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Tag des Sieges mit wenig Glanz für Putin

Politik

Russland gedenkt des Sieges über das Nazi-Regime. Doch es wird heuer ein geschrumpfter Aufmarsch.


Wer soll denn überhaupt marschieren? Diese Frage stellte sich in Russland vor den Paraden zum 9. Mai, an dem das Land traditionell des Sieges der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland gedenkt. Schon vor den Aufmärschen am heutigen Dienstag war klar: Sie werden weniger pompös und umfangreich sein als in vergangenen Jahren. Es fehlt einfach an Soldaten und Material, weil diese sich in der Ukraine befinden.

Zudem gibt es Sicherheitsbedenken: Immer wieder sind in den vergangenen Tagen Treibstofftanks in die Luft geflogen, wurden Schienenstränge zerstört, und am Wochenende gab es gar einen Sprengstoffanschlag gegen den nationalistischen Schriftsteller Sachar Prilepin, dessen Fahrer getötet und der selbst offenbar schwer verwundet wurde. Woher die Drohne kam, die den Kreml Anfang vergangener Woche fast traf, ist weiterhin rätselhaft. Es herrscht nun große Sorge, dass es auch bei den Paraden am 9. Mai zu Zwischenfällen kommen könnte. Einige grenznahe Regionen haben die Aufmärsche bereits abgesagt, weil sie, so ein Verantwortlicher, "Sabotageakte" aus der Ukraine fürchten.

Das "Unsterbliche Regiment" wird nicht marschieren

Eine Absage der wichtigsten Parade, der in Moskau, kommt aber keinesfalls in Frage. Dafür hat dieser Aufmarsch für den russischen Präsidenten viel zu große Bedeutung. "Für Putin ist dies das absolut wichtigste Ereignis im Jahr", sagte Andrej Kolesnykow, der für die Denkfabrik "Carnegie Endowment for International Peace" in Moskau arbeitet, dem britischen "Guardian". "Putin bezieht seine gesamte Legitimität von der Parade, weil er sich selbst in Nachfolge zu der Armee setzt, die Nazideutschland besiegt hat."

Er tritt in Moskau auch persönlich auf. Schon zuvor hatte sich Putin in einem eher ungewöhnlichen Schritt persönlich mit den für die Sicherheit Verantwortlichen getroffen und die Vorbereitungen zu dem Gedenktag besprochen.

Mittlerweile sickerte durch, dass das Programm in diesem Jahr zusammengestutzt wird. So ist der Marsch des "Unsterblichen Regiments" abgesagt, bei dem Teilnehmer Fotos von Verwandten zeigen, die Veteranen im Zweiten Weltkrieg waren. Der Grund dafür dürften Befürchtungen sein, dass Kriegsgegner oder verzweifelte Angehörige das Ereignis nutzen könnten, um Bilder von in der Ukraine Gefallenen zu zeigen.

Jedenfalls soll die Parade wieder propagandistisch genutzt werden, um den Ukraine-Krieg als Fortsetzung des antifaschistischen Feldzuges gegen das Naziregime zu verkaufen - was die Ukraine als absurden Vorwand zurückweist, mit dem Russland seine imperialistischen Ambitionen überdeckt. Zumal auch zahlreiche Ukrainer in der Roten Armee gekämpft haben. In Abgrenzung zu Russland hat die Ukraine bereits gestern, am 8. Mai, dem Ende des Zweiten Weltkrieges gedacht - und das an einem sehr schwierigen Kriegstag.

Denn Russland will offenbar der eigenen Bevölkerung zu der Parade auch noch Siegesmeldungen präsentieren: So hat das russische Militär die Ukraine am Sonntag und Montag mit einer groß angelegten Angriffswelle überzogen. "Leider gibt es tote und verwundete Zivilisten", erklärte der ukrainische Generalstab. Bei der jüngsten Angriffswelle seien Wohnhäuser und zivile Infrastruktur beschädigt worden. Mehrere Städte wurden angegriffen. In Kiew gab es mehrere Verletzte, in Odessa ging nach ukrainischen Angaben ein Lebensmittellager in Flammen auf und vielerorts wurden Stromnetze beschädigt. Gleichzeitig gelang es der Ukraine, zahlreiche russische Raketen und Drohnen abzufangen.

Russland will offenbar in Bachmut noch Zeichen setzen

Zudem intensivierte Russland den Beschuss der schon seit Monaten heftig umkämpfen Stadt Bachmut mit schweren Waffen. "Die Russen hoffen immer noch, die Stadt bis zum 9. Mai zu erobern", sagte der ukrainische General Oleksandr Syrskyj. Die Kämpfe um Bachmut zeigen aber auch, dass der Anführer der Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, nicht wie angekündigt seine Soldaten aus Bachmut abzieht. Prigoschin hatte dies angedroht, weil seine Leute nicht genügend Munition bekommen würden, und darüber hinaus Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow wüst beschimpft. Offenbar erhält die Wagner-Trupe nun bessere Ausrüstung. Die Wagner-Einheiten bestehen aus vielen Ex-Häftlingen und bilden immer wieder unter hohen eigenen Verlusten die vorderste Angriffswelle beim Kampf um Bachmut.

Mit Prigoschins Auftritt wurde erneut offensichtlich, welche Risse es innerhalb der russischen Führung gibt - und wie mächtig sich der Wagner-Führer schon fühlt. All diese Machtkämpfe sollen freilich bei der Parade, bei der Russland sich als Einheit präsentieren will, keine Rolle spielen. Trotzdem wird es für Putin kein glanzvoller Festtag: Die ukrainische Gegenoffensive steht bevor - und das zu einem Zeitpunkt, in dem Kiew nach Putins eigentlichen Plänen schon längst unter russischer Herrschaft sein sollte. (klh)