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Die brennende Lunte am Pulverfass Nigeria

Von Ronald Schönhuber

Politik

Religiöse Gewalt und landesweite Streiks - die Angst vor dem Bürgerkrieg wächst.


Lagos. Wole Soyinka hat eine Ahnung von Bürgerkriegen. 1967, also lange bevor man ihm in Stockholm den Literaturnobelpreis verliehen hat, wurde Soyinka von der Regierung ins Gefängnis gesteckt, weil er im Sezessionskrieg zwischen Nigeria und der Biafra-Region zu vermitteln versuchte. Erst 22 Monate später und nachdem die Weltöffentlichkeit auf ihn aufmerksam wurde, kam Soyinka schließlich frei.

Mehr als 40 Jahre später befürchtet Nigerias renommiertester Schriftsteller nun erneut, einen Bürgerkrieg in seinem Land erleben zu müssen. Bereits seit Monaten terrorisiert die Boko-Haram-Sekte, die sich selbst gern auch als "nigerianische Taliban" bezeichnet, die Christen im islamisch geprägten Norden des Landes. Seit den Weihnachtsfeiertagen kamen mehrere Dutzend Menschen bei Anschlägen ums Leben, die in vielen Fällen auch nicht vor Kirchen und Gottesdiensten Halt machten. Wenn ein paar Leute zu einem religiösen Ort gehen und dort durch die Fenster schießen könnten, dann sei ein "bedrückender Wendepunkt im Leben einer Nation erreicht", sagte Soyinka, der bis heute ein beharrlicher Kritiker der nigerianischen Regierungsspitze ist, vor kurzem in einem BBC-Interview. Dann sei der Staat als solcher bedroht.

Staatschef Goodluck Jonathan steckt allerdings in einer äußerst verzwickten Lage. Angesichts der ausufernden ethnischen und religiösen Gewalt, die zuletzt am Dienstagabend 16 und am Mittwoch 4 weitere Todesopfer gefordert hat, sieht sich der 54-Jährige zwar zum Handeln genötigt. Doch mittlerweile weiß er nicht mehr, wem er überhaupt noch vertrauen kann. Denn auch in der Regierung und in Justizkreisen werden zumindest heimliche Sympathisanten der Boko Haram vermutet.

Die religiösen Konflikte sind allerdings nicht die einzige Frontlinie, an der Jonathan kämpfen muss. Seit drei Tagen heizen die ebenfalls von Gewalt überschatteten Proteste gegen die Verdoppelung der Benzinpreise die Stimmung in Nigeria noch zusätzlich an. Am Mittwoch wurde erneut landesweit gestreikt, die meisten Geschäfte und Fabriken blieben geschlossen. In der Millionenmetropole Lagos versammelten sich wieder tausende Demonstranten, kleinere Protestaktionen gab es auch in anderen Landesteilen.

Mit den rund 8 Milliarden Dollar, die durch den Wegfall der Anfang Jänner gestrichenen Treibstoffsubventionen hereinkommen, will Jonathan langfristige Projekte umsetzen. Investiert werden soll das Geld vor allem in den Ausbau der Infrastruktur, ins Bildungs- und Gesundheitswesen.

Verständnis für seine Maßnahmen erntet der Präsident allerdings kaum. Viele Nigerianer treibt vor allem die Angst auf die Straße, dass sie es sich bald nicht mehr leisten können, den Bus zur Arbeit oder die häufig verwendeten Benzin-betriebenen Generatoren zu bezahlen. Denn die gestrichen Treibstoffsubventionen waren jahrelang eine der wenigen Hilfen, die die Regierung der Bevölkerung zugestand.

Ein Aufgeben kommt für die Demonstranten daher auch nicht in Frage. Im Gegenteil: Um dem Protest zusätzlich Nachdruck zu verleihen, werden mittlerweile auch schon Aktionen gegen die wichtige Ölindustrie angedroht. "Wir werden bis aufs Blut kämpfen, damit die Regierung ihre Position überdenkt", sagt die Menschenrechtsaktivistin Patricia Nkom. "Unsere Kinder leiden, wir können die Schulgebühren nicht mehr bezahlen und unsere Familien nicht mehr ernähren. Die Entscheidung hat nie gekanntes Leid über uns gebracht."