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Lulas Buhlen um Chinas Gunst

Von WZ-Korrespondent Philipp Lichterbeck

Politik

Brasiliens Präsident will noch enger mit der Volksrepublik kooperieren. Bedenken aus den USA und Europa wischt er beiseite.


Bereits an der Delegationsgröße lässt sich ablesen, welche Bedeutung diese Reise für Brasiliens Regierung hat. Am Dienstag traf Präsident Lula da Silva zu einem viertägigen Staatsbesuch in China ein. Mit dabei: 240 Unternehmer und Manager, 39 Kongressabgeordnete, acht Minister, vier Gouverneure sowie der Präsident des Senats.

Es ist ein klares Signal, dass sich Brasilia eine Vertiefung der Beziehung und mehr Investitionen aus China wünscht. China ist seit einigen Jahren der wichtigste Handelspartner Brasiliens, 31 Prozent der Exporte gehen in das asiatische Land, 22 Prozent der Importe kommen von dort. Dahinter folgen die USA und Argentinien. Brasilien verschifft vor allem Rohstoffe nach China: Sojabohnen, Eisenerz, Erdöl, Zucker und Fleisch. Und es importiert Industrieprodukte: Telekommunikationsgeräte, Ventile und Elektronenröhren, chemische Verbindungen, Elektroapparate.

Die Brasilianer erwarten, in China mindestens 20 Kooperationsabkommen unterzeichnen zu können, die unterschiedliche Bereiche wie Gesundheit, Landwirtschaft, Bildung, Industrie und Wissenschaft betreffen. Die brasilianische Delegationsgröße ist daher auch als Buhlen um chinesisches Kapital zu verstehen. Chinas derzeitige Investitionen in Brasiliens belaufen sich auf 30 Milliarden Dollar. Das ist wenig im Vergleich zu den mehr als zwei Billionen Dollar, die chinesische Unternehmen global investieren. Brasilien träumt davon, den Betrag auf 200 Milliarden Dollar fast zu versiebenfachen und hofft auf Investitionen in die Infrastruktur, etwa Zugstrecken und Häfen, das 5G-Netz sowie neue Fabriken.

Brasilien geriet nach Jahren des Wachstums ab 2012 in eine tiefe Wirtschaftskrise, deren Folge eine schleichende Deindustrialisierung ist. Von einer verlorenen Dekade redet man heute. Lula muss diese Entwicklung umkehren, soll seine dritte Amtszeit ein Erfolg werden.

Konkret auf der Agenda steht die Übernahme eines Ford-Werks in Bahia durch den chinesischen Autobauer BYD, der dort Elektrofahrzeuge bauen will. Es gibt weiterhin die Absicht, einen gemeinsamen Beobachtungssatelliten in die Umlaufbahn zu bringen. Brasilien möchte zudem mehr chinesische Touristen anlocken, nachdem Peking das Land nach den langen Covid-Beschränkungen wieder auf der Liste der Länder gesetzt hat, die von Chinesen besucht werden können.

Planlos in die Abhängigkeit?

Ehrgeizig ist die brasilianische Idee, Millionen von Hektar ungenutztes Weideland in landwirtschaftliche Produktionsflächen umzuwandeln. Dazu hofft man auf chinesisches Kapital, weil die Umwandlung solcher ausgelaugter Böden seinen Preis hat. Brasilien könnte dadurch seine Agrarproduktion steigern, ohne Wald abzuholzen.

Angesichts der vielen brasilianischen Ideen und Wünsche monieren Kritiker, dass man sich planlos immer weiter in die Abhängigkeit Chinas begebe, das gezielt strategische Absichten verfolge, beispielsweise die Sicherung des Zugriffs auf brasilianische Rohstoffe.

Von solchen Fragen abgesehen, beweist Lulas Reise, dass Brasilia sich nicht beeinflussen lässt von den wachsenden Spannungen zwischen China und den USA oder dem Versuch der EU, sich unabhängiger von China zu machen. Während Washington und Brüssel auf Konfrontationskurs beziehungsweise Abstand zu Peking gehen, sucht Brasilien die Nähe. Dahinter steckt der Versuch Lulas, seinem Land wieder die Rolle eines neutralen und geschätzten Partners in einer multipolaren Welt zu geben. Diese hatte es vor der Präsidentschaft Jair Bolsonaros inne.

Bezweifeln darf man, ob es Lula gelingen wird, Xi Jinping für seinen Friedensclub zu gewinnen. Ihm schwebt eine Gruppe von Ländern vor, die im Ukraine-Krieg vermitteln. Viele Beobachter halten das Vorhaben für naiv, da Russland kein Interesse an Verhandlungen zeigt.