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Nordkoreas ungewisse Zukunft sorgt für Unruhe

Von Georg Friesenbichler

Politik

Der Machtwechsel in Pjöngjang nährt die Angst vor Instabilität der Region.


Pjöngjang. Der Tod ereilte ihn bei einer Zugfahrt: Der "geliebte Führer" Kim Jong-il sei nach einem "großen mentalen und physischen Leiden dahingeschieden", als er Samstagfrüh eine seiner Reisen durch das Land absolvierte, meldete am Montag die nordkoreanische Nachrichtenagentur KNCA. Ob der 69-Jährige dem tödlichen Herzinfarkt in seinem gepanzerten Zug erlag, ist ungeklärt - den Panzerzug hatte Kim Jong-il jedenfalls stets bei Auslandsreisen benutzt. Zuletzt war dies bei zwei Reisen zum einzigen Verbündeten in der Region, in die Volksrepublik China, und im August bei einer Reise nach Russland der Fall gewesen.

Der Zug war ein Geschenk von Josef Stalin an den Staatsgründer Kim Il-sung, dessen Sohn Kim Jong-il die "letzte stalinistische Diktatur" fortsetzte. Dass der Diktator ihn bis zuletzt benutzte, gehört zu den zahlreichen skurrilen Anekdoten, die sich um den brutalen Herrscher ranken. In seiner fahrenden Zitadelle, die seit Stalins Zeiten gehörig modernisiert wurde, mangelte es dem angeblich an Flugangst Leidenden an nichts: Internetanschluss und Spa waren ebenso vorhanden wie zwei Mercedes-Limousinen für Ausflüge, schilderte Konstantin Pulikoswki, nachdem er als Generalgouverneur Moskaus Kim im Jahr 2001 auf einer dreiwöchigen Russland-Reise begleitet hatte.

Pulikowski verdanken wir auch die Erkenntnis, dass der Mann, dessen Land regelmäßig von Hungersnöten heimgesucht wird, mit silbernen Essstäbchen zu speisen pflegte und dass er damit bei feinsten Delikatessen aus aller Welt zugriff. Der Gourmet soll auch bei Rotweinen und Cognac kein Kostverächter gewesen sein.

Tränen bei TV-Sprecherin

Solche Berichte stammen stets aus zweiter Hand, wenn sie veröffentlicht werden - denn im abgeriegelten Nordkorea selbst wurde über den Diktator nur Positives berichtet. Die Staatsmedien berichteten denn auch nach dem Tod des "geliebten Führers" von Szenen "unbeschreiblicher Trauer", das Fernsehen zeigte Mitglieder der regierenden kommunistischen Partei, die schluchzten, schrien und auf Tische schlugen. Fotos aus Pjöngjang zeigten tränenüberströmte Menschen. Als sie den Tod von Kim Jong-il verkünden musste, hatte auch die Nachrichtensprecherin Tränen in den Augen. Anschließend zeigte das Fernsehen stundenlang Aufnahmen des Machthabers bei Besuchen in Fabriken und Schulen.

Solche Bilder kennt man schon vom Tod von Kim Il-sung. Ihm blieb auch nach seinem Ableben 1994 noch der Titel des "ewigen Präsidenten" der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik, der Sohn musste sich mit den Ämtern des Generalsekretärs der Partei und des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates begnügen. Diese Funktionen sollen wohl nun dem jüngsten Sohn, Kim Jong-un, zufallen - er wurde nicht nur mit dem Vorsitz des nationalen Trauerkomitees betraut, sondern von den staatlichen Medien auch schon als "der große Nachfolger" bezeichnet.

Die Erbfolge hat Kim Jong-il schon zu seinen Lebzeiten organisiert. Im vergangenen Jahr kürte er Jong-un, der um die 30 Jahre alt sein dürfte, zum Vier-Sterne-General und hob ihn in die Führungsriege hinauf. Seinen Schwager Chang Sung-taek machte er gleichzeitig zum stellvertretenden Vorsitzenden des Verteidigungsrates, um so die Loyalität der Armee zu seiner Familie zu sichern. Der Armee - mit 1,2 Millionen Soldaten ist sie eine der größten der Welt - wird von Beobachtern eine entscheidende Rolle für den Kurs Nordkoreas zugeschrieben, Unklarheit besteht allerdings darüber, ob es mittelfristig nicht doch zu Machtkämpfen innerhalb des Apparates kommen wird.

Der am Montag erfolgte Test einer nordkoreanischen Kurzstreckenrakete dürfte nach Meinung von Experten allerdings nichts mit etwaigen Provokationsgesten des Militärs zu tun haben. Das Land hat schon seit dem Vorjahr eine Reihe von Tests mit Raketen des Typs KN-06 durchgeführt, die eine Reichweite von rund 120 Kilometern haben.

China mahnt zu Vernunft

Unsicherheit beherrscht daher die Reaktionen der internationalen Politik auf den Tod Kim Jong-ils, der überraschend kam, obwohl der Diktator schon seit längerem von einem Schlaganfall gezeichnet war. China etwa, der wichtigste Handelspartner Nordkoreas, sprach zwar dem Nachbarland sein "tiefstes Beileid" aus und würdigte den Verstorbenen als "großen Führer und engen Freund des chinesischen Volkes". Gleichzeitig mahnte der Sprecher des Außenministeriums aber die nordkoreanische Führung indirekt zur Vernunft: Er hoffe, dass Nordkorea weiterhin einen "positiven Beitrag zum Erhalt des Friedens und der Stabilität auf der koreanischen Halbinsel und der Region" leisten werde, hieß es in der Kondolenzbotschaft.

China ist in der Vergangenheit nicht immer glücklich mit dem eigensinnigen Nachbarn gewesen. So hat die Regierung in Peking nach angeblichen Atombombentests Nordkoreas in den Jahren 2006 und 2009 Sanktionen der Vereinten Nationen mitgetragen, mit denen Kim Jong-il für die nuklearen Drohungen gemaßregelt werden sollte. Die chinesische Führung will aber keine Destabilisierung des Regimes. Zu groß ist die Furcht vor Flüchtlingsströmen an der mehr als 1000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze.

Dauerbrenner Atomwaffen

Das Atomprogramm Nordkoreas beunruhigt den Westen ähnlich wie jenes des Iran. Erst Ende November rief US-Außenministerin Hillary Clinton Nordkorea bei einem Besuch in Südkorea dazu auf, sichtbare Schritte zum Abbau seines Atomwaffenprogramms zu machen. Die Führung in Pjöngjang, die vor kurzem Fortschritte bei der Urananreicherung meldete, wies dies zurück, betonte aber gleichzeitig seine Bereitschaft, die Atomgespräche mit den USA, China, Russland, Südkorea und Japan ohne Vorbedingungen fortzusetzen, die seit mehr als zwei Jahren unterbrochen sind.

Entsprechend groß ist auch die Nervosität in den westlich orientierten Ländern, die sich durch mögliche nordkoreanische Raketen bedroht sehen. Südkorea versetzte seine Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft, während Präsident Lee Myung-bak seine Landsleute zur Ruhe aufrief.

Kritik an Geheimdienst

Unruhe gab es in Seoul allerdings in der Politik wegen der Tatsache, dass Südkoreas Geheimdienst, eine der wichtigsten Quellen des Westens für die Vorgänge in Nordkorea, zwei Tage lang keine Kenntnis vom Tod des Diktators hatte und die Führung des Landes erst durch das nordkoreanische Staatsfernsehen davon unterrichtet wurde. Abgeordnete sowohl der Opposition als auch der Regierungspartei kritisierten das Versagen des südkoreanischen Geheimdienstes.

Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind wieder äußerst gespannt, seit Nordkorea eine Insel, die die Südkoreaner als die ihre betrachten, beschossen und ein südkoreanisches Kriegsschiff versenkt hat. Anfang Dezember aber fing Südkorea wieder an, Millionen-Hilfsgelder an den Norden zu schicken. Die Wirtschaft des Nordens liegt darnieder. Zwischen 1996 und 1999 sollen rund eine Million Nordkoreaner verhungert sein.

Ein rasch einberufenes Sicherheitstreffen in Japan führte im Gegensatz zu Südkorea zu keiner erhöhten Alarmbereitschaft für das Militär. Dennoch werde man die Entwicklung genau beobachten und sich auf überraschende Entwicklungen vorbereiten, hieß es in Tokio. Und die USA betonten, dass man weiterhin für die Freiheit und die Sicherheit ihrer Verbündeten einstehen werde.

Die Sorge um die Stabilität in der Region beeinflusste auch die Börsen: Der Leitindex in Seoul sackte um bis zu fünf Prozent ab, in Tokio und in Hongkong fielen die Kurse um ein Prozent. Aber auch der Euro rutschte für kurze Zeit unter 1,30 Dollar. In unruhigen Zeiten werde der Dollar als Fluchtwährung gesucht, erläuterten Analysten.

Einige Länder verbinden mit dem Machtwechsel allerdings auch Hoffnungen auf einen politischen Wandel: Er hoffe sehr, dass das Volk in Nordkorea "eines Tages seine Freiheit finden" möge, erklärte der französische Außenminister Alain Juppé. Der britische Außenminister William Hague vertraut darauf, dass Kims Nachfolger anerkennen müssten, dass die Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft die beste Möglichkeit biete, die Lebensqualität des Volkes zu heben. Die deutsche Regierung rief die neue Führung in Pjöngjang zu einer politischen und wirtschaftlichen Öffnung des Landes auf.

Fotoblog: Kim Jong-il looking at things