Das Silicon Wadi, der israelische Konterpart zum US-amerikanischen High-Tech-Mekka, dem Silicon Valley, ist in Alarmbereitschaft. Die florierende Küstenregion um die Hauptstadt Tel Aviv fürchtet um die Zukunft seiner vielen Start-up-Unternehmen. Grund dafür sind nicht nur die weltweit spürbaren Bankenbeben und finanzpolitischen Sorgen. Vielmehr drohen Benjamin Netanjahus Umbaupläne der Justiz - in den Augen vieler antidemokratische Umtriebe - Israels Ruf als internationalen Wirtschaftsstandort zu gefährden.

Schon vor dem Start der ultrarechten Koalition um Netanjahu im Herbst hatten Vertreter des Hightech-Sektors vor einer Schwächung der israelischen Demokratie und den möglichen Folgen für die nationale Wirtschaft gewarnt. Der Chef der israelischen Zentralbank, Armir Jaron, hatte Netanjahu im Jänner davor gewarnt, Investoren könnten durch die Reformvorhaben abgeschreckt werden. Im Zuge des steigenden Zulaufs der Proteste, kam es in Israel nun zu einem nie gesehenen Schulterschluss zwischen Gesellschaft, Arbeitnehmerverbänden und Wirtschaft. Der Chef des Dachverbandes der Gewerkschaften, Arnon Bar-David, kündigte einen gemeinsamen Generalstreik an: "Wir reichen uns alle die Hände, um den israelischen Staat lahmzulegen." Die größten Flug- und Seehäfen, Banken, McDonald’s-Filialen, Geschäfte und Bildungseinrichtungen zeigten sich bereit, ihre Tore zu schließen und den Betrieb aus Protest einzustellen.

Marke Israel geschädigt

Wirtschaftsminister Nir Barkat hatte vor Kurzem noch beteuert, dass die Reformpläne entgegen geäußerter Bedenken seitens der Investoren und fallender Aktienkurse, keine negativen Auswirkungen auf die israelische Wirtschaft, wie die Abwanderung von Gründern und qualifizierten Personals, zur Folge hätten. Assaf Rappaport, Geschäftsführer des milliardenschweren Cloud-Sicherheitsunternehmens Wiz sagte hingegen der "New York Times", dass die geplanten Reformen das Vertrauen in die Marke und Wirtschaftsstandort Israel sehr wohl erschüttern würden. Der Fintech-Konzern Papaya Global etwa will alle Gelder aus Israel abziehen. "Es hat lange gebraucht, diese Marke aufzubauen, jetzt wird alles infrage gestellt", so Rappaport.

Israel hat sich in seinem 75-jährigen Bestehen vom sozialistischen Agrarstaat zur modernen Start-up-Nation entwickelt. Heute beheimatet das Land mehr als 6.000 Start-ups und weist pro Kopf die höchste Investitionssumme in solche Unternehmen vor. Mehr als 50 Prozent der Exporte machen Hightech-Produkte- und Dienstleistungen aus. Der frühere Regierungschef Ehud Barak nannte Israel einst eine "Villa im Dschungel", umgeben von feindseligen Nachbarn. Nun ortet Israels Wachstumsmotor schädigende Gesetze von innen.

Start-up-Boom der 1990er

Dabei war es der langjährige Regierungschef selbst, der über die Jahre durch eine liberale wirtschaftspolitische Agenda Unternehmensgründungen erleichtert und vermehrt ausländische Investitionen nach Israel holen konnte. Der Boom der Start-up-Branche nahm in den 1990er Jahren seinen Anfang. Ein Fonds etwa ermöglichte es, ohne großes Risiko in aufstrebende Unternehmen zu investieren. Das Chatprogramm ICQ, ein Pionier heutiger sozialer Medien, tat damals im Silicon Wadi seine ersten Schritte und lockte weitere Geldgeber und Unternehmensgründer an.

Das Platzen der Dot-Com-Blase mit Beginn des neuen Jahrtausends setzte Israel schwer zu und führte das Land in eine Rezession. Der heutige Regierungschef und damalige Finanzminister, fand mit Steuersenkungen, Kürzungen der Sozialausgaben und dem Rückzug des Staates aus Unternehmensbeteiligungen eine Antwort auf die Schieflage. Mit ihm kam es zu einer beispiellosen Liberalisierung, die zwar dem Start-up-Markt zugutekam, allerdings auch die ökonomische Ungleichheit anfachte. (jm/ag.)