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Traum von Demokratie versinkt im Blut

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die Schriftstellerin Sabah Sanhouri wollte mit ihren Landsleuten den Sudan von der Diktatur befreien.


Sabah Sanhouri tut sich schwer mit der Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen. Doch jetzt sieht sie keinen anderen Ausweg mehr. Ihre Wohnung in der sudanesischen Hauptstadt Khartum haben die Milizen der RSF, der Rapid Support Forces, beschlagnahmt. Nachbarn haben Kämpfer in Uniform auf dem Balkon ihrer Wohnung gesehen, wie sie auf Menschen unten auf der Straße schießen. Sabahs Wohnung ist in der Nähe des Flughafens, der heftig umkämpft ist. Vor vier Wochen konnte die 32-jährige Schriftstellerin mit ihrer Mutter aus Khartum fliehen und ist bei Verwandten in Wadi Madani, einer Kleinstadt im Süden, untergekommen, immer in der Hoffnung, bald wieder zurückkehren zu können. Doch diese Hoffnung ist nun gestorben.

US-Amerikaner und Saudi-Araber haben es nicht geschafft, die Kampfparteien im Sudan auseinanderzuhalten. Der Waffenstillstand, der für eine Woche zwischen der sudanesischen Armee und der paramilitärischen RSF ausgehandelt wurde und am Montagabend auslief, ist immer wieder von beiden Seiten gebrochen worden.

Kampfpause wurde offenbar genutzt, um aufzurüsten

Zwar wurde nicht mehr so heftig gekämpft wie die Wochen zuvor, berichten Augenzeugen, aber Ruhe kehrte keineswegs ein. Nicht ein einziger Tag sei ohne Gefechte verlaufen. Die dringend notwendige Versorgung der Bevölkerung konnten die Vereinten Nationen nur ansatzweise durchführen. In der westlichen Provinz Darfur war aber das so gut wie gar nicht möglich, in der Hauptstadt Khartum nur in einigen wenigen Bezirken.

Stattdessen gewann man den Eindruck, dass beide Kampfparteien die Zeit nutzten, um sich neu aufzustellen. Am Mittwoch dann verließen Vertreter der sudanesischen Armee den Verhandlungstisch im saudischen Jeddah. Es gäbe keinen Anlass für weitere Diskussion, ließen sie als Begründung verlauten. Als Reaktion hat der Gouverneur der Provinz Darfur die Bevölkerung vorsorglich aufgerufen, sich zu bewaffnen, um sich verteidigen zu können. Die Milizen der RSF, vor denen Sabah und viele andere Sudanesinnen und Sudanesen besonders Angst haben, gehen jetzt in allen Bezirken Khartums so vor wie in Sabahs Haus. Sie dringen in Wohnungen von Geflüchteten ein, eignen sich dort alles an und beginnen, Khartum flächendeckend zu kontrollieren. Die Menschen trauen sich deshalb nicht zurückzukehren, einige Sachen einzupacken oder dringend benötigte Dokumente zu suchen. Alles, was Sabah mitgenommen hat, ist ihr Pass.

Seit Mitte April liefern sich General Abdel Fattah al-Burhan, Oberbefehlshaber der sudanesischen Armee und General Mohamed Hamdan Dagalo, der die RSF befehligt, blutige Schlachten. Beide zusammen hatten 2021 gegen die von der UNO und den westlichen Staaten unterstützte Zivilregierung von Premier Abdallah Hamdok geputscht und standen fortan gemeinsam an der Spitze des Staates: Burhan in der Position des Premiers, Dagalo als sein Stellvertreter. Aus Verbündeten sind nun erbitterte Gegner geworden.

"Ich weiß, dass Not und Elend in unserem Land sehr groß sind, trotzdem hätte ich nie gedacht, dass jemand kommt und diese Not auf so ekelhafte Weise ausnutzt", schreibt Sabah Sanhouri in ihrem Roman "Paradise", der auf Deutsch im Verlag Schiler & Mücke vergangenes Jahr erschienen ist. Obwohl das Buch eine fiktive Geschichte enthält, trifft Sanhouri mit ihrem schwarzen Humor die Situation ihres Landes genau. Die Regierung interessiere sich für nichts als ihre und unsere Hosen. "Mit der einen Hand fährt sie sich selbst hinten in die Hose, um sich ihren dreckigen Hintern zu kratzen, die andere schiebt sie in unsere Gesäßtasche, um das abzugreifen, was wir den Tag über verdient haben. Allerdings stellt sich hier die Frage: Ist das alles wirklich real? Das ist es definitiv!"

Dieser grausamen Realität wollten Sabah und Massen ihrer Landsleute entgegentreten, als sie 2018 monatelang auf die Straßen Khartums gingen. Sie schafften es auch, Langzeitmachthaber Omar al-Bashir zu stürzen und sich auf eine zivile Übergangsregierung zu einigen, die freie und demokratische Wahlen organisieren sollte.

Doch die beiden Generäle, die mithalfen, Autokrat Bashir zu stürzen, hatten anderes im Sinn. Sie wollten die Macht für sich haben. An ein demokratisches Regime im Sudan glaubten sie nie, wie sich jetzt zeigt. So ist der vorerst letzte Traum von Demokratie, den Millionen vor allem junger Araberinnen und Araber träumten, in der sonst von Despoten und autokratischen Herrschern regierten Region zerplatzt. Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien, Libanon, Jemen, der Irak: Alle sind gescheitert. Und überall ist Blut, zuweilen viel Blut geflossen. Die neuerlichen Kämpfe im Sudan haben bereits 1.800 Tote gefordert. Mehr als eine Million Menschen sind, wie Sabah, innerhalb des Landes geflohen, Hunderttausende haben den Sudan in die Nachbarstaaten verlassen. Und es werden täglich mehr.

Präsident schmeißt UN-Vertreter hinaus

Während RSF-Chef Dagalo militärisch Tatsachen schafft und seine Milizionäre flächendeckend platziert, schafft sein Widersacher Burhan politische Tatsachen. Nachdem er Dagalo als seinen Stellvertreter entlassen hat, setzt er nun einen Militär aus den eigenen Reihen der Armee als Vize ein. Und Volker Perthes, den Sonderbeauftragten der UNO im Sudan, will er auch nicht mehr im Land haben.

Der Deutsche und ehemalige Chef der Berliner Denkfabrik "Stiftung Wissenschaft und Politik" ist derzeit in New York, um vor dem UN-Sicherheitsrat über die Lage im Sudan zu berichten. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres erhielt in genau dem Moment einen Brief aus Khartum von Abdel Fattah al-Burhan, wonach Perthes die Wiedereinreise in den Sudan verweigert werde. Burhan beschuldigt ihn darin, die Konflikte im Land verschärft zu haben. Perthes hat wie kein anderer Kompromisse zwischen der Zivilgesellschaft und den Militärs gesucht und verhandelt. Damit geriet er immer stärker in die Kritik auf beiden Seiten. Guterres will an Perthes festhalten und nennt ihn unverzichtbar.

Im Sudan setzt jetzt die Regenzeit ein. Die Straßen werden zu Schlammpisten, aufgrund der Feuchtigkeit vermehrt sich Ungeziefer. Sabah hat mittlerweile Malaria und Typhus bekommen. Ihr deutscher Verleger hat ihr Geld für Medikamente geschickt und hofft, dass sie bald wieder gesund ist und die Flucht nach Deutschland antreten kann, bevor gar nichts mehr geht.

Die Schriftstellerin Sabah Sanhouri wollte mit ihren Landsleuten den Sudan von der Diktatur befreien. Nun haben Kämpfer ihre Wohnung in Khartum besetzt, und sie selbst befindet sich auf der Flucht.