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Ein Bombenleger als gefeierter Held

Von Klaus Huhold

Politik

Korruption, Behördenwillkür und wachsende soziale Kluft sorgen für Volkszorn. | Mittelschicht bildet mittlerweile Rückhalt der KP. | Demokratisierung gibt es höchstens innerhalb der Partei.


Peking/Wien. Es sind beunruhigende Signale, die Chinas Kommunistische Partei (KP) in letzter Zeit aus der Bevölkerung empfangen hat. In verschiedenen Städten und Provinzen kam es zu Protesten, ja gar zu Straßenschlachten zwischen aufgebrachten Demonstranten und der Polizei. Und die Teilnehmer an den Protesten waren nicht die üblichen der Partei verdächtigen Intellektuellen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Sondern es waren Bauern, Wanderarbeiter oder Marktverkäufer.

Der Volkszorn richtet sich dabei zumeist gegen soziale Ungerechtigkeiten und Behördenwillkür. So zündeten in der Stadt Chaozhou erzürnte Fabrikarbeiter, die höhere Gehälter forderten, Autos an. Im Bezirk Xintang verbreitete sich in Windeseile das Gerücht, wonach Polizisten einen Straßenhändler zu Tode geprügelt und dessen schwangere Frau misshandelt haben sollen. Drei Tage lang lieferte sich eine wütende Menschenmenge Schlachten mit der Polizei. Fernsehbilder zeigten, wie aufgebrachte Menschen Steine und Flaschen auf Polizisten und andere Behördenvertreter schleuderten.

Und in der Stadt Fuzhou legte der Bürger Quian Mingqui drei Bomben vor Regierungsgebäuden. Neben sich selbst tötete er mindestens einen Beamten und verletzte mehrere Personen. Was die Partei aber ebenso beunruhigen dürfte wie die Tat: Quian wurde in Internetforen als Held gefeiert. Er war Opfer einer Zwangsräumung geworden und sah dann seinen Fall von korrupten Gerichten nicht behandelt. Ein Schicksal, das viele Chinesen teilen.

Mahnende Worte Hus zum Jubiläum

Präsident Hu Jintao hat diese brennenden Problem während eines Festakts zum 90-jährigen Jubiläum der KP angesprochen. „Die ganze Partei ist mit zunehmenden Schwierigkeiten konfrontiert”, sagte Hu Die Gründe dafür seien die „Inkompetenz” einiger Mitglieder und deren „Entfernung vom Volk”. Und Hu warnte in seiner Ansprache vor Parteiführern und Parteimitgliedern vor der anhaltenden Korruption, die das Vertrauen des Volkes in die Partei beschädigen könne.

Zwar werden immer wieder auch hochrangige Parteimitglieder wegen Korruption verurteilt. Wie weit aber auf Hus Rede Maßnahmen folgen, die grundlegend mit dem Machtmissbrauch in Justiz und Beamtenapparat aufräumen, ist fraglich.

Die Partei tut sich jedenfalls schwer, noch ihre Verbindung zu den „revolutionären Klassen” zu finden, die einst ihre Basis waren. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich in den vergangenen Jahren enorm vergrößert. Ideologisch ist zwar von einem „Sozialismus chinesischer Prägung” die Rede. Doch die KP legitimiert sich immer weniger als Befreiungsbewegung der Arbeiter und Bauern, sondern vielmehr als Vertreter des gesamten chinesischen Volkes.

Die „harmonische Gesellschaft”

Das Schlagwort der „harmonischen Gesellschaft” wurde kreiert. Diese bedarf der KP, die sich als einzigen Garanten der Stabilität im Land sieht. Gleichzeitig ist das Konzept der „harmonischen Gesellschaft” aber auch eine Aufforderung der Partei an sich selbst, die sozialen Unterschiede im Land wieder zu verringern.

Doch hier könnte sich die KP bald in einem Dilemma befinden. Denn ihren Rückhalt findet sie mittlerweile vor allem bei den Profiteuren des rasanten wirtschaftlichen Aufschwungs der vergangenen Jahre: bei den Angehörigen der neu entstandenen Mittelschicht. Wenn diese nun etwa im Zuge eines Umverteilungsprozesses nach unten höhere Steuern zahlen muss, könnte sich Unzufriedenheit bei den Aufsteigern breit machen.

Generell ruht die Gefolgschaft weiter Teile der Mittelschicht zur Partei nicht auf ideologischer Überzeugung. Vielmehr erhofft sich die neue besitzende Klasse einigen China-Kennern zufolge persönliche Vorteile und eine Vergrößerung des Wohlstandes. Dafür sind viele bereit, auf politische Mitsprache zu verzichten.

Jedenfalls hat die KP immer mehr Interessen und Widersprüche zu vereinen - zwischen der neuen Unternehmerelite und den Wanderarbeitern, zwischen den boomenden Küstenregionen und den ärmeren Teilen im Landesinneren, aber auch zwischen Marktliberalen und Verfechtern der sozialistischen Lehre, die gerne viele Reformen der vergangenen Jahre wieder rückgängig machen wollen.

Manche Beobachter spekulieren darauf, dass genau diese Zunahme an Widersprüchen zu einem Demokratisierungsprozess führt - und zwar innerhalb der Partei. Demnach würden sich immer mehr Gruppen bilden, die versuchen würden, ihre Interessen durchzusetzen. Wie weit die KP innerparteiliche Diskussionen zulässt, ist aber schwer zu sagen. Denn sie gibt kaum Einblick in ihre Entscheidungsprozesse und präsentiert sich nach außen hin als geschlossener Block.

Haft und Hausarrest für Kritiker und Dissidenten

Glanz klar ist aber, wo die KP die rote Linie zieht: Außerhalb von ihr ist politisch in China kein Platz. Wer die Vormachtstellung der Partei in Frage stellt, bekommt ihre harte Hand zu spüren. Dissidenten, die eine Öffnung des politischen Systems fordern, werden unter Hausarrest gestellt oder landen im Gefängnis. So wurde etwa der Demokratieaktivist Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo zu elf Jahren Haft verurteilt.

Die KP hat in ihrer langen Geschichte ihre Standpunkte immer wieder verändert. Das beweist ihr Sprung von der katastrophalen Wirtschaftspolitik Mao Tse-Tungs zu dem Aufschwung der vergangenen Jahre. Doch an einem Dogma hat sie niemals gerüttelt: Reformen in China haben von der KP auszugehen und von niemandem sonst.