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Die Säulen der Macht von Vietnams KP

Von Klaus Huhold

Politik

Neuer Wohlstand, Ho Chi Minh und Unterdrückung: Ein Besuch in Hanoi zeigt, wie Kommunisten im Kapitalismus herrschen.


Der Kaffee wird hier kalt getrunken. Wenn sich über Hanoi bei 30 Grad Außentemperatur und immenser Luftfeuchtigkeit eine schwüle Decke legt, dann kommen Eiswürfel in den Kaffee. Die jungen Vietnamesen und Vietnamesinnen, die dieses Kaffeehaus in einer belebten Straße besuchen, sitzen auf niedrigen Hockern und an kleinen Holztischen auf dem Gehsteig. Manche strecken ihre Beine aus, entspannen kurz, andere plaudern oder tippen in ihre Laptops, während der nie abreißende Fluss von Mopeds vorbeirauscht, Passanten in die umliegenden Geschäfte strömen und Schüler in ihrer Uniform aus weißem Hemd, rotem Halstuch und blauer Hose vorbeigehen.

Der junge Mann am Nachbartisch heißt Chung und berichtet, dass er aus einer nördlichen Provinz in die Hauptstadt gezogen ist und hier nun ein Restaurant besitzt. Er wolle noch weitere Lokale eröffnen, berichtet Chung. Wie es ihm in Hanoi gefalle? "Sehr gut. Du siehst doch all die Menschen, hier", sagt er und deutet auf die Passanten rundherum. "Ich sehe sie auch. Aber in erster Linie sehe ich das Geld!"

Die Haltung von Chung ist nicht untypisch. "Die jungen Vietnamesen interessieren sich heute vor allem für drei Dinge", sagt Christian Oster, ein deutscher Reiseführer, der seit mehr als 20 Jahren in Hanoi lebt und mit einer Vietnamesin verheiratet ist: "Geld, Reichtum und Wohlstand." Ausgerechnet die Kommunistische Partei, die in dem südostasiatischen Land alleine herrscht, gibt ihnen die Möglichkeit zur Verwirklichung dieses kapitalistischen Traumes.

Auf den Mangel folgte der große Aufschwung

Dabei haben die Genossen nach dem Sieg im Krieg gegen die USA zunächst einmal einen großen Mangel verwaltet. Ältere Vietnamesen erinnern sich noch daran, wie Hanoi in den 1980er Jahren öd und abends kaum beleuchtet war, die Menschen vor den Geschäften stundenlang anstanden und selbst Lebensmittel rationiert waren.

Dann schlug die Partei den Weg des "Doi Moi", der Erneuerung, ein. Der Staat erlaubte nun Privatbesitz, holte Investoren ins Land und führte so die Marktwirtschaft ein. Seit Anfang der 1990er Jahre hat Vietnam einen Aufschwung im Zeitraffer erlebt, erst vergangenes Jahr wuchs die Wirtschaft um acht Prozent.

Diese Entwicklung ist in dem neben der Altstadt gelegenen Viertel Hai Ba Trung gut sichtbar. Zwischen sozialistischen Zweckbauten und alten französischen Kolonialvillen entstehen immer mehr Glaspaläste mit Büroflächen, neben den engen Garküchen befinden sich nun fein ausgestattete Geschäfte für Herrenanzüge und Damenkostüme sowie Handyshops, die die neuesten Smartphones anbieten.

Die großen Opfer der Unabhängigkeit

Dieser Aufschwung und die damit verbundene Aussicht auf mehr Wohlstand stützen die Herrschaft der Kommunisten. Während andere autoritären Regime ihre Bürger nur unterdrücken, "liefert der vietnamesische Staat auch", sagt der österreichische Botschafter Hans-Peter Glanzer. Die Armut wurde derart reduziert, dass Vietnam nun zu den Ländern mit mittlerem Einkommen zählt.

Die Partei verkündet ihre Erfolge auch gerne auf ihren roten Propagandaplakaten, die in Parkanlagen oder an großen Straßenkreuzungen hängen. Und geht man an Schulen vorbei, erblickt man an den Außenwänden oft ein Abbild von Ho Chi Minh.

In dem Kult um den Parteigründer wird deutlich, wie die KP ihre Herrschaft auch historisch legitimiert. Selbst ein eigenes Mausoleum wurde für ihn errichtet. Vor diesem müssen sich die schaulustigen Touristen und Vietnamesen aus dem ganzen Land diszipliniert in einer langen Reihe anstellen. Betritt man dann den massiven sozialistischen Prachtbau, der ein wenig an einen antiken Tempel erinnert, wird man von Soldaten in weißen Paradeuniformen ermahnt, dass man ab nun zu schweigen hat. Der einbalsamierte Leichnam des Nationalhelden liegt dann in einem sonst abgedunkelten Raum in einer beleuchteten Glasvitrine. Ho Chi Minh ist die personifizierte Erinnerung daran, mit welchen Opfern sich Vietnam seine Unabhängigkeit und Einheit zunächst von den französischen Kolonialherren und später dann im Krieg gegen die USA erkämpft hat.

Auch der tote Ho Chi Minh trägt noch einen Spitzbart. Der einstige Held der europäischen Linken war schon Meister des ikonographischen Bildes, bevor es Soziale Medien gab, und mit seinem Bart rekurrierte er auf eine jahrhundertealte Tradition; erinnert sein Abbild doch an Konfuzius.

Der Konfuzianismus ist in Vietnam tief verwurzelt, und die Partei macht ihn sich bis heute zunutze. Ein entscheidender Aspekt dieser Denkschule ist der Respekt gegenüber Autoritäten. So wie der Schüler dem Lehrer zu gehorchen hat, hat sich Bürger der Partei zu unterwerfen.

Er wird so zum Untertanen, der den politischen Leitlinien der KP ohne kritische Widerrede folgen soll. Auch wie diese entstehen, bekommt er nur am Rande mit. Die obersten Gremien der Partei sind ein geschlossener Zirkel, der seine Entscheidungen in Hinterzimmern aushandelt. Immer wieder heißt es, dass der eine Politiker prowestlich und der andere prochinesisch sei, der eine ein Ideologe und der andere ein Pragmatiker - so ganz genau weiß man es aber nicht.

Allerdings wurde zuletzt offensichtlich, dass es große Verwerfungen innerhalb der Partei gibt. So ist mit Nguyen Xuan Phuc Anfang des Jahres erstmals ein amtierender Präsident zurückgetreten. Der Grund dafür waren Korruptionsvorwürfe. Inwieweit diese tatsächlich den Ausschlag für seine Entmachtung gaben, und inwieweit er Opfer von Machtkämpfen wurde, ist unklar.

Korruption und verschmutzte Luft sorgen für Unmut

Klar ist aber, dass Generalsekretär Nguyen Phu Trong eine Anti-Korruptionskampagne betreibt und damit auf Missmut in der Bevölkerung reagiert. Die Korruption ist nämlich so endemisch, dass viele Vietnamesen für viele Situationen extra ein Handgeld in der Schublade haben - etwa, wenn sie sich in Ämtern um eine Genehmigung anstellen, oder auch, wenn sie sich in Krankenhäusern eine gute Behandlung sichern wollen.

Und noch ein zweiter Umstand sorgt für viel Frust in der Bevölkerung: die Luftverschmutzung, die man in Hanoi sofort spürt. Die tropische Stadt, in der es kaum Wind gibt, hüllt eine Wolke von Abgasen ein, die für eine dunstige Sicht sorgt. Das betrifft die Bürger unmittelbar: In den Schulklassen fehlen regelmäßig mehrere Kinder, weil sie gerade Husten haben oder schwer atmen. Das Land will nun eine grüne Wende einleiten, bis 2040 aus der Kohle aussteigen und bis 2050 klimaneutral sein.

Bis dahin ist es freilich noch ein weiter Weg, und in der Gegenwart werden weiter immer mehr Böden versiegelt, Straßen gebaut, Fabriken hochgezogen und Autos verkauft. Trotzdem beweist die KP auch hier, dass sie Frustrationen, die sich in der Bevölkerung breitmachen, ernst nimmt.

Wie heikel dieses Thema geworden ist, zeigt aber auch, dass die KP immer härter gegen Umweltaktivisten vorgeht. Blogger, die auf Missstände aufmerksam machen, sperren die von der Partei kontrollierten Gerichte schnell weg. Ebenso wie die wenigen Dissidenten, die den Herrschaftsanspruch der KP in Frage stellen.

Überhaupt hat das Regime die Daumenschrauben angezogen. Zwar könnten Vietnams Kommunisten nicht ganz so vorgehen wie ihre Genossen in China und kein paralleles Internet mit eigenen Sozialen Medien aufbauen, sagt ein westlicher Beobachter. Aber die immer umfassenderen und zielsicheren Überwachungsmetoden im großen Nachbarland würden auch von Vietnams Machthabern genau studiert.

Ideologie, Pragmatismus und Härte

So herrscht die KP mit einer Mischung aus Ideologie, Pragmatismus und Härte. Aufstände gibt es wenige, und wenn einmal die Verlierer der Erneuerung, etwa von Parteikadern entrechtete Landbewohner, demonstrieren, dann sind diese Proteste schnell niedergeschlagen.

Der Großteil der Bevölkerung hat sich auf den unausgesprochenen Deal, den die KP anbietet, eingelassen: Dass für die Akzeptanz ihrer Herrschaft auch mehr Wohlstand in Aussicht steht. In Vietnam ist so ausgerechnet eine stetig wachsende Mittelschicht, die sich in ihrem Lebensstil immer mehr verbürgerlicht, zu einem der wichtigsten Stützpfeiler einer kommunistischen Herrschaft geworden.