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Hungerkrise trifft einen zerstörten Staat

Von Klaus Huhold

Politik

Zivilbevölkerung wird zwischen den Kriegsherren des Landes zerrieben. | Geschäftsleute und Milizchefs profitieren vom Bürgerkrieg. | Somalia ist für die UNO der gefährlichste Einsatzort.


Mogadischu/Wien. Es ist die Ankunft in einer zerstörten Stadt: Hunderte somalische Hungerflüchtlinge kommen täglich nach Mogadischu. Mütter, die sich selbst kaum auf den Beinen halten können, tragen Kinder, deren Rippen hervorstehen, vorbei an ausgebrannten Ruinen und Häusern voller Einschusslöcher. Doch wenigstens haben sie in der Hauptstadt Mogadischu größere Chancen auf Hilfe als in ihren ländlichen Heimatgebieten, können vielleicht bei Hilfsorganisationen Nahrung, sauberes Wasser und medizinische Behandlung erhalten. Aber auch deren Ressourcen sind beschränkt, und die Zahl der Dürreflüchtlinge steigt von Tag zu Tag.

Dass Mogadischu ein Trümmerfeld ist, spiegelt die Entwicklung Somalias wider. Seit zwanzig Jahren wütet ein Bürgerkrieg in dem Land am Horn von Afrika, die Dürrekatastrophe hat einen Staat erfasst, der schon zuvor als vollkommen gescheitert galt.

"Ich weiß nicht, was eine Regierung ist und was sie für die Menschen tut", bekundet Awey Abdullahi Ali, ein junger Somalier, gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press. Somalia, das ist ein rechtloses Land, in dem der Großteil der Infrastruktur nicht mehr existiert, in dem die hungernde Zivilbevölkerung zwischen verschiedenen Kriegsherren zerrieben wird. Es gibt zwar eine von der internationalen Gemeinschaft unterstützte Regierung, doch diese erhält höchstens die Illusion einer Staatsführung aufrecht. Sie kontrolliert lediglich Teile Mogadischus, und das auch nur, weil sie auf die Unterstützung von rund 8000 Soldaten der Afrikanischen Union zählen kann.

Zersplittertes Land

Das Land selbst ist vollkommen zersplittert: Im Somaliland (siehe Grafik) gibt es halbwegs intakte Verwaltungsstrukturen und sogar Wahlen. Die Region hat ihre Unabhängigkeit ausgerufen, wird aber von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt. Auch die Provinz Puntland hat sich für autonom erklärt.

Sonst wechselt die Herrschaft über die einzelnen Landesteile ständig zwischen verschiedenen Milizen, Clans und Kriegsherren. Sie sind teilweise verbündet, teilweise verfeindet, die Fronten verschieben sich in diesem Konflikt ständig. Im Zentrum und Süden des Landes - den am schlimmsten von der Hungersnot betroffen Regionen - hat zuletzt die Al-Shabaab-Miliz ihren Einflussbereich vergrößert. Sie hat Verbindungen zur Al-Kaida und ihr haben sich zahlreiche ausländische Jihadisten angeschlossen. Vorbild der Al-Shabaab sind die afghanischen Taliban. Musik haben die Gotteskrieger verboten, Frauen dürfen nur in Begleitung von Verwandten auf die Straße, Ehebrecher werden gesteinigt. Und westliche Hilfsorganisationen will die Al-Shabab nicht in den von ihr kontrollierten Regionen sehen, sie hält die humanitären Einsatzkräfte für politische Agenten.

Dass ein derartiges Chaos in Somalia herrscht, führen Beobachtern auf eine Reihe von Gründen zurück: Nach dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 gelang es keiner Partei, für längere Zeit die Oberhand zu gewinnen, die Folge war ein permanenter Bürgerkrieg. Ostafrika-Experten zufolge führen zudem die beiden verfeindeten Staaten Äthiopien und Eritrea in Somalia einen Stellvertreterkrieg und unterstützen verschiedene Milizen.

Kämpfe um Ressourcen

Das Land ist zwar ethnisch recht homogen, 85 Prozent der Bevölkerung sind Somalis, doch zerfällt es in verschiedene Clans. Unterschiedliche Loyalitäten und Feindschaften sind oft der Auslöser für Kampfhandlungen. Teilweise sind die Gefechte aber einfach auch ein Streit um Lebensgrundlagen. Schon vor der Dürre breitete sich die Wüste immer mehr aus, gab es immer weniger fruchtbaren Boden.

Und viele einflussreiche Akteure haben kein Interesse an einer Beilegung des Konflikts. Kriegsherren fürchten um ihre Macht und dass sie für ihre Verbrechen belangt werden. Auch Geschäftsleute heizen den Krieg an: Sie versorgen Milizen mit Waffen oder nutzen die Schwäche des Staates für Schmuggel.

Die Zivilbevölkerung bleibt auf der Strecke. Der Großteil der jungen Somalier hat nie eine Schule von innen gesehen. Es gibt keine Ausbildung und keine Arbeit. Viele Männer werden zudem von der Al-Shabaab zwangsrekrutiert, sie fordert von jeder Familie einen Sohn für ihre Kampfeinheiten. Manche jungen Männer, die in ihrem Leben nichts anderes als Krieg kennengelernt haben, schließen sich aber auch freiwillig den Milizen an. Mit der Waffe in der Hand steigen die Chancen, dass wenigstens die eigene Versorgung gesichert ist.

Und noch ein zweiter Einkommenszweig hat sich in den vergangenen Jahren aufgetan: die Piraterie. Sie breitet sich in den Gewässern vor Somalia, die von internationalen Konzernen leergefischt wurden, immer mehr aus.

Millionen für Geiseln

So wird etwa das Puntland mittlerweile von den finanzstarken Seeräubersyndikaten dominiert. Auch wenn internationale Flotten gegen die Piraten im Einsatz sind, wirft die Entführung von Geiseln jedes Jahr Millionen Dollar an Lösegeld ab. Die Bosse des Erpressungsgeschäfts halten sich Bodyguards, fahren große, teure Geländewagen und bauen sich protzige Villen. Es fällt ihnen nicht schwer, Gehilfen zu finden, für die dann ein paar Dollar abfallen.

Doch der Großteil der Somalier ist weder Milizionär noch Pirat. Sondern es sind Millionen ausgehungerte Menschen, die vom Tod bedroht sind. Ihre Felder und die Weiden für ihr Vieh sind vertrocknet, wurden ihnen teilweise aber schon vorher von bewaffneten Banden geraubt. Die Hungerflüchtlinge versuchen nun, sich nach Kenia, Äthiopien oder nach Mogadischu zu den Hilfsorganisationen durchzuschlagen. Doch die Al-Shabaab schreckt laut Zeugenberichten nicht einmal davor zurück, die Flüchtlinge zu verfolgen und zu erschießen. Andere, die versuchen, der Not zu entkommen, überleben die Strapazen, die Tage ohne Essen und Trinken, nicht. Somalia ist gesäumt mit Hungertoten.

In keinem Land ist es schwieriger, die Opfer der Katastrophe zu versorgen. In einzelnen von Clans beherrschten Gebieten kennen NGOs laut Beobachtern die Regeln und wissen, wie man sich Zugang verschafft. In Mogadischu sind Hilfsorganisationen in den Vierteln tätig, die die Regierung und die Soldaten der Afrikanischen Union kontrollieren. Doch auch in der Hauptstadt sind Kämpfer der Al-Shabaab unterwegs und starten immer wieder Angriffe.

Zugang verweigert

Ungelöst ist bis heute die Frage, wie man jenen Menschen helfen soll, die in den von der islamistischen Miliz kontrollierten Gebieten leben. Von der Blockade der Gotteskrieger sind laut Josette Sheeran, der Direktorin des UN-Welternährungsprogramms, zwei Millionen Menschen betroffen. Um die Hilfslieferungen zu erleichtern, haben nun die USA - die bisher jede Zusammenarbeit mit der Miliz mit Strafverfolgung bedrohten - ihre Sanktionen gelockert. Einige Hilfsorganisationen verhandeln auch schon seit längerer Zeit mit der Al-Shabaab. Diese ist auch kein einheitlicher Block, einzelne Einheiten könnten vielleicht Hilfe zulassen. Die internationalen Helfer gehen jedenfalls ein hohes Risiko ein: In der Vergangenheit hat die Al-Shabaab mehrfach Hilfsmitarbeiter getötet. Somalia sei der gefährlichste Ort, an dem das WFP tätig ist, sagt Sheeran. "Aber die Menschen sterben. Es geht nicht um Politik, es geht jetzt darum, Leben zu retten."