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In Somalia gibt es der Regen und nimmt es der Regen

Von Ronald Schönhuber

Politik

Somalia zählt zu den trockensten Regionen der Erde. | Probleme bei den nomadischen Hirten führen zu landesweiter Versorgungskrise.


Mogadischu. Mit Somalia trifft die verheerende Hungerkatastrophe ein Land, das selbst in normalen Zeiten kaum etwas freiwillig hergibt, sondern dem so gut wie alles abgerungen werden muss. Mit einer durchschnittlichen Niederschlagsmenge von unter 500 Millimetern im Jahr gehört der gescheiterte Staat am Horn von Afrika zu den trockensten Regionen der Erde. In Mitteleuropa werden in der Regel mehr als doppelt so hohe Werte erreicht. Besonders wenig Regen fällt dabei im Norden Somalias (50 bis 150 Millimeter), auch der jetzt von der Hungerkrise besonders stark betroffene Südwesten liegt mit 330 bis 500 Millimetern deutlich unter dem Durchschnitt. Für den Ackerbau genutzt werden daher nur 1,64 Prozent des Landes, die Hauptanbaugebiete liegen dort, wo sich Jubba und Shabelle, die beiden einzigen permanenten Flüsse Somalias, ihren Weg Richtung Ozean bahnen.

Aufgrund des hohen Anteils an Wüsten- und Trockensavannen spielt in Somalia seit jeher die nomadische Weidewirtschaft die größte Rolle bei der Ernährung der Bevölkerung. Mehr als die Hälfte der fast zehn Millionen Somalier folgt auch heute noch dieser traditionellen Lebensweise. Gezüchtet werden vor allem Rinder, Schafe und Ziegen, doch der eigentliche Reichtum eines Clans lässt sich an der Zahl der Kamele ablesen.

Das Vieh sorgt für Fleisch und Milch und dient auch als Transportmittel. Gleichzeitig stellt es das zentrale Wirtschaftsmittel der Somalier dar. Seit Jahrhunderten werden Kühe und Ziegen in den Städten verkauft, um im Gegenzug Mehl, Kaffee oder Salz erwerben zu können. Kamele werden sogar als Kompensation für Gewaltverbrechen und Mord angeboten.

Bestimmt wird das Leben der somalischen Hirten vor allem vom Wechsel zwischen den beiden Regenzeiten (gu und day) und den zwei Trockenperioden (jiilaal und hagaa). Wenn die Niederschläge der gu-Periode die Halbwüsten für kurze Zeit zum Blühen bringen und das von der letzten Trockenzeit ausgezehrte Vieh wieder frisches Weidegras findet, gibt es Milch und Fleisch im Überfluss. Dann werden auch Hochzeiten und religiöse Feste gefeiert.

Doch das traditionelle nomadische System ist in den beiden letzten Jahrzehnten laut Experten wie Simon Levine vom britischen Overseas Development Institute zunehmend unter Beschuss gekommen - und die Folgen sind vor allem dann besonders schwerwiegend, wenn der Regen so wie derzeit über Monaten hinweg ausbleibt. So wurden etwa die klassischen Migrationsmuster, denen die Hirten auf der Suche nach frischem Grasland folgten, immer stärker unterbrochen. Der Bürgerkrieg in Somalia und die von somalischen Separatisten befeuerten Unruhen in der äthiopischen Ogaden-Region verhindern, dass die über den Staatsgrenzen liegenden Weiden so wie früher genutzt werden können. Gleichzeitig wurde Grasland durch Siedlungen oder dem meist scheiternden Versuch, Ackerbau zu betreiben, seiner ursprünglichen Funktion als Ausweichfläche für Trockenzeiten beraubt.

Verstärkt wird das Problem dadurch, dass Wasserstellen unkontrolliert errichtet werden und dass Lebensmittelhilfe aus politischen Gründen über den Bedarf hinaus weiterverteilt wird. Beides führt laut Levine letztlich dazu, dass sich mehr Menschen in einem Gebiet ansiedeln, als dieses ernähren kann, und dass die sensiblen Grasregionen überweidet werden.

Die rechtzeitige Unterstützung der Hirten gilt für Entwicklungsexperten daher als Schlüsselfaktor zur Verhinderung oder Milderung von Hungerkrisen. Bekommen sie etwa zeitgerecht zusätzliches Futtermittel für das Vieh bereitgestellt, stehen auch während der Dürre noch Fleisch und Milch zur Verfügung. Da die Tiere dadurch körperlich in gutem Zustand bleiben, können sie auch noch verkauft werden, um Getreide oder andere Nahrung zu bekommen. Und zu guter Letzt stehen die Familien auch nach dem Dürre-Ende nicht vor dem Nichts, wenn ihre Herde überlebt hat. Die Kosten für ein derart konzipiertes Hilfsprogramm liegen zudem deutlich unter denen eines großen humanitären Einsatzes, bei dem hunderttausende Notleidende in Lagern versorgt werden müssen.