Angesichts wachsender Spannungen mit dem Westen hat der russische Präsident Wladimir Putin eine Stationierung taktischer Atomwaffen im Nachbarland Belarus - das direkt an die Ukraine grenzt - angekündigt. Mit dieser Verlegung nach Westen will Russland erstmals seit den 1990er Jahren Nuklearwaffen außerhalb des eigenen Staatsgebiets bereithalten. Belarus ist der engste Verbündete Russlands bei dessen Krieg gegen die Ukraine, hat allerdings keine eigenen Truppen in die Kämpfe geschickt.

Im Gegensatz zu strategischen sind taktische Atomwaffen aufgrund ihrer geringeren Zerstörungskraft und Reichweite für den Einsatz auf dem Schlachtfeld konzipiert. Taktische Atomwaffen haben eine geringere Reichweite als Interkontinentalraketen, aber auch noch mehrere hundert Kilometer. Die Sprengwirkung liegt zwischen 1 und 50 Kilotonnen TNT. Russland stationiert aber keine strategischen Atomwaffen in Belarus, die etwa die USA erreichen könnten.

Mit der Stationierung reagiert Putin auf die zunehmenden Spannungen mit der Nato im Zuge seines Krieges gegen die Ukraine. Konkret empörte sich Moskau zuletzt über die mögliche Lieferung von Uranmunition aus Großbritannien an die Ukraine. Die Geschosse mit abgereichertem Uran haben eine besondere Schlagkraft, um etwa Panzer zu zerstören. Putin warnte im Staatsfernsehen vor dem Einsatz solcher Munition. Uranmunition gehöre "zu den schädlichsten und gefährlichsten für den Menschen", da der Uran-Kern radioaktiven Staub verursache und die Böden verseuche. "Wir haben ohne Übertreibung Hunderttausende solcher Geschosse", sagte er. Bisher seien sie aber nicht eingesetzt worden.

"Abkommen werden nicht verletzt"

Vorbild der Vereinbarung mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko sei die Stationierung von gut der Hälfte des Arsenals an taktischen Nuklearwaffen der USA bei ihren Verbündeten in Europa, konkret auf Luftwaffenstützpunkten in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Italien und der Türkei. Darauf verwies Putin bei der Bekanntgabe seiner Vereinbarung mit Lukaschenko: "Wir haben vereinbart, dass wir dasselbe tun - ohne unsere Verpflichtungen zu verletzen, ich betone, ohne unsere internationalen Verpflichtungen zur Nichtverbreitung von Nuklearwaffen zu verletzen." Mit Großbritannien und Frankreich besitzen zwei weitere Nato-Staaten eigene Atomwaffen.

Die britische Armee verwendet seit Jahrzehnten abgereichertes Uran in panzerbrechenden Geschossen. Das Verteidigungsministerium in London warf Putin Falschinformation vor, nachdem er von einer "nuklearen Komponente" gesprochen hatte. Putin wisse, dass dies nichts mit nuklearen Waffen oder Fähigkeiten zu tun habe.

Putin sagte, der Bau eines Lagers für taktische Nuklearwaffen in Belarus solle bis zum 1. Juli abgeschlossen werden. Russland habe in dem Nachbarland zehn Flugzeuge stationiert, die als Träger derartiger Waffen geeignet seien. Auch eine Anzahl taktischer Iskander-Marschflugkörper, die zum Abschuss von Nuklearwaffen geeignet seien, sei nach Belarus verlegt worden. Die Bedienungsmannschaften sollten vom 3. April an entsprechend ausgebildet werden. Russland behalte die Kontrolle über die Sprengköpfe. "Wir geben sie nicht ab. Und die USA geben sie nicht an ihre Verbündeten ab. Wir machen im Grunde dasselbe, was sie seit einem Jahrzehnt machen", sagte Putin. Darum habe ihn Lukaschenko gebeten. Wann die Waffen nach Belarus verlegt werden sollen, sagte Putin nicht.

"Das ist Teil von Putins Versuch, die Nato einzuschüchtern">/ZT>

Stellungnahmen der USA und anderer westlicher Staaten wie Deutschland lagen zunächst nicht vor. Wissenschaftler werteten Putins Ankündigung als wichtiges Signal. "Das ist ein Teil von Putins Versuch, die Nato einzuschüchtern", sagte der Experte Hans Kristensen von der Rüstungs- und Sicherheitsthemen spezialisierten Federation of American Scientists. Militärischen Nutzen ziehe Russland aus diesem Schritt allerdings nicht, da es bereits ein umfassendes Atomwaffenarsenal auf dem eigenen Staatsgebiet unterhalte. Nikolai Sokol vom Vienna Center for Disarmament and Non-Proliferation bezeichnete Putins Entscheidung als wesentlichen Schritt. Dass Russland Atomwaffen außerhalb seines Territitoriums stationiere, sei eine große Veränderung.

Nach der Auflösung der Sowjetunion hatte sich Russland mit anderen Nachfolgestaaten darauf geeinigt, das sowjetische Atomwaffenarsenal allein zu übernehmen. Zum Zeitpunkt der Auflösung 1991 waren Nuklearwaffen auch auf dem Gebiet von Belarus, der Ukraine und Kasachstan stationiert. Die drei Staaten gaben diese Waffen bis 1996 an Russland ab. Während des Kalten Krieges hatte die Sowjetunion bis zu 40.000 Atomsprengköpfe, während sich das Arsenal der USA auf bis zu 30.000 belief. Zuletzt besaßen Russland 5977 und die USA 5428 nukleare Sprengköpfe, wie aus Daten der Federation of American Scientists hervorgeht. Wesentlich für die Einsatzbereitschaft dieser Waffen sind Trägersysteme wie Marschflugkörper, Flugzeuge und U-Boote.

1.600 neue Panzer

In dem Interview sagte Putin auch, dass Russland angesichts der westlichen Panzerlieferungen für die Ukraine die eigene Panzerproduktion erhöhen werde. "Die Gesamtzahl der Panzer der russischen Armee wird die der ukrainischen um das Dreifache übertreffen, sogar um mehr als das Dreifache." Während die Ukraine aus dem Westen 420 bis 440 Panzer bekomme, werde Russland 1.600 neue Panzer bauen oder vorhandene Panzer modernisieren.

Putin sagte zudem, Russland könne das Dreifache der Munitionsmenge produzieren, die der Westen der Ukraine liefern wolle. Die nationale Rüstungsindustrie entwickle sich in hohem Tempo. Allerdings wolle er die eigene Wirtschaft nicht übermäßig militarisieren, behauptete der Kremlchef. Tatsächlich wurde in Moskau bereits eine Regierungskommission gegründet, die kontrollieren soll, dass die Wirtschaft den Anforderungen des Militärs gerecht wird. Während die russische Wirtschaft schwer unter den westlichen Sanktionen leidet, arbeitet die Rüstungsindustrie auf Hochbetrieb.

IAEA-Chef besucht AKW Saporischschja

Ein Thema ist auch die zivile Nutzung von nuklearem Material. Der Chef der Internationalen Atombehörde (IAEA), Rafael Grossi, will nächste Woche das von russischen Truppen besetzte Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine besichtigen. Er habe entschieden, das AKW erneut zu besuchen, "um selbst zu sehen, wie sich die Lage seit September entwickelt hat", sagte Grossi am Samstag in Wien. Dabei wolle er auch "mit denen sprechen, die die Anlage unter beispiellosen und sehr schweren Bedingungen betreiben".

Die Lage sei trotz Anwesenheit von IAEA-Experten in dem AKW "heikel". Nach September vergangenen Jahres wird dies Grossis zweite Reise nach Saporischschja sein. Begleitet wird der Argentinier von Experten. In der Vergangenheit hatte es mehrfach Schwierigkeiten für die Teams vor Ort gegeben. Das AKW wurde im März 2022 kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs von moskautreuen Truppen besetzt. Es liegt in der Stadt Enerhodar nahe der Front und geriet mehrfach unter Beschuss. Beide Seiten machen sich gegenseitig dafür verantwortlich. Aus Sicherheitsgründen läuft die Anlage inzwischen im Kaltbetrieb. Gebannt ist die Gefahr eines Atomunfalls damit nicht. (apa/dpa/reuters)