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Reger Zulauf für Fundamentalisten

Von Stefan Beig

Politik

Extremisten bei allen Religionen. | Einige nützen die Medien konsequent für ihre Propaganda. | Wien. Der politische Islam, der islamisches Recht über die Wahlurne einführen möchte, gewinnt in Marokko, Pakistan, Afghanistan, Palästinenser-Gebieten und islamischen Gemeinschaften Europas an Boden. Eine Zunahme religiös motivierter Gewalt erlebt neben Uganda, Somalia und Nigeria auch Indien, wo radikale Hindus andere Religionsangehörige attackieren. In Israel nimmt die Zahl ultraorthodoxer Juden dank hoher Geburtenrate zu: 2,5 Kinder hat eine durchschnittliche israelische Frau, bei den Ultraorthodoxen sind es 7,6.


Gerade unter Muslimen und Hindus erstarken fundamentalistische Strömungen, meint Martin Mary, Religionwissenschafter von der Uni von Chicago und Autor einer mehrbändigen Buchserie über religiösen Fundamentalismus. In den USA sei das Wachstum langsamer geworden, doch in Lateinamerika, Afrika und Zentralasien blühen evangelikale Strömungen und Pfingstbewegung auf.

Eine wörtliche Lesart der heiligen Texte und der Wunsch, säkulare Gesetze durch religiöse zu ersetzen: Dies scheint das einigende Band diverser Fundamentalisten weltweit zu sein. Nicht alle sind gewalttätig, viele wünschen sich spezielle Privilegien, manche haben politisches Gewicht.

Zahlreiche ultraorthodoxe Juden engagieren sich für Israel. Ultraorthodoxe Parteien haben derzeit 15 Sitze in der Knesset (dem israelischen Parlament), in den 1980er Jahren waren es noch 5 Sitze. Juden, die den Siedlungsbau im Westjordanland vorantreiben, wird vorgeworfen, die instabile Lage im Nahen Osten zu verschlimmern. In ihrer Haltung zum Staat Israel ist die Ultraorthodoxie aber gespalten: Mit der Begründung, ihr Leben ganz dem Studium der Thora zu widmen, bleiben viele ultraorthodoxe Bürger dem dreijährigen Militärdienst Israels fern. Gruppen wie Neturei Karta lehnen Israel ab; nur der Messias dürfe einen jüdischen Staat errichten.

In den USA klagen säkulare Stimmen über den wachsenden Einfluss christlicher Fundamentalisten unter Präsident Georg W. Bush. Laut Laure Williams, einer Nachrichtenoffizierin der US-Armee, gibt es viele religiöse Aktivitäten: So hätten die Vorgesetzten Williams zu einer Konferenz geschickt, bei der fundamentalistische Literatur verbreitet wurde. Williams´ Beschwerde sei nur halbherzig beantwortet worden.

Augenscheinlich wächst der politischer Einfluss des Islamismus in Ägypten, wo die Muslim-Bruderschaft vor vier Jahren bei Wahlen 20 Prozent der Sitze im Parlament gewann, zehnmal so viel wie Anfang der 1980er Jahre. Ihr Ziel: die Islamisierung aller Aspekte des Lebens und die Einführung des islamischen Gesetzes.

In Radio und Fernsehen

Gerne nützen Fundamentalisten die Medien zur Verbreitung ihrer Ideen. Die Taliban hatten bis zu ihrem Sturz Ende 2001 und wieder ab April 2005 einen Radio-Sender im Swat-Tal an der afghanischen Grenze. Das Verbot "unislamischer Aktivitäten" wie Singen, Tanzen und Schulbesuch für Mädchen wollten sie so durchzusetzen. 2005 rief der Sender zum Heiligen Krieg gegen ausländische Kräfte in Afghanistan auf. Derzeit bekämpft das pakistanische Militär die Taliban im abgeschiedenen Bergtal. Mitte April startete die Administration von US-Präsident Barack Obama eine breite Initiative, um das Taliban-Radio zu blockieren.

In den USA erlangen evangelikale Prediger breite Wirkung über das Fernsehen. Marion Gordon "Pat" Robertson, ein Geistlicher der Southern Baptists und Anhänger der Pfingstbewegung, moderiert die von vielen religiösen Kanälen ausgestrahlte TV-Sendung "The 700 Club". Robertson lehnt Säkularismus, Homosexualität und Feminismus strikt ab. Er ist Präsident der Lobbying-Gruppe "American Center for Law and Justice", die die Rechte religiöser US-Bürger verteidigt.

Prominentester TV-Prediger ist Billy Graham, der eben seinen 90er feierte. Stilistisch hebt sich seine Rhetorik von jungen Wilden wie Pat Robertson ab. Mit Großveranstaltungen, genannt "Crusades" (Kreuzzügen), erreichte er mehr als 200 Millionen Zuhörer in 185 Ländern. Graham war Berater der US-Präsidenten Lyndon B. Johnson, Richard Nixon, Gerald Ford und George Bush senior; er half George W. Bush, sein Alkoholproblem zu überwinden.

"Hitlers Werk vollenden"

Fernsehprediger gibt es auch im Islam. Am bekanntesten ist Scheich Yusuf al-Quaradawi: Seit 1996 widmet er sich auf dem Satelliten-Sender Al-Jazeera in der Sendung "Das islamische Gesetz und das Leben" Themen wie der Pilgerfahrt, dem Umweltschutz, innerfamiliären Beziehungen oder der Teilnahme an der Politik. Zuschauer aus aller Welt richten live Fragen an den Scheich, der zu den obersten Autoritäten im sunnitischen Islam zählt. Manche halten Quaradawi für liberal: So fordert er die Gleichbehandlung religiöser Minderheiten in arabischen Staaten wie der Kopten in Ägypten, statt Gewalt und Rache empfiehlt er Mitgefühl mit ihnen.

Doch Quaradawi kann auch anders: Er unterstützt Selbstmordattentate in Israel, selbst wenn Frauen und Kinder sterben. Für Homosexualität und Prostitution verlangt er 100 Peitschenhiebe, die Todesstrafe hält er für angemessen bei öffentlicher "Abkehr vom Islam" und außerehelichem Geschlechtsverkehr. Polygamie für Männer befürwortet Quaradawi - sie entspreche der männlichen Natur. Am 28. Januar 2009 erklärte er auf Al-Jazeera in einem Interview: "Während der Geschichte hat Allah das jüdische Volk wegen seiner Verkommenheit gestraft. Die letzte Strafe wurde von Hitler vollzogen. Durch all die Dinge, die er ihnen getan hat - sogar, wenn sie diese Angelegenheit übertrieben haben -, gelang es ihm, sie auf ihren Platz zu verweisen. Das war ihre göttliche Bestrafung. So Gott will, wird das nächste Mal diese durch die Hand der Gläubigen erfolgen."

Ein neuer Star ist der ägyptische, betont westlich gekleidete TV-Prediger Amr Mohamed Helmi Khaled. Seit seiner ersten TV-Show "Worte aus dem Herzen" im Jahr 2001 greift er Probleme wie die Arbeitslosigkeit auf und gibt moralische Ratschläge.

Wer ist Fundamentalist?

Das Wort "Fundamentalismus" suggeriert Zwang, geistige Enge und Gewalt. Kein Wunder, dass nur die wenigsten Personen, die in der Öffentlichkeit als fundamentalistisch gelten, sich selbst auch so bezeichnen. Das war nicht immer so.

Früher trugen konservative Christen den Begriff mit Stolz. Ab 1910 erschien die Buchreihe "The Fundamentals", in der Theologen verschiedener Konfessionen den wörtlichen Sinn der Bibel gegen Evolutionstheorie und historisch-kritische Bibelexegese verteidigten. Laut dem baptistischen Pastor Curtis Lee Laws (1868 bis 1946) halten Fundamentalisten an den Fundamenten fest und "kämpfen erbittert für den Glauben."

"Heute würde sich wohl nur ein kleiner Prozentsatz evangelikaler Christen als fundamentalistisch bezeichnen", meint der Buchautor Richard Land von den Southern Baptists. Es sei unfair, "sie mit Islamisten zu vergleichen, die zu Waffen greifen und Menschen töten", so Land.

Ahmad Dallal, Professor für arabische und islamische Studien an der Georgetown Universität in Washington, bemerkt, dass das arabische Wort für fundamental - "usul" - früher nie in diesem Kontext verwendet wurde. "Es hat aber eine gewisse Logik, da christliche wie islamische Fundamentalisten die wortgetreue Interpretation ihrer heiligen Texte betonen."

Traditionalistische oder wertkonservative Katholiken weisen die Zuschreibung "fundamentalistisch" zurück. Für zutreffend hält sie der Religionsexperte Martin Marty im Fall der

Pius-Bruderschaft, da diese zentrale Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils - und zwar die Texte über Religionsfreiheit und die Anerkennung des säkularen Rechtsstaats - ablehnt.

Konservative Katholiken wie die "thecons", eine Gruppe von US-Intellektuellen, seien keine Fundamentalisten, da sie das Zweite Vatikanum annehmen. George Weigel, bekannter "thecon" und Autor einer umfangreichen Biographie Papst Johannes Pauls II., lehnt das Wort "fundamentalistisch" ab: Den Begriff "verwenden säkulare Personen mit Vorurteilen".