Zum Hauptinhalt springen

Ein Coach für Revolutionäre

Von WZ-Korrespondent Matthias Bernold

Politik
Von nichts kommt nichts: Auch Revolutionär sein will offenbar gelernt werden.

Michael Badger hilft den Aktivisten in Sachen Selbstfindung und Wuterweckung.


New York. Im Zuccotti-Park in Lower Manhattan, einer 3000 Quadratmeter großen Betonfläche mit gemauerten Wannen für Blumen und Bäume, steht ein junger Mann vor einem Klapptisch mit Informationsblättern, die die Aufschrift "Coaching für Visionäre" tragen. "Du willst ,Occupy Wall Street unterstützen, weißt aber nicht wie?", steht darauf, "lass dich kostenlos von professionellen Life Coaches beraten."

Michael Badger, so der Name des Mannes, hat erst vor wenigen Monaten seine Ausbildung zum Lebensberater abgeschlossen. Der 38-jährige New Yorker stieß am dritten Tag zu den Protesten im Bankenviertel. Seither bereichert er die Bewegung, die sich inzwischen auf dutzende weitere US-Städte ausgebreitet hat, um seine Fähigkeiten - und macht nebenbei gleich auch ein bisschen Werbung für sich selbst. Beides scheint gut anzukommen: Badgers Stand ist von Neugierigen umringt, die darauf hoffen, dass ein Beratungsgespräch aus ihnen bessere Revolutionäre macht.

Seit inzwischen vier Wochen steht der Coach täglich im Basislager der Demonstranten. An diesem kühlen, regnerischen Herbsttag kuscheln sich ein paar Hundert Aktivisten in ihre Decken und Schlafsäcke unter Plastikplanen, bevor um 14 Uhr die tägliche "Generalversammlung" beginnt. Zur Einstimmung wird im westlichen Eck des Parks, dort wo man den halbfertigen Freedom-Tower auf Ground Zero am besten sieht, getrommelt, und ein Saxophonist improvisiert zum Rhythmus. Es sind College-Studenten, Anarchisten und Hippies mit langen Bärten, unterstützt von Gewerkschafts-Funktionären, Linksparteien und Menschen, die gegen die Vormachtstellung der Finanzwirtschaft ein deutliches Zeichen setzen wollen.

"Etwas in diesem Land läuft in die völlig falsche Richtung", glaubt Badger, "das sehen mehr und mehr Leute so. Unseren Proteste müssen nur ein bestimmtes Ausmaß erreichen, um tatsächlich eine Veränderung herbei zu führen." Seine eigene Rolle sieht er in erster Linie darin, die Menschen aufzuwecken. "Wir werden dazu erzogen, ständig um Erlaubnis zu fragen. Viele Leute suchen nach einer Legitimation, um so zu sein, wie sie sein wollen. Oder das zu tun, was sie tun wollen. Ich versuche, sie zu ermuntern, sich mehr zu trauen. Egal, ob es darum geht, sich selbst zu verändern oder die Gesellschaft."

Dass ein Revolutionär Coaching braucht, habe anfangs einer gewissen Überzeugungsarbeit bedurft, bestätigt Badger. Inzwischen fungiere sein Stand aber als eine Art Eingangsbereich, von wo aus die Aktivisten auf verschiedene Arbeitsgruppen verteilt werden. Dass sei zunächst gar nicht so einfach gewesen, weil der Widerstand nicht wirklich gut organisiert worden sei.

Wer weiß, wie gut etwa die Studentenproteste "Uni brennt" in Österreich organisiert waren, für die das Internet eine entscheidende Rolle spielte, der ist verblüfft von gerade zu altmodisch anmutenden Methoden. Zwar wird einiges per Live-Videostream in die Welt draußen übertragen und Aktivisten informieren die Außenwelt über Facebook und Twitter. Aber für die zentralen organisatorischen Aufgaben gibt es Arbeitsgruppen, Sitzungen und Boten mit Walkie Talkie. Die Infrastruktur, die hier zur Verfügung steht, ist ebenfalls alles andere als auf einen länger währenden Protest ausgelegt. "Wir benützen die Klos der Lokale in der Nähe", sagt Badger. Auch der Herbst und schlechtere Wetterbedingungen könnten sich zersetzend auf die Moral der Besetzer auswirken, fürchtet der Revolutionscoach, der sich seinen Widerstand nicht so einfach verderben lassen will. "Aber keine Frage: In San Francisco wären die Proteste sicher bequemer."