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Reisen, um Abhängigkeiten zu vermeiden

Von Klaus Huhold

Politik

Österreich will an Vietnams Aufschwung teilhaben - und wegen geopolitischer Risiken Lieferketten stärker diversifizieren.


Es ist schon eine Weile her, dass zuletzt ein österreichischer Außenminister Vietnam besucht hat: 1995 war das und der Außenminister hieß damals Alois Mock, der Präsident Thomas Klestil begleitete. Das südostasiatische Land war zu dieser Zeit noch ein ganz anderes: In der Hauptstadt Hanoi waren - oftmals klapprige - Fahrräder das Hauptverkehrsmittel. Die wirtschaftliche Erneuerung, die die herrschende Kommunistische Partei ausgerufen hatte und die eine Hinwendung zur Marktwirtschaft bedeutete, stand erst am Anfang und zeigte sich etwa darin, dass Familien ihre eigenen kleinen Geschäfte eröffneten.

Heute sind die Fahrräder vielfach durch Mopeds und Autos ersetzt und Vietnam hat ein enormes wirtschaftliches Wachstum erlebt, das mittlerweile zahlreiche internationale Investoren und Großkonzerne angezogen hat. Und inmitten dieses Aufschwungs besucht nun erneut ein österreichsicher Außenminister das Land, das vermutlich in rund zwei Jahren die 100-Millionen-Einwohner-Schwelle überspringen wird. Alexander Schallenberg wird von Sonntag bis Dienstag in Hanoi sein und dort mit mehreren Ministern sowie Premier Pham Minh Chinh zusammentreffen.

Die Reise ist laut Außenministerium Teil einer "strategischen Hinwendung zum asiatisch-pazifischen Raum", und es vermengen sich dabei politische und wirtschaftliche Motive. Das Außenministerium sieht sich nämlich auch als "Türöffner und Fürsprecher für die österreichische Exportwirtschaft", betont Schallenberg. Entsprechend wird der Minister auch von WKÖ-Vizepräsident Philipp Gady und einer Wirtschaftsdelegation, die mehr als 20 Unternehmen umfasst, begleitet.

Österreich will so am vietnamesischen Aufschwung teilhaben. Auch wegen eines "sehr ambitionierten" EU-Freihandelsabkommens mit Vietnam, bei dem schrittweise die Zölle fallen, sehen Unternehmen nun "noch mehr Potenzial" in Vietnam, berichtet Gady im Vorfeld der Reise bei einem Pressegespräch.

Doch auch Vietnam will profitieren, sagt Botschafter Ngyuen Trung Kien. Technik und Wissen aus Österreich sollen die Entwicklung der Landwirtschaft oder auch des Tourismus vorantreiben. Laut Nguyen seien Vietnam und Österreichs Wirtschaften zwar beide exportgetrieben, würden sich aber auch ergänzen. Als Beispiel nennt er die von Doppelmayr errichtete Seilbahn in der bei ausländischen Besuchern beliebten Bergregion Sapa.

Vietnam sucht genügend Distanz zu China

Bei der Hinwendung zu Vietnam spielt für manch österreichischen Vertreter aber auch noch ein anderes Motiv eine Rolle: nämlich Lieferketten zu diversifizieren und sich breiter aufzustellen. Denn der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine oder auch Chinas Stillstand während der Corona-Krise haben deutlich gemacht, wie risikoreich es ist, von einer einzelnen Region zu stark abhängig zu sein. Das gilt für einzelne Unternehmen, aber noch viel mehr für Staaten, wenn es etwa um die Versorgung der Bürger mit Energie oder auch Medikamenten geht.

Diversifizierung ist auch für den vietnamesischen Staat eine Leitlinie und auch hier wird über wirtschaftliche Beziehungen Politik gemacht. Das Land hat eine sehr spannungsvolle Geschichte mit China - erst 1979 gab es den letzten Grenzkrieg. Nun sucht Vietnam eine Politik des Ausgleichs mit dem großen, oft erdrückenden Nachbarn: Die Regierung in Hanoi möchte einerseits keine Konfrontation mit China. Andererseits will sie es aber auch unbedingt vermeiden, zu abhängig von China zu werden - und streut deshalb ihre wirtschaftlichen Beziehungen möglichst breit.

Ex-Kriegsgegner USA ist nun wirtschaftlicher Partner

Mit günstigen Rahmenbedingungen lockt die Regierung Investoren an. Die im Inland politisch restriktive KP lässt ausländische Konzerne freier und unabhängiger als ihre Schwesterpartei in China agieren. Zudem hat sich Vietnam durch Freinhandelsabkommen mit zahlreichen Ländern verwoben. Der größte Abnehmer vietnamesischer Produkte ist nun ausgerechnet der langjährige Kriegsgegner USA, mit dem Hanoi auch politisch wieder ein Auskommen gefunden hat.

Aber es ist nicht alles eitel Wonne: In Transportwesen hinkt die Infrastruktur oft hinten nach. Und dass die Korruption als massives Problem wahrgenommen wird, zeigt schon alleine der Umstand, dass die KP eine Kampagne dagegen gestartet hat, der auch viele hochrangige Kader zum Opfer fielen.

Außerdem liegt Vietnam in einer volatilen Region. Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer sorgen für massive Spannungen, und eine Eskalation der Taiwan-Krise würde die ganze Region nach unten ziehen. "Der Indopazifik ist Wachstumsregion, Aorta der Weltwirtschaft und geoökonomisches Gravitationszentrum zugleich", betont Schallenberg. "Was in der Region passiert, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit, Stabilität und den Wohlstand Europas."