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Der Diktator am Gashahn

Von Georg Friesenbichler aus Turkmenistan

Politik

Politische Inszenierungen wie in Nordkorea, Bauboom wie in Dubai.


Aschchabad. Die Delegierten, die sich vor dem Präsidenten versammelt haben, lauschen nicht nur seiner Rede, sondern machen sich auch eifrig Notizen. Nur ab und zu unterbrechen sie diese Tätigkeit, um heftig zu applaudieren. Gezeigt wird dies auf dem ersten Kanal des turkmenischen Fernsehens. Und auf dem zweiten. Und auf dem dritten. Erst im vierten Fernsehprogramm wird der Besuch einer ausländischen Organisation gezeigt, am fünften ist Folkloretanz zu sehen.

Das Bild des morgendlichen Programmangebots setzt sich tagsüber fort, wenn Turkmenistans Staatsführer Gurbanguly Berdymuchammedov seinen österreichischen Amtskollegen Heinz Fischer empfängt. Wie Schüler schreiben sogar Minister mit, wenn ihr Präsident redet, oder sie tun zumindest so. Und während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Fischer springen die Funktionäre in den ersten vier Sitzreihen plötzlich "spontan" auf und spenden Beifall, denn Berdymuchammedov hat eine gute Nachricht verkündet: Eine britische Energiezertifizierungsagentur habe neue Gasvorkommen von insgesamt 26,3 Billionen Kubikmeter Volumen gefunden - das größere der beiden Felder in Süd-Yolotan erstreckt sich über 3000 Quadratkilometer und wäre das zweitgrößte Gasfeld der Welt.

Dabei gehört Turkmenistan jetzt schon zu den Ländern der Erde, die mit reichlich Energiereserven gesegnet sind. Hinter Russland, dem Iran und Katar verfügt es über die viertgrößten Gasvorkommen der Welt.

Das führt zu einem Wirtschaftswachstum von rund 10 Prozent, von dem durchaus auch die Bevölkerung profitiert. Für Strom, Gas und Wasser ist nichts zu zahlen, 120 Liter Treibstoff im Monat sind gleichfalls gratis. Die Grundnahrungsmittel werden subventioniert. Zur Arbeitslosigkeit gibt es keine Angaben, die letzten Schätzungen, die von einer Quote von 60 Prozent sprechen, stammen noch aus dem Jahr 2004. Der Großteil der arbeitenden Menschen werkt in Staatsbetrieben. Allerdings soll der Anteil des Privatsektors am Bruttoinlandsprodukt bis 2020 auf 70 Prozent erhöht werden.

Das ist einer der Aspekte der vorsichtigen Kursänderung, die Berdymuchammedov, seit 2006 im Amt, seinem Staat verordnet hat. Sein Vorgänger Saparmyrat Nijasow hatte als letzter KP-Chef der sowjetischen Teilrepublik das Land 1991 in die Unabhängigkeit geführt, die am 27. Oktober gefeiert wird. Er reduzierte Sozialleistungen, ließ Bibliotheken schließen und entwickelte einen bizarren Kult um seine Person, die er Turkmenbaschi (Führer der Turkmenen) nennen ließ.

Seine goldene Statue, die sich nach dem Stand der Sonne um die eigene Achse drehte, ist mittlerweile aus dem Stadtbild verschwunden, in dem noch zu seinen Lebzeiten gebauten Mausoleum neben der von Nijasow errichteten größten Moschee Zentralasiens wird er aber immer noch geehrt. Auch sonst gibt es vor allem in politischer Hinsicht Überbleibsel der Turkmenbaschi-Ära: Es existieren keine Oppositionsparteien, und bei der Medienfreiheit liegt Turkmenistan laut der Organisation Reporter ohne Grenzen auf dem drittschlechtesten Platz, vor Eritrea und Nordkorea. Und die Selbstdarstellung des heutigen Präsidenten erinnert gleichfalls an nordkoreanische Verhältnisse.

Häuser mit weißem Marmor

Die nordkoreanische Führung hat bekanntlich gleichfalls einen Hang zu protziger Inszenierung, und ähnlich ist es in Turkmenistan, das sich dies allerdings auch leisten kann. Die eifrige Bautätigkeit in der Hauptstadt Aschchabad gemahnt daher eher an Dubai als an Pjöngjang. Neue Hochhäuser, verkleidet mit weißem Marmor aus Italien und der Türkei, werden von großzügigen, aber großteils menschenleeren Parks umschlossen, in denen trotz der stets präsenten Wasserknappheit reichlich Brunnen fließen. Sie werden von Putztrupps, wie auch der Rest der Stadt, peinlich sauber gehalten. Auf jedem Neubau, den Berdymuchameddov eröffnet hat, hängt groß sein Porträt - und er hat sichtlich viel eröffnet. Breite Boulevards werden von silberfarbenen Straßenlaternen gesäumt, im neu errichteten Regierungsviertel, das sich über mehrere Kilometer erstreckt, glänzen sie sogar in Gold. Vor wenigen Jahren standen hier großteils noch Plattenbauten aus der Sowjetzeit.

Auf den zweigeschoßigen, älteren Bauten, die noch aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem verheerenden Erdbeben von 1948 stammen, wuchern Satellitenschüsseln. Dem Präsidenten soll das ein ästhetischer Dorn im Auge sein, er will sie verbieten lassen. Vorläufig gibt es sie aber noch. Außer Fernsehen haben die Einwohner der Hauptstadt auch wenig Vergnügungen, Lokale müssen um 23 Uhr schließen. Sogar telefonieren ist schwer geworden, seit im Frühjahr der größte Mobilfunkanbieter MTS aus Moskau praktisch enteignet wurde. Österreichische Handys funktionieren in dem Land nicht, auch das Internet ist praktisch nicht zu gebrauchen.

Es ist schwer zu sagen, ob der Präsident seine Untertanen mit solchen Aktionen noch weiter von der Außenwelt abschotten will. Auch das alte Misstrauen gegen Russland, das das Land im 19. Jahrhundert unterworfen hat, mag eine Rolle gespielt haben.

Energie für alle

Ansonsten will man es aber in wirtschaftlicher Hinsicht ebenso halten wie in politischer - durch die deklarierte Neutralität fühlt man sich mit Österreich verbunden. In das nördlich gelegene Russland fließen jährlich 50 Milliarden Kubikmeter russisches Gas. Zur schon bestehenden Gaspipeline nach China soll bald eine zweite dazukommen. Zum südlichen Nachbarn Iran, der nur 40 Kilometer von Aschchabad entfernt ist, gibt es schon zwei Pipelines. Und künftig soll über Afghanistan und Pakistan Gas bis nach Indien gelangen.

Meer oder See?

Die Windrose soll, geht es nach dem Willen sowohl der Europäer als auch der Turkmenen, durch den Weg nach Westen komplettiert werden. "Wir haben genug Gas für alle", sagt der Präsident und unterzeichnet zusammen mit Fischer ein Memorandum zur Zusammenarbeit in Energiefragen.

Die am besten geeignete Möglichkeit des Transports wäre die Transkaspische Pipeline am Boden des Kaspischen Meeres, durch die das Gas zuerst nach Aserbeidschan und dann in die Nabucco-Pipeline, deren Kosten sich laut jüngsten Angaben auf 14 Milliarden Euro fast verdoppeln könnten, geleitet werden könnte. Ehe dies verwirklicht werden kann, ist allerdings vor allem zu klären, ob das Kaspische Meer, wie es seiner geografischen Gegebenheit entspricht, der größte Binnensee der Welt ist oder seinem Namen gemäß ein Meer. Gilt es als Binnengewässer, würden Bodenschätze und Nutzungsrechte unter den Anrainerstaaten zu gleichen Teilen aufgeteilt. Bei einem internationalen Gewässer könnten die Anrainer nur über wenige Kilometer an der eigenen Küstenlinie verfügen, der Großteil des Meeres könnte gemeinsam genutzt werden. Die Rechte dafür müssten vertraglich geregelt werden.

Anrainerstaaten wie Aserbaidschan, vor dessen Küste reiche Gasvorkommen vermutet werden, Kasachstan und Turkmenistan würden die Definition als Meer bevorzugen, Russland und der Iran wehren sich dagegen.

Die EU drängt auf den Bau der Pipeline: Im September wurde der Kommission das Mandat erteilt, ein Abkommen mit Aserbaidschan und Turkmenistan über den Abschluss eines juristisch verbindlichen Vertrages für den Bau der Trans-Kaspi-Gasleitung zu erarbeiten. Und EU-Energiekommissar Günther Oettinger lud in der kasachischen Hauptstadt Astana Kasachstan zur Teilnahme an dem Projekt ein. Kasachstan, das gleichfalls über große Mengen an Erdgas verfügt, reagierte allerdings vorsichtig: "Heute haben wir keine Ressourcen für diese Gasleitung", sagte der zuständige kasachische Minister.