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"Der Clan hat die ganze Macht"

Von Gerhard Lechner

Politik

Statt eines bizarren Diktators herrschen in Aschgabat heute enge Seilschaften.


Wien. Bundespräsident Heinz Fischer befand sich am Donnerstag auf Staatsbesuch in Turkmenistan, das über riesige Gasvorkommen verfügt, ohne die die geplante Nabucco-Pipeline nicht rentabel wäre. Die "Wiener Zeitung" hat mit dem turkmenischen Regimekritiker Farid Tukhbatullin, der unter Polizeischutz in Wien lebt und Anschläge auf sein Leben fürchten muss, über die Situation in seinem Land gesprochen.

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"Wiener Zeitung":Herr Tukhbatullin, Turkmenistan galt unter Ex-Präsident Saparmyrat Nijazow als Diktatur mit einem bizarren Personenkult. Mittlerweile sind zumindest einige der Goldstatuen mit dem Ex-Präsidenten verschwunden. Hat eine Öffnung stattgefunden?Farid Tukhbatullin: Öffnung würde ich das nicht nennen. Für die Menschen im Land hat sich nur wenig geändert. Am ehesten noch für die Führung - aber nicht im Sinne von Reformen. Der Hauptunterschied ist ein gänzlich anderer: Nijazow ist in einem Waisenhaus aufgewachsen. Er hatte keine Verwandten, keine Familie, keinen Clan. Verwandte zu haben, bedeutet in Asien aber sehr viel. Man hängt von seiner Familie ab, sie steht einem bei, man selbst hat Anspruch auf Hilfe. Nijazow stand allein da.

Wie kam er dennoch zu solch einer starken Machtstellung?

Er scharte zunächst Leute um sich, die mit ihm seinen Aufstieg mitmachten. Als er diktatorische Vollmachten erlangt hatte, spielte Nijazow dann seine ehemaligen Mitstreiter gegeneinander aus, steckte viele von ihnen von heute auf morgen ins Gefängnis. Er hat es dabei ausgezeichnet verstanden, selbst die Fäden in der Hand zu behalten.

Und hat sich das System seit der Machtübernahme des jetzigen Präsidenten Gurbanguly Berdymuhammedow geändert?

Nicht im Sinne einer Öffnung. Berdymuhammedow ist schließlich in diesem System groß geworden. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied: Der jetzige Präsident hat im Gegensatz zu Nijazow Verwandte. Er hat auch eine Herkunft, eine Heimatregion. Er kann sich also auf einen loyalen Clan stützen, das konnte Nijazow nicht.

Ist man innerhalb des Clans denn immer loyal?

Zumindest hält man zusammen. Nijazow konnte von heute auf morgen Mitarbeiter, auch Minister, ins Gefängnis werfen lassen. Berdymuhammedow kann das nicht, denn dann würden sich seine Verwandten gegen ihn stellen. Er kann den unbotmäßigen Mitarbeiter aus dem Clan höchstens anderswohin versetzen. Das begrenzt sozusagen seine Macht.

Aber nicht die des Clans.

Die nicht, und deshalb ist in Turkmenistan derzeit auch eine Proteststimmung im Wachsen. Beispielsweise bei Geschäftsleuten, die Restaurants und Cafes besitzen. Sie waren früher unpolitisch und haben brav ihre Gelder an den Staat gezahlt. Eine Revolution wie in Kirgistan jagte ihnen eher Schrecken ein, dort ist ja auch Besitz in Flammen aufgegangen. Heute sagen sich aber viele: Bei einer Revolution riskiere ich, dass meine Hütte abbrennt, aber in diesem System verliere ich früher oder später in jedem Fall mein Hab und Gut an den Clan des Präsidenten.

Gibt es wenigstens für ausländische Investoren eine gewisse Sicherheit, dass deren Eigentum nicht angetastet wird?

Da gibt es ein Beispiel, nämlich den Mobilfunkmarkt, wo die russische MTS eingestiegen war. Viele Turkmenen stiegen auf MTS um, obwohl das ein wenig teurer war. Aber dafür funktionierte das Netz. Als die Russen das Netz fertig aufgebaut hatten, wurde MTS unter fadenscheinigen Vorwänden vom Markt gedrängt. Ähnlich erging es türkischen Firmen. Es gibt keine Rechtssicherheit. Auch ausländische Firmen müssen Bakschisch zahlen, willkürlich, je nach Situation, heute so, morgen so. Damit meine ich nicht, dass westliche Firmen in Turkmenistan nicht investieren sollten - aber tut man es, sollte man sich auf die Situation einstellen.

Und die turkmenische Bevölkerung? Bekommt die von den sprudelnden Öl- und Gaseinnahmen etwas ab?

Die Bevölkerung lebt mit großen Problemen. Es gibt eine riesige Arbeitslosigkeit im Land, so um die 60 Prozent. Da bleibt vielen einfach nur noch die Auswanderung, meist in die Türkei oder nach Russland. Tausende Turkmenen machen das und schicken dann Geld nach Hause, um ihre Familien durchzubringen. Die, die noch Arbeit haben, fürchten, sie zu verlieren - die Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes ist ein effektives Druckmittel.

Zur Person

Farid Tukhbatullin arbeitete zu Sowjetzeiten als Ingenieur und engagierte sich für den Umweltschutz. Der 50-Jährige begann in den 90er Jahren, Menschenrechtsverstöße in Turkmenistan zu dokumentieren. 2002-03 wurde er interniert und kam auf internationale Intervention hin frei. Heute lebt er unter Polizeischutz in Wien und leitet die "Turkmenische Initiative für Menschenrechte", die Vorfälle im Land dokumentiert.