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Rebellen, Hunger und NGOs

Von WZ-Korrespondent Philipp Hedemann, Klaus Huhold und Konstanze Walther

Politik

Das große afrikanische Land gehört zu den ärmsten der Welt.| Der Überfall auf Touristen facht Konflikt mit Erzfeind Eritrea neu an.


Addis Abeba/Wien. Die Täter standen schnell fest, zumindest für die äthiopische Regierung. Nach dem Überfall auf die Touristengruppe im Nordosten Äthiopiens, bei denen fünf Europäer, darunter ein Österreicher, getötet und vier Menschen entführt worden waren, zeigt die äthiopische Regierung sofort auf das Nachbarland und den Erzfeind Eritrea.

"Hinter dem Angriff steckt eine subversive Gruppe, die von der eritreischen Regierung trainiert und mit Waffen ausgerüstet wurde", verkündet Äthiopiens Regierungssprecher Bereket Simon. Auch der Zeitpunkt der Attacke ist für Simon kein Zufall: Eritrea wolle die Region vor dem Gipfel der Afrikanischen Union, der nächste Woche in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba beginnt, destabilisieren. Eritrea weist die Anschuldigungen brüsk zurück. "Das ist eine absolute Lüge und eine reine Erfindung", entrüstet sich der eritreische Botschafter bei der Afrikanischen Union, Girma Asmeron.

Schon im Jahr 2007 waren im äthiopischen Grenzgebiet zu Eritrea vier Briten und eine Französin und ihre acht einheimischen Begleiter von einer bewaffneten Gruppe gekidnappt worden. Die entführten Europäer wurden zwei Wochen später den eritreischen Behörden übergeben, die schon zuvor über deren Freilassung verhandelt haben sollen. Auch die acht Äthiopier wurden schließlich freigelassen.

Dass Eritrea einen engen Kontakt zu bewaffneten Gruppen in Äthiopien aber auch in Somalia unterhält, behauptet nicht nur die äthiopische Regierung, sondern sagen auch politische Beobachter. Internationale Diplomaten warnen jedoch davor, nach dem jüngsten Vorfall schon voreilige Schlüsse zu ziehen.

Säbelrasseln in Addis Abeba
Die Lage zwischen Äthiopien und Eritrea spitzt sich jedenfalls erneut zu – es droht gar ein bewaffneter Konflikt. "Äthiopien behält sich das natürliche Selbstverteidigungsrecht vor. Unsere Soldaten sind vor Ort", erklärt Regierungssprecher Simon. Noch hätten sie aber die äthiopisch-eritreische Grenze nicht überschritten.

Es wäre nicht der erste Waffengang in dieser Region. Äthiopien annektierte Eritrea nach dem Zweiten Weltkrieg. 1991 gelang es äthiopischen und eritreischen Rebellen gemeinsam, das damalige marxistische Regime in Äthiopien zu stürzen, zwei Jahre später erlangte Eritrea friedlich die Unabhängigkeit. Doch bald setzten Grenzstreitigkeiten ein, die 1998 schließlich in einem zweijährigen Krieg gipfelten. Äthiopien siegte militärisch, 70.000 Menschen starben. Bis heute sind sich die beiden Staaten spinnefeind.

Doch auch die bitterarmen Wüsten-Bewohner im Grenzgebiet, wo sich der Überfall auf die Touristengruppe ereignete, beklagen immer wieder, im Stich gelassen zu werden, und zwar von den Regierungen in Äthiopien und Eritrea. Die Lebensbedingungen in der Danakil-Wüste sind äußerst harsch, der britische Forscher Wilfred Thesiger bezeichnete die Region einmal als "wahre Todeszone". Es ist die heißeste Wüstenregion der Welt, die Temperaturen übersteigen oft 50 Grad Celsius. Das Gebiet wird hauptsächlich von Nomaden bewohnt. Immer wieder verendet wegen der Dürre ihr Vieh, Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria grassieren.
Zudem sind, vor allem auf äthiopischer Seite, auch Guerillagruppen aktiv, denen nachgesagt wird, mit der eritreischen Regierung zusammenzuarbeiten. Nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Der Übergang von Rebellen zu bewaffneten Banditen ist laut Beobachtern aber fließend.
<br style="font-weight: bold;" /> Unruhe in der Somali-Region
Es ist allerdings nicht der einzige Unruheherd in Äthiopien. Ein weiteres Konflikt-Gebiet ist die Somali-Region, auch Ogaden genannt. Ihre 4,4 Millionen Einwohner gehören großteils dem Volk der Somali an – und Somalia hat immer wieder Ansprüche auf die Region erhoben. In den 1970er Jahren herrschte deshalb ein Krieg zwischen Äthiopien und Somalia. Heute sind dort die Rebellen der Ogaden National Liberation Front (ONLF) aktiv, die auf ein Netzwerk von Sympathisanten zurückgreifen können und seit 2007 verstärkt Guerilla-Attacken gegen die äthiopische Armee lancieren. Die ONLF wird von moslemischen Somalis getragen, die sich überhaupt nicht Äthiopien zugehörig fühlen und sich in dem Land mit 80 Ethnien diskriminiert fühlen.

Äthiopiens Regierung, die von der christlichen Bevölkerung der Amharen dominiert wird, wünscht nicht zu viel internationale Aufmerksamkeit: Zwei schwedische Reporter waren im Juli in der Somali-Region festgenommen worden, wo sie über Menschenrechtsverletzungen recherchieren wollten. Sie wurden zu elf Jahren Haft verurteilt, hoffen aber auf ein Gnadengesuch.
<br style="font-weight: bold;" /> Gewaltsame Umsiedelungen
Aber nicht nur in der Somali-Region sind Menschenrechtsverletzungen gängig. Die in New York ansässige NGO Human Rights Watch hat zu Wochenbeginn gegen die gewaltsame Umsiedelung von zehntausenden Personen in der westlichen Gambela-Region protestiert. Das "Urbanisierungs-Programm" würde die Ethnien der Nuer und Anuak aus ihrem Gebiet vertreiben. Ohne ihre Subsistenzwirtschaft wären diese dem Hunger ausgesetzt, Entschädigungszahlungen seien von der Regierung nicht vorgesehen.

Human Rights Watch sowie ehemalige äthiopische Regierungsangestellte äußern den Verdacht, dass die Umsiedelung nicht so sehr Teil eines Armutsbekämpfungsprogrammes ist, obwohl dies die offizielle Regierungslinie ("Urbanisierung") ist, sondern vielmehr einer Geldbeschaffungsmaßnahme dient. Seit 2008 hat Äthiopien nämlich seit 3,6 Millionen Hektar Land an Investoren verpachtet, um Landwirtschaft für den ausländischen Bedarf zu betreiben. 42 Prozent der Fläche der Gambela-Region sind für Investoren als Agrarland vorgesehen. Das wirft mehr Geld ab, als die Subsistenzwirtschaft, die in dem Hungerland Äthiopien gang und gäbe ist. "Landwirtschaft wird unsere Wachstumsmaschine bleiben", heißt es dementsprechend 2010 in einem Memorandum zwischen Äthiopien und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der dem Land im selben Jahr 80 Millionen Dollar geliehen hat.
<br style="font-weight: bold;" /> Pseudo-Demokrat Zenawi
Der ehemalige Chefökonom der Weltbank und Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz ging in seinem Buch "Die Schatten der Globalisierung" 2001 scharf mit der damaligen Äthiopien-Politik des IWF ins Gericht – der Fonds würde den Fokus auf Steuererhöhungen und Privatisierungen legen anstatt auf Infrastrukturprojekte in dem Staat, der schon lange einer der am wenigsten entwickelten der Welt ist.

Seitdem hat der IWF zwar seine Politik gelockert, aber einige Grundsätze sind wohl noch nicht aufgehoben worden. An der Politik des seit 1991 regierenden Premier Meles Zenawi scheiden sich ebenfalls die Geister. Für Stiglitz ist er ein brillanter Ökonom, der damalige britische Premier Tony Blair lobte Zenawi als "Hoffnung für die Demokratie", doch intransparente Wahlen, gefolgt von Erdrutschsiegen, lassen Zweifel an dem Demokratie-Verständnis aufkommen. Andere Beobachter loben Zenawi noch immer dafür, dass er wenigstens für Beständigkeit und Stabilität sorgt. "Eine Demokratie nach westlichem Vorbild entsteht nicht von heute auf morgen", erklärt der britische Äthiopien-Kenner und Buchautor Peter Gill im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". In einer Gesetzesänderung vor zwei Jahren verunmöglichte Zenawi zwar praktisch die Arbeit für NGOs, die sich mit Menschenrechten beschäftigen. Jene NGOs aber, die sich um Aufbauarbeit und Infrastrukturprojekte im relativ sicheren Hochland – weit ab von den militärischen Brennpunkten – kümmern, werden mit allen Mitteln unterstützt.

Äthiopien ist seit langem Schwerpunktregion der österreichischen Entwicklungshilfe. Der Fundraising-Verband Austria schätzt, dass derzeit zehn bis fünfzehn österreichische Hilfsorganisationen im 88-Millionen-Einwohner-Staat Projekte verfolgen. Von der prominentesten Organisation, "Menschen für Menschen", heißt es auf Anfrage, dass deren Mitarbeiter noch nie bedroht oder überfallen worden sind.