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"Parteien verbindet in China-Frage mehr, als sie trennt"

Von Klaus Huhold

Politik

Politologe Gunter Schubert über Taiwans Strategien im Umgang mit Peking.


"Wiener Zeitung": Entscheidet das Thema China die Präsidentschafts- und Parlamentswahl in Taiwan?Gunter Schubert: Aus meiner Sicht ist das immer noch so. Aber es gibt eine Reihe von Beobachtern, die das anders sehen, weil durch die Politik der letzten Jahre die Relevanz dieser Auseinandersetzung zurückgeschraubt worden ist. Deshalb kann sich die oppositionelle Demokratische Fortschrittspartei angeblich stärker auf innenpolitische Probleme konzentrieren und damit stärker punkten. Ich persönliche glaube aber immer noch, dass diese Wahl ganz wesentlich eine Abstimmung über die China-Politik von Präsident Ma Ying-jeou (Kuomintang-Politiker, der auf Entspannung setzte, Anm.) werden wird.

Gunter Schubert ist Professor für Greater China Studies an der Universität Tübingen und Direktor des European Research Center on Contemporary Taiwan.

Wie weit liegen die Kuomintang und die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) in der China-Politik überhaupt auseinander?

In der Vergangenheit, unter Chen Shui-bian (Politiker der DPP, Präsident von 2000-2008, Anm.), ist es schon noch so gewesen, dass man große ideologische Unterschiede festmachen konnte, weil Chen viel stärker auf eine taiwannationalistische Strategie gesetzt hat, vor allem in der zweiten Hälfte seiner achtjährigen Amtszeit. Aber mittlerweile stellt es sich aus der Vogelperspektive so dar, dass beide Parteien in der China-Frage mehr verbindet, als sie trennt. Es gibt eine relativ kleine, aber lautstarke Gruppe innerhalb der Demokratischen Fortschrittspartei, die Taiwan als eigene, nicht-chinesische Nation definiert. Die Mehrheit ist aber am Status quo orientiert. Sie kann sich mit der Sprachregelung "Ein China, aber unterschiedliche Interpretationen, was China ist" gut abfinden und ist insofern nicht sehr weit weg von Mas Politik.

Aber das Verhältnis der beiden Parteien zur Regierung der Volksrepublik ist grundverschieden.

Ja. Der eigentliche Unterschied ist jedoch nicht ideologischer Natur, sondern liegt in der China-politischen Strategie. Und da setzt die Kuomintang auf einen Interaktions- und Integrationskurs, der für sie auch sicherheitspolitische Relevanz hat. Die DPP will mehr Distanz und lehnt eine Verpflichtung auf das Ein-China-Prinzip ab.

Und wie bestimmt China sein Verhältnis zu Taiwan?

Das hängt davon ab, wer in Taiwan an der Regierung ist. Aber auch China weiß, dass Taiwan eine Demokratie ist und dass ein von Peking bevorzugter Kuomintang-Kandidat eine Wahl verlieren kann. Die Volksrepublik stellt sich also auch darauf ein, dass Tsai Ing-wen von der DPP die nächste Präsidentin werden könnte. Peking wird aber bestimmt nicht von seiner wichtigsten Bedingung für bilaterale Gespräche abrücken: dass Taiwan sich zum Ein-China-Prinzip bekennen muss. Und wenn dies nicht mehr geht, dann kann ich mir vorstellen, dass bestimmte Gesprächskanäle wieder geschlossen werden.

Ist es nicht auch ein Dilemma für Taiwan, dass etwa wirtschaftlich China ohne Taiwan, aber Taiwan nicht ohne China kann?

Das betrifft ja nicht nur Taiwan, sondern auch alle anderen umliegenden Länder und eigentlich die ganze Welt. Wenn Taiwan nicht mehr so wichtig wäre für China, wäre das ja eigentlich nur gut für Taiwan, weil dann viel Spannung aus dem Kessel genommen würde. Da sollte man sich aber nichts vormachen. Zwar ist Taiwan in ökonomischer Hinsicht ein kleiner Fisch, aber ideologisch für die Volksrepublik von enormer Bedeutung. Taiwan ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstlegitimation der Kommunistischen Partei und man wird insofern auch nicht von dem Ein-China-Prinzip abrücken.

Können sich Politiker in Taiwan mit dem Modell "Ein Land - zwei Systeme", wie es China in Hongkong praktiziert, anfreunden?

Nein, dieses Modell hat in Taiwan überhaupt keinen Markt, und das über die Parteigrenzen hinweg. Aber die Volksrepublik will genau dorthin. China will eine spezifische Variante von "Ein Land - zwei Systeme", das Taiwan mehr Rechte geben soll als Hongkong. Im Prinzip ist dieses Modell das, was man unter Wiedervereinigung versteht.

Wie stark ist eine spezifisch taiwanesische Identität ausgeprägt?

Es gibt zahlreiche seriöse Erhebungen, in denen regelmäßig die Frage gestellt wird: Fühlen Sie sich eher als Taiwanese, Chinese oder als Taiwanese und Chinese? Der Anteil derjenigen, die sich nur als Taiwanese sehen, ging in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich nach oben und beträgt heute knapp 55 Prozent. Früher entfiel der größte Prozentsatz auf diejenigen, die sich gleichzeitig als Taiwanese und Chinese betrachteten. Er steht heute bei knapp 40 Prozent. Als Chinesen fühlen sich nur noch knapp 5 Prozent. Insofern gibt es eine taiwanesische Identität, aber es stellt sich die Frage, wie man diese definiert. Ich würde mal so sagen: Man versteht Taiwan mehrheitlich als Teil des chinesischen Kulturkreises. Aber eine Nation ist auch an einen Staat gebunden. Und wenn die Nation nicht nur kulturnationalistisch, sondern auch staatsnationalistisch definiert ist, dann bildet Taiwan eine eigene Nation, die sich entweder über die existierende Republik China oder über eine imaginäre Republik Taiwan definiert.