Der Andrang bei den ersten freien Wahlen war groß. - © APAweb / epa / Zacarias Garcia
Der Andrang bei den ersten freien Wahlen war groß. - © APAweb / epa / Zacarias Garcia

Tunis. Im Mutterland des "arabischen Frühlings" zeichnet sich ein Sieg der gemäßigten Islamisten und damit ein politischer Umschwung in dem bisher eher säkularen Staat ab. Die meisten Prognosen deuteten am Montag daraufhin, dass sich die Ennahda-Partei bei der ersten freien Abstimmung am Sonntag den größten Anteil der Stimmen sichern konnte. Die Partei geht davon aus, dass sie bis zu 50 Prozent der Stimmen errungen hat.

Die gemäßigt linke Kongress-Partei für die Republik (CRP) hofft auf den zweiten Platz, was ein Rückschlag für die Fortschrittliche Demokratische Partei (PDP) wäre. Da Tunesien der Pionierstaat des "Arabischen Frühlings" ist, gilt der Wahlausgang auch als Signal für die politische Stimmung in anderen Umsturzländern wie Ägypten und Libyen.

Nach den ersten freien Wahlen in der Geschichte Tunesiens kann wahrscheinlich erst am Dienstag ein vorläufiges Endergebnis verkündet werden. Die Auszählung der Stimmen habe vielerorts mit erheblicher Verspätung begonnen, berichteten Wahlbeobachter der Europäischen Union am späten Sonntagabend. Hintergrund sei vor allem eine flexible Auslegung der Wahllokal-Öffnungszeiten gewesen. Viele hätten den Andrang im offiziell vorgegebenen Zeitraum nicht bewältigen können, berichteten die Wahlbeobachter.

Neun Monate nach dem Sturz von Langzeitherrscher Zine el Abidine Ben Ali wählten am Sonntag rund sieben Millionen Wahlberechtigte die 217 Mitglieder einer verfassungsgebenden Versammlung. Diese soll einen neuen Übergangspräsidenten ernennen und ein Grundgesetz erarbeiten. Für die 217 Sitze in der Versammlung kandidierten insgesamt 11 618 Bewerber.

Sowohl in Tunesien als auch im Ausland wurde die Abstimmung als wichtige Bewährungsprobe für die Revolutionsbewegung in der ganzen arabischen Welt gewertet. Im Januar hatten die Tunesier als erstes Volk in der Region erfolgreich gegen die autoritäre Herrschaft ihrer Führung rebelliert. Das seitdem auch die Ägypter und Libyer ihre Langzeitherrscher stürzten, gilt Tunesien als Mutterland des "arabischen Frühlings".

Mit Spannung wird nun vor allem erwartet, welches politische Lager in der verfassungsgebenden Versammlung die Mehrheit stellen wird. In letzten Umfragen lag die islamistische Ennahdha-Bewegung von Rachid Ghannouchi mit bis zu 30 Prozent der Stimmen klar vorn. Sie war unter Ben Ali verboten und ist in der Bevölkerung stark umstritten. Vor allem liberale Frauen fürchten eine Machtübernahme der Islamisten.

Trotz der Einschränkungen vieler Bürgerrechte galt Tunesien unter Ben Ali als eines der fortschrittlichsten Länder in Nordafrika. In keinem anderen muslimischen Staat der Region hat der weibliche Teil der Bevölkerung so viele Rechte.