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Recep Tayyip Erdogan: Einmischer in eigener Sache

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Der türkische Präsident ist aufgrund zahlreicher Interventionen bei seinen Nachbarländern höchst unbeliebt.


"Keine Probleme mit den Nachbarn": Mit diesem Motto war Recep Tayyip Erdogan vor mehr als zwei Jahrzehnten in die Politik eingestiegen. Erfolgreich. Er wurde zunächst Premierminister, dann Präsident. Inzwischen wünschen sich die meisten dieser Nachbarn aber, dass die Wahlen in der Türkei eine neue Ära bringen werden - ohne Erdogan, mit weniger Problemen und verlässlicherer Politik. Denn Erdogans Einmischung in diverse regionale Konflikte und die Großmachtträume einer erneuten osmanischen Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten haben ihm viel Antipathie eingebracht. Das ging sogar so weit, dass die Regierungschefs Ägyptens, Jordaniens und des Irak sich in Bagdad trafen und berieten, wie sie Erdogan entgegentreten könnten. Eine anti-osmanische Allianz wurde geschlossen.

Bis heute sind Staatschefs in Ankara und Kairo nicht gut aufeinander zu sprechen, auch wenn in den vergangenen Monaten langsam eine gewisse Annäherung zwischen Ägypten und der Türkei festzustellen ist. Die Außenminister beider Länder beschlossen, wieder Botschafter auszutauschen, nachdem jahrelang Funkstille herrschte.

Eines verbindet die beiden Länder jedenfalls: Beide stehen kurz vor dem Staatsbankrott. In der finanziellen Not scheint man wieder zusammenzurücken. Die politisch-ideologischen Differenzen schienen davor lange unüberbrückbar zu sein.

Erdogan sympathisierte schon immer mit den Muslimbrüdern, die ihren Ursprung in Ägypten haben und übernimmt deren Strategie eines politischen Islam. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi verfolgt aber diese Bruderschaft gnadenlos. Nach dem Sturz des einzigen jemals in Ägypten demokratisch gewählten Präsidenten, Mohammed Mursi, eines Muslimbruders und dem Blutbad, das al-Sisis Militär an seinen Anhängern anrichtete, kam harsche Kritik aus Ankara. Erdogan nahm viele Verfolgte auf, Sisi sperrte Tausende ein. Das ist jetzt knapp zehn Jahre her.

Für das an Syrien angrenzende Jordanien war die Intervention der Türkei in Syrien bedrohlich, denn Erdogan unterstützte von Anfang an die Rebellen gegen Machthaber Bashar al-Assad. Er ging sogar soweit, den Al Kaida-Ableger Al Nusra zu alimentieren und ihm Waffen für den Kampf gegen den Diktator in Damaskus zu liefern. Als Can Dündar, Chefredakteur der türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet" den Deal zwischen dem türkischen Geheimdienst und den islamischen Extremisten aufdeckte, wurde er bedroht und lebt jetzt in Berlin.

Krankenhäuser für IS-Kämpfer

Sogar die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) konnte mit der Unterstützung Erdogans rechnen. Dieser ließ sie gewähren, in Gaziantep, im Südosten der Türkei, Rekrutierungsstellen zu eröffnen, Anlaufstellen für ausländische Kämpfer, wo diese für den Kampf in Syrien fit gemacht wurden. Auch verwundete IS-Kämpfer wurden in türkischen Krankenhäusern behandelt. Jordanien befürchtete eine Welle von Dschihadisten, die aus Syrien herüberschwappt und einen Bürgerkrieg anzetteln könnte. Die Distanz zwischen Amman und Ankara ist auch heute noch groß. Das Engagement in Syrien brachte Erdogan Millionen von Flüchtlingen ein, die jetzt im Wahlkampf zu seinem Problem werden. Dass er sich nun als Bekämpfer des IS ausgibt, ist Hohn und Spott und wohl auch dem politischen Druck der Nachbarn zuzuschreiben. Anfang Mai gab Erdogan die Tötung des neuerlich ernannten "Kalifen" Kuraischis bekannt. Dass der türkische Geheimdienst genau wusste, wo sich der IS-Chef in Syrien aufhielt, spricht für sich.

In Libyen, ebenfalls ein Brennpunktland in der Mittelmeerregion, ist Erdogan direkt Kriegspartei geworden. Türkische Militärs und syrische Flüchtlinge im türkischen Sold stehen dort auf der Seite der Regierung in Tripolis, während Ägypten und die Emirate auf der Gegenseite General Khalifa Haftar unterstützen. Hintergrund des türkischen Engagements in Libyen dürften wohl die Gasvorkommen im Mittelmeer vor der libyschen Küste sein, deren Ausbeutung Erdogan vertraglich mit Tripolis gesichert hat. Eine neue Regierung in Ankara, schreibt die ägyptische Tageszeitung "Al Ahram", muss die militärische Präsenz der Türkei in Libyen beenden und den Nachbarn friedvolle Absichten vermitteln.

Doch am härtesten ist der Irak von den Interventionen der angrenzenden Türkei betroffen. Erdogan missachtet zum einen die territoriale Integrität des Nachbarlandes und stationiert dort Truppen, wie es ihm passt. Bei seinen Luftangriffen auf PKK-Stellungen trifft er immer auch irakische Zivilisten, die mit dem Streit zwischen der Türkei und der Guerillagruppe nichts zu tun haben. Zum anderen importierte Erdogan jahrelang ohne Genehmigung aus Bagdad Erdöl von der kurdischen Regionalregierung im Irak. Die Zentralregierung in Bagdad brachte die Türkei vors Internationale Schiedsgericht in Paris, weil die Einnahmen aus diesen Exporten an ihr vorbeiflossen. Nun ging das Verfahren vor wenigen Wochen mit der Verurteilung der Türkei zu Ende. Ankara muss rund 175 Millionen Euro plus Zinsen Schadenersatz zahlen.

Und wer besorgte die Importe? Das Unternehmen Powertrans, geleitet von Erdogans Schwiegersohn, Berat Albayrak, der eine Zeit lang auch Finanz- und Wirtschaftsminister war. 2011 war die Firma mit einer Unterschrift Erdogans als einzige zum Erdölimport aus dem Irak berechtigt worden. Trotz des Vetos seitens Bagdads importierte Powertrans Erdöl im Wert von mehreren Millionen Euro. Ein Teil wurde dann sogar nach Israel verkauft, in einer Zeit, als die Türkei offiziell die Beziehungen zu dem Land abgebrochen hatte. Ob die neuerliche Annäherung der Türkei an Ägypten, Israel, Saudi Arabien und die Emirate den Scherbenhaufen kitten kann, wird der Wahlausgang bestimmen.