägigen Fußmarsch quer durch Indien neues Leben einzuhauchen. (jm/apa/reuters)