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Elend und Zukunftschance - die Städte wachsen rasant

Von Klaus Huhold

Politik

Rund eine Milliarde Menschen leben in Slums. | Städte bringen die Wirtschaft aber am stärksten voran.


Dhaka/Wien. Jeden Tag werden in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka neue Hütten aufgestellt. Es sind zumeist schnell zusammengezimmerte Provisorien aus Holz und Wellblech, in denen sich mehrköpfige Familien ein Zimmer teilen. Gebaut wird dort, wo Platz ist: In Seitengassen, in denen noch eine kleine Fläche frei ist, neben Zuggleisen, auf Sümpfen, wo die Hütten auf Stelzen stehen.

In die südasiatische Metropole, die bereits mehr als 14 Millionen Einwohner zählt, kommen jedes Jahr noch einmal 400.00 Menschen, keine Stadt wächst schneller. Dhaka steht damit an der Spitze einer globalen Entwicklung: des Wachstums urbaner Zentren. 2008 wurde ein Wendepunkt erreicht. Seither leben, erstmals in der Geschichte, mehr Menschen in Städten als auf dem Land, und die Verteilung steigt unaufhörlich zugunsten der Städte.

Lagos, Delhi, Dhaka, Shanghai - es sind vor allem die Städte der Schwellen- und Dritte-Welt-Länder, die sich rapide vergrößern (siehe Grafik). Das betrifft nicht nur die Megacities, sondern auch die kleineren Städte im Hinterland. Der Zuzug überfordert die Städte aber: Mittlerweile leben etwa eine Milliarde Menschen in Slums.

Sie fristen ihr Dasein in Gegenden wie dem Dhakaer Viertel Nabodoy. Die Verschläge breiten sich hier neben einer Müllhalde voller Bauschutt, Plastikflaschen und Verpackungsresten aus. Geht starker Wind, trägt er den Geruch der Ledergerbereien herüber, die sich in der Nähe befinden. "Die Kinder hier sind oft krank", berichtet Shathi Begun, eine in einen roten Sari gehüllte 30-jährige Slumbewohnerin. "Sie haben Fieber, Durchfall oder Husten."

Ähnlich wie in Nabodoy ist es auch in anderen Slums auf der Welt. Die Luft ist verschmutzt, und es gibt keine Kanalisation. Millionen Kinder sterben jährlich an Krankheiten, die mit verunreinigtem Wasser zusammenhängen, etwa an Durchfall oder Cholera. Viele von ihnen kommen in den Slums dieser Erde ums Leben.

Bessere Versorgung in Ballungszentren

Trotzdem wird Urbanisierung von vielen Forschern nicht mehr mit wachsender Verelendung gleichgesetzt. Vielmehr wird die Verstädterung seit einigen Jahren zusehends als Chance begriffen. Dies zeigte sich etwa im UN-Weltbevölkerungsbericht 2007. In Ballungszentren könnten die Menschen viel kostengünstiger Bildung oder medizinische Versorgung erhalten, konstatieren die Autoren. "Schnelle Urbanisierung bedeutet auch bessere wirtschaftliche Leistung", sagt die Direktorin des UN-Weltbevölkerungsprogramms, Hania Zlotnik.

Doch es muss hier wohl regional unterschieden werden. In China strömten seit den 1970er Jahren schätzungsweise mehr als 200 Millionen Menschen in die Städte. Die Regierung setzte bauliche Maßnahmen, und das urbane Wachstum ging mit einer Industrialisierung einher. Trotz aller Armut wurde dadurch oft noch größere Not verhindert. In den meisten Entwicklungsländern fehlt aber dem städtischen Wachstum die Antriebsmaschine starker Exportindustrien "sowie der gewaltige Zustrom ausländischen Kapitals wie im Falle Chinas", schreibt der Soziologe und Historiker Mike Davis in seinem Buch "Planet der Slums". Was das bedeutet, zeigt sich in vielen afrikanischen Städten, etwa in Kinshasa im Kongo. Die Elendsquartiere wachsen rasant, viele Familien können ihre Kinder nicht mehr ernähren. Zudem hat der Kongo ein Problem, das er mit vielen anderen Entwicklungsländern teilt: Das Geld, das die Regierung einnimmt, verschwindet oft in den Taschen weniger.

Der Zustrom in die Städte lässt sich jedenfalls kaum aufhalten: Bewaffnete Konflikte wie im Kongo, Dürren wie in Äthiopien oder ständige Überschwemmungen wie in Bangladesch vertreiben die Menschen vom Land. Zudem strahlt die Stadt oft das Versprechen einer besseren Zukunft aus.

Shathi Begun hat es trotz des Lebens im Slum nicht bereut, nach Dhaka gekommen zu sein. Sie arbeitet als Haushaltshilfe, ihr Mann als Chauffeur. Die drei Kinder, die das Paar auf dem Land noch kaum ernähren konnte, gehen nun zur Schule. Dhaka gibt Begun wenigstens die Hoffnung, "dass meine Kinder nicht so ein hartes Leben haben werden wie ich." Doch man sieht in Dhaka auch Zehnjährige, die auf Baustellen Ziegelsteine bearbeiten, Kinder, die fiebernd in Hütten liegen, in die das Wasser aus Sümpfen eindringt. Sie sind wie hunderte Millionen Menschen auf dieser Welt im Elend der Städte gefangen.