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Indiens neuer Gandhi will mehr

Von Ronald Schönhuber

Politik

Erstmals soll es ein Korruptionsgesetz geben - Anna Hazare ist das nicht genug.


Mumbai. Eigentlich wollte der kleine und stets in Weiß gekleidete Mann viel länger hungern. Doch diesmal musste Anna Hazare, der seine Protestaktionen schon gegen so manchen Widerstand durchgesetzt hatte, aufgeben. Ein Virus, das ihn schon seit dem Wochenende deutlich geschwächt hatte, war stärker als Indiens bekanntester Bürgerrechtsaktivist gewesen, der am Donnerstag dem Rat seiner Ärzte folgte und das Fasten aufgab.

Mit seinem am Dienstag begonnenen Hungerstreik hatte der 74-Jährige, der von seinen vielen Anhängern schon mit Mahatma Gandhi verglichen wird, erneut gegen die Anti-Korruptionsgesetzgebung demonstrieren wollen. Zeitgleich mit der Protestaktion hatte im indischen Parlament nämlich die Debatte über eine entsprechende Regierungsvorlage begonnen, die von Hazara noch immer als viel zu zahnlos betrachtet wird. Der vom Unterhaus bereits am Dienstagabend angenommene Entwurf sieht zwar eine unabhängige Schiedsstelle vor, die gegen korrupte Politiker und Beamte ermitteln soll, bei den absoluten Spitzenfunktionären enden ihre Befugnisse aber relativ rasch.

Für Hazare und seine Anhänger ist der Zug mit dem Votum im Unterhaus allerdings noch lange nicht abgefahren. Damit das Gesetz in Kraft treten kann, muss auch die zweite Kammer des Parlaments zustimmen, doch im Oberhaus verfügt die Regierung von Premier Manmohan Singh über keine Mehrheit. Damit dürfte also noch einige Zeit vergehen, bevor die sogenannte Lokpal-Verordnung - der Sanskrit-Ausdruck bedeutet Beschützer des Volkes - endgültig beschlossen wird.

Für Singh bleibt damit ein Problem bestehen, das er eigentlich schon längst vom Tisch haben wollte. In den nächsten Wochen wird in fünf indischen Bundesstaaten gewählt und andauernde Proteste gegen die Regierung dürften die Chancen von Singhs Kongresspartei schmälern.

Hazare will bis zu Abstimmung im Oberhaus jedenfalls weiter intensiv gegen die "Verräter" in der Regierung mobilisieren. Welches Potenzial er in dieser Hinsicht besitzt, hatte der 74-Jährige im vergangenen Sommer bewiesen. Hazares zwölftägiger Hungerstreik hatte damals landesweit Solidaritätskundgebungen und Massenproteste ausgelöst. Die stark unter Druck geratene Regierung sah sich schließlich genötigt, Hazares Forderung teilweise nachzugeben. So hatte die Schiedsstelle in der allerersten Fassung noch viel weniger Befugnisse gehabt als in der nun im Unterhaus beschlossenen Gesetzesvorlage.

Unterstützung für sein Anliegen findet der 74-Jährige in weiten Teilen der Bevölkerung, denn in den vergangenen Jahren ist Indien von einer Korruptionsaffäre nach der anderen erschüttert worden. Der im April aufgedeckte Telekom-Skandal dürfte laut der Zeitung "The Hindu" sogar der größten Betrug seit der Unabhängigkeit gewesen sein. Dabei haben Mitarbeiter der Regierung lukrative Lizenzen weit unter dem Marktwert an private Firmen verkauft und dafür Schmiergeldzahlungen erhalten. Dem Staat dürfte dadurch ein Schaden von 36 Milliarden Dollar entstanden sein.