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Der Schatten Chinas liegt über Taiwans Wahl

Von Klaus Huhold

Politik

Wahlsieg der Opposition könnte Verhältnis zu Peking wieder aufheizen.


Taipeh.

Sie sind eine ständige Warnung an Taiwan. Mehr als 1000 Raketen soll die Volksrepublik China bereits auf die Insel gerichtet haben. Die Botschaft ist klar: Taiwan soll es ja nicht wagen, einen Schritt zu weit zu gehen und mit einer formalen Unabhängigkeit liebäugeln.

Auch wenn das Land sich selbst verwaltet und eine eigene Regierung besitzt, besteht Peking darauf, dass es nur ein China gibt und Taiwan Teil davon ist. Für die Volksrepublik ist Taiwan, wohin die chinesischen Nationalisten nach ihrer Bürgerkriegsniederlage gegen die Kommunisten in den 1940er Jahren geflohen sind, eine abtrünnige Provinz. Explizit festgehalten wurde das vom chinesischen Volkskongress im Anti-Sezessionsgesetz, das den Einsatz militärischer Mittel vorsieht, sollte Taiwan es wagen, sich staatsrechtlich loszulösen.

Ständiger Drahtseilakt

Das Verhältnis zu China ist für Politiker in Taiwan, das sich offiziell Republik China nennt, also ein ständiger Drahtseilakt. Und der Sinologe und Taiwan-Experte Gunter Schubert von der Universität Tübingen geht davon aus, dass dieses Thema auch die Wahl am Samstag für das Parlament und das Präsidentenamt entscheiden wird (siehe Interview).

Präsident Ma Ying-jeou von der regierenden Kuomintang-Partei, der sich um eine zweite Amtszeit bewirbt, verweist dabei darauf, dass das Verhältnis zu Peking selten so entspannt war. Tatsächlich hat es China diesmal unterlassen, seine Raketen auch ostentativ zu testen, wie dies schon einmal während eines taiwanesischen Wahlkampfes der Fall war. Auch auf scharfe verbale Drohungen verzichtete Peking während Mas Präsidentschaft. Stattdessen starteten 2009 die ersten direkten Linienflüge zwischen der Insel und Festlandchina, und 2010 wurde ein Wirtschaftsabkommen unterzeichnet, das etwa gegenseitige Exporte wesentlich erleichtert.

Seine Präsidentschaft hätte bewiesen, dass die Beziehungen zu China "nicht nur mit Risiken behaftet sind, sondern auch viele vorteilhafte Möglichkeiten bieten", betonte Ma im Wahlkampf. Der Harvard-Absolvent und ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Taipeh wirbt auch für einen Friedensvertrag mit China, der zu einer Entmilitarisierung der Meerenge von Taiwan führen soll.

Starke Abgrenzung
Mit seiner China-Politik grenzt sich Ma stark ab von seinem Vorgänger Chen Shui-bian von der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP), die eine wesentlich kritischere Haltung gegenüber Peking einnimmt. Der ehemalige Anwalt von Menschenrechtsaktivisten, der von 2000 bis 2008 an der Macht war, hatte mit seinen Unabhängigkeitsparolen in Peking ständig Zorn ausgelöst. Die Beziehungen waren derart angespannt, dass die Volksrepublik mehrmals mit einem Militärschlag drohte. Chen ging sogar so weit, dass er sich bei seinem Konfrontationskurs mit China nicht einmal um die Interessen der USA scherte.

Diese sind zwar die Schutzmacht von Taiwan, sehen es aber selbst lieber, wenn die Region stabil bleibt. Dass Washington den Einwohnern von Taiwan nun ausgerechnet kurz vor der Wahl Visafreiheit angeboten hat, wird als Unterstützung für den Kuomintang-Kandidaten Ma gewertet.

Gemäßigterer Kurs
Die DPP-Präsidentschaftskandidatin bei dieser Wahl, Thai Ieng-wen, ist sich aber laut Beobachtern bewusst, dass sich ihre Partei durch das Auftreten Chens viele Sympathien verspielt hat. Die Juristin wird als gemäßigter und auch als wesentlich sauberer als ihr Vorgänger Chen eingestuft, der mittlerweile wegen Korruption im Gefängnis sitzt.

Wie weit Tsai bei einem Wahlsieg Peking entgegenkommt, ist aber fraglich. Um Spannungen zu vermeiden, müsste sie jedenfalls die von Ma festgezurrte Grenze im Verhältnis zu China akzeptieren. Dessen Devise lautete: Es wird keine Wiedervereinigung mit China geben, aber auch keine staatsrechtliche Eigenständigkeit der Insel. Damit konnte Peking offenbar leben. Tsai vermied im Wahlkampf explizite Souveränitätsaussagen, kritisierte aber, dass man sich China zu sehr ausgeliefert habe.

Tsai und die DPP konzentrierten sich im Wahlkampf aber auch stark auf innenpolitische Themen, etwa auf die wachsenden Gräben in der Gesellschaft. Taiwan prosperiert zwar wirtschaftlich und hatte 2010 ein geschätztes Wachstum von 10,8 Prozent. Doch für die unteren Einkommensschichten werden Wohnungen immer unerschwinglicher. Aber auch hier kommt China ins Spiel. Die DPP kritisiert das von Ma mit Peking abgeschlossene Wirtschaftsabkommen. Bauern und Mittelstand in Taiwan würden auf lange Sicht gegen die chinesische Konkurrenz verlieren. Ob dem tatsächlich so ist, werden laut Beobachtern allerdings erst die nächsten Jahre zeigen. Derzeit würden viele Bauern von dem Pakt profitieren, was sich in gestiegenen Exporten zeige.

Großes Netzwerk
Überhaupt ist fraglich, wie weit die DPP bei Arbeitern und Bauern Stimmen von der Kuomintang abschöpfen kann. Denn die Kuomintang ist in diesen Schichten, etwa über Gewerkschaften, viel stärker vernetzt. Und generell besitzt sie eine größere Stammwählerschaft als die DPP. Deshalb wird die Kuomintang bei der Parlamentswahl favorisiert und hat Ma bei der Präsidentenwahl die größten Chancen. Das Zünglein an der Waage könnte aber James Soong werden. Der Kuomintang-Dissident hat noch eine Rechnung mit seiner alten Partei offen und tritt ebenfalls bei der Präsidentenwahl an. Er könnte Ma entscheidende Stimmen kosten.