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"Bezweifle, dass Kim Jong-un eigene Akzente setzen wird"

Von Alexander U. Mathé

Politik

Asien-Experte Markus Tidten im Interview über die Zukunft Nordkoreas.


"Wiener Zeitung":Kim Jong-il ist tot. Warum sind die Nordkoreaner so traurig?Markus Tidten: Die Propaganda in Nordkorea ist außerordentlich gut organisiert, da herrscht Perfektion. Die Bilder von Trauernden sind ein Signal, das vorwiegend nach innen geschickt wird. Inwieweit diese vor den Kameras präsentierte Traurigkeit über den Verlust des lieben Führers dem Volksempfinden entspricht, ist ungewiss.

Was muss Kim Jong-un tun, um sich als Machthaber zu etablieren?

Am besten, er tut nicht allzu viel. Die Möglichkeit, sich auf dieses Amt vorzubereiten, war sowohl zeitlich als auch inhaltlich sehr begrenzt. Er muss in kurzer Zeit eine Position ausfüllen, die er gar nicht ausfüllen kann. Das bedeutet, dass die eigentlichen Machtstrukturen, die Militäroligarchie und der Parteiapparat, in Kim Jong-un eine Figur haben, die relativ einfach zu handhaben ist. Ich bezweifle, dass Kim Jong-un eigene Akzente setzen wird. Das heißt, wir werden eine außenpolitische Linie haben, die nicht durch Eigeninitiativen gestört wird.

Was bedeutet das in nächster Zeit?

Es wird darum gehen, den Status quo zu halten und den neuen Führer vorzustellen. Man hat ja schon dazu aufgerufen, die Loyalität vom Vater auf den Sohn zu übertragen, um möglichst keine Unruhe in das fragile System zu bekommen. Kim Jong-un wird in einer letzten Vorbereitungsphase in sein Amt eingeführt werden.

Die Nachbarländer reagieren aber nicht gelassen.

Eigentlich ist die Situation nicht so dramatisch. Dass Südkorea seine Truppen in Alarmbereitschaft gesetzt hat und Japan nervös reagiert, ist "business as usual". Das macht man immer, wenn es in Nordkorea irgendwelche Veränderungen gibt.

Wird Kim Jong-un jemals mehr sein als eine Marionette? Wer hat überhaupt die Zügel in der Hand und wird er bereit sein, die Macht an Kim Jong-un abzugeben?

Das ist die 100.000-Dollar-Frage. Wir haben nie genau gewusst, inwieweit es tatsächlich eine Kim-Dynastie gibt. Ich wage das zu bezweifeln. Zwar hat Kim Jong-il ab und zu versucht, eigene Akzente zu setzen. Der jüngste war seine Reisen nach Russland, wo er die Energieabhängigkeit von China reduzieren wollte. Wenn wir aber genau betrachten, was in den letzten 15, 20 Jahren die Erscheinungsformen der Außenpolitik des Landes waren, dann ging es um die Fragen: "Gibt es eine Atombombe und wenn ja, wer will sie?", "Wer will überhaupt Waffen?", "Wer verhindert den Einblick in das System?". Die Antwort darauf ist: das Militär. So gesehen sind die Figuren Kim, der Vater, der Sohn und nun der nächste Sohn, Positionen, die der Bevölkerung gegenüber als sehr praktische Integrationsfigur fungieren. Ich bezweifle aber, dass die Familie Kim im Hintergrund den Einfluss auf die Machtstrukturen hat, den man ihr gerne unterstellt. Man neigt lediglich dazu, weil es die einzigen Personen sind, die zumindest physisch erkannt werden können. Vom Militär sieht man ja - wenn überhaupt - nur Uniformen. Man kennt nicht einmal die Namen der großen militärischen Strategen, die dahinterstehen. Ich vermute, dass wir eine sehr klare Politik haben werden, die nicht mehr gestört wird durch Interventionen von Seite der Familie Kim.

Bedeutet das für den Westen, dass er gar nichts machen kann?

Gar nichts wäre sicher zu wenig. Wir haben ja schon die ersten Initiativen, etwa in Brüssel, wo man Nordkorea dazu aufgerufen hat, konziliant zu sein, zu Gesprächen zurückzukehren, sich zu öffnen und in die internationale Gemeinschaft zurückzukehren. Die Aufforderung an Pjöngjang von einer gefährlichen Politik - vor allem im Bereich der Weitergabe von Atom-Know-how - abzusehen, sollten immer deutlich von allen Seiten des Westens kundgetan werden. Selbst China und Russland sagen ja, dass sie das Land zwar als Pufferstaat erhalten wollen, aber auf einem möglichst niedrigen und sogar unter-nuklearen Niveau.

Besteht die Hoffnung auf eine Abkehr von der Planwirtschaft in Nordkorea?

Ich glaube nicht. Die ist ja nur die Kehrseite der Medaille, wenn es darum geht, möglichst wenig Einblick von außen zu gewähren. Damit sich dieses Regime in der Person von Kim Jong-un der Bevölkerung gegenüber als legitim darstellen kann, braucht es zumindest propagandamäßig Konzepte und Planung, damit man der Bevölkerung signalisiert, alles im Griff zu haben. Würde man das ändern, brächte das Unruhe in das System; und jede Unruhe, die auch nur den Anschein hat, dass sie Einblick von außen gewähren könnte, wäre viel zu gefährlich für das Regime.

Was könnte sich ändern?

Es würde mich nicht wundern, wenn als Folge der Reise Kim Jong-ils nach Russland die Atomgespräche fortgesetzt werden, aber das ist nicht mehr als Kaffeesatzlesen.

Zur Person



Dr. Markus Tidten

Dr. Markus Tidten ist Ostasien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.