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Das Mädchen und die Frommen

Von Georg Friesenbichler

Politik

Offizielles Israel ist gegen die Fanatiker - aber Regierung braucht ihre Stimmen.


Jerusalem. Für die kleine Hamma gab es einen großen Empfang. Israels Bildungsminister Gideon Saar und Vertreter des parlamentarischen Frauenrechtskomitees waren am Donnerstag gekommen, um die Achtjährige und ihre Mutter nach den Chanukka-Ferien in der Orot-Banot-Schule willkommen zu heißen. Hamma ist im ganzen Land, ja der ganzen Welt bekannt, seit sie von ultraorthodoxen Juden bespuckt und beschimpft worden ist, weil sie deren Meinung nach nicht züchtig genug gekleidet war.

Am Dienstagabend waren am Ort des Geschehens, der Stadt Beit Shemesh im Distrikt Jerusalem, tausende Israelis aufmarschiert, um gegen den religiösen Extremismus und gegen die Benachteiligung von Frauen zu protestieren. Unterstützung bekamen sie dabei von der politischen Führung des Landes und dem Bürgermeister von Beit Shemesh, Moshe Abutbul. Die Mutter von Hamma, Hadassah Margolese, verweigerte allerdings ein Treffen mit Abutbul, weil dieser bisher gegen die Belästigungen nichts unternommen habe.

Die regierende Likud-Partei gibt einer kleinen Gruppe religiöser Eiferer die Schuld an dem Vorfall - den Sikariern, benannt nach den jüdischen "Dolchträgern", die sich im 1. Jahrhundert militant gegen die römische Herrschaft in Judäa wehrten. Tatsächlich haben sich auch andere Gruppen, die dem breiten Spektrum der Ultraorthodoxen zugerechnet werden, gegen die Vorgangsweise der Fanatiker vor der Mädchenschule ausgesprochen - diese selbst gilt als "modern-orthodox".

Denn obwohl in Beit Shemesh keine Araber zu finden sind, ist seine Bevölkerung keineswegs eine einheitliche Gemeinschaft. In ihr finden sich neben säkularen Israelis unterschiedliche religiöse Gruppierungen, solche, die die Orthodoxie mit dem Zionismus in Einklang zu bringen versuchen, ebenso wie solche, die den jüdischen Staat an sich wegen ihrer religiösen Überzeugung ablehnen. Zwischen ihnen kommt es immer wieder zu Konflikten.

Diese nehmen seit den 1990er Jahren zu, weil der 80.000-Einwohner-Ort immer stärker von den Charedim, wie die Orthodoxen auf Hebräisch heißen, beherrscht wird - unter tatkräftiger Mithilfe von konservativen Regierungen. Der örtliche Bürgermeister, selbst bei der religiösen Shas-Partei, sein Parteifreund Ariel Atias, seines Zeichens Bauminister, und Ministerpräsident Benjamin Netanyahu haben beschlossen, 30.000 neue Wohnungen in der Stadt zu bauen - nur 2000 seien für säkulare oder moderat orthodoxe Menschen geplant, erläutern Kritiker.

Die Likud-Regierung von Netanyahu ist auf das Wohlwollen der Strengreligiösen angewiesen. Fast 20 Prozent der Knesset-Abgeordneten sind Parteien zuzuordnen, die die Ultraorthodoxen und die konservativen Siedler vertreten, die rund 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Drei von diesen Parteien sind auch in der Regierung dabei, auch wenn die Partei "Vereinigtes Thora-Judentum" auf einen Kabinettsposten verzichtet hat. Viele ihrer Anhänger lehnen den jüdischen weltlichen Staat ab. Auch wenn sich diese Parteien in ihrer Religionsinterpretation und ihrer Herkunft aus Europa (Aschkenasen) und arabischen (Sepharden) Ländern nach unterscheiden, haben sie das Beharren auf den israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten gemeinsam - und die Verteidigung der zahlreichen staatlichen Vergünstigungen für die Frommen.

Dass in Beit Shemesh keine isolierten Fanatiker tätig sind, zeigt jedenfalls ein weiterer Vorfall, über den die israelische Zeitung "Haaretz" am Donnerstag berichtete: Wie die kleine Hamma wurde in Jerusalem eine Soldatin von einem Ultraorthodoxen als "Hure" beschimpft. Ihr Vergehen: Sie hatte sich geweigert, im hinteren Teil eines Busses Platz zu nehmen. Der Mann, der auf Geschlechtertrennung bestand, wurde festgenommen und wird wegen "sexueller Belästigung" angeklagt. Die Soldatin schilderte, dass sie das erste Mal um Hilfe gegen solche Angriffe gebeten habe, neu seien diese aber nicht gewesen - sie habe "schon schlimmere Zwischenfälle" erlebt.