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Gaddafis langer Schatten: In der Sahelzone wackeln Regierungen

Von Klaus Huhold

Politik

Libyer unterstützte Präsidenten und Rebellen - nun fehlen seine Ölgelder.


Tripolis/Khartum/Wien. Sie galten als die gefährlichsten Rebellen für Sudans Herrscher Omar al-Bashir: die "Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit" (JEM) aus Darfur, der im Jahr 2008 schon einmal ein militärischer Vorstoß bis knapp vor die Hauptstadt Khartum gelang und die dadurch das sudanesische Regime ordentlich ins Wanken brachte. Doch nun ist JEM schwer angeschlagen. Kürzlich wurde ihr Führer Khalel Ibrahim im Sudan bei einem Luftangriff der Armee getötet. Und schwer wiegt für die Rebellengruppe auch der politische Sturz und Tod eines anderen Mannes: Muammar Gaddafi. Denn dieser war zuletzt ein Gegner von Sudans Präsidenten Bashir und ein Förderer der JEM. Der derzeit herrschende libysche Übergangsrat will die JEM nicht mehr in Libyen sehen - die Rebellen haben damit ihr Rückzugsgebiet verloren.

Der Tod Gaddafis hat, nicht nur im Sudan, Auswirkungen über Libyen hinaus. "Ich bin der Führer der Führer Arabiens, der König der Könige Afrikas, der Imam aller Muslime", verkündete Gaddafi, dem wahrlich kein mangelndes Selbstbewusstsein zugesprochen werden konnte, 2009 auf einem Gipfel der Afrikanischen Union. Der brutale Diktator und Mann mit den Fantasieuniformen sah sich nicht nur als libyscher Revolutionsführer, sondern als Missionar Afrikas, der einem ganzen Kontinent die Richtung vorgibt. Dabei war er einmal Panarabist und dann wieder der Verteidiger Schwarzafrikas.

Libyens Diktator wechselte ständig seine Verbündeten

Und ständig setzte er seine Ölgelder ein, um in der Politik verschiedener Staaten mitzumischen. Das zeigte sich besonders in Ländern der Sahelzone, etwa in Mali, im Niger, im Tschad oder eben im Sudan.

Gaddafis Sprunghaftigkeit offenbarte sich exemplarisch im sudanesischen Darfur-Konflikt. Bevor er die JEM, eine schwarzafrikanischen Rebellengruppe, unterstützte, waren Mitglieder der erbittertsten Feinde der JEM in Libyen ausgebildet worden, nämlich der Janjaweed. Diese sind eine von der sudanesischen Regierung unterstützte, brutale arabische Reitermiliz.

Das Ende des Gaddafi-Regimes hat nun jedenfalls in der Sahelzone "ein Vakuum hinterlassen", sagt Gerald Hainzl vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der österreichischen Landesverteidigungsakademie. Denn das Netzwerk Gaddafis reichte weit - der Mann aus der Wüste unterstützte Institutionen der Afrikanischen Union, Regierungen und eben Rebellen, denen allen bald die Gelder Gaddafis abgehen könnten.

Nun werden mit dem politischen Wandel in Libyen die Karten in einer ganzen Region und vielen Ländern neu gemischt. Beispiel Mali. Hier kam es in der vergangenen Woche zu Kämpfen zwischen Regierungssoldaten und Rebellen der Tuareg-Volksgruppe, bei denen dutzende Menschen starben. Die Gefechte sind laut Beobachtern eine Folge des Libyen-Konflikts: Denn Tuareg, die auf Seiten Gaddafis gekämpft haben sollen, sind heimgekehrt und haben aus Libyen schwere Waffen mitgebracht.

Angst vor geballtem Aufstand der Tuareg

Die malische Regierung fürchtet nun, dass die Kämpfe nur der Vorbote eines erneuten geballten Aufstandes der Tuareg sind. Die Nomaden sehen sich diskriminiert und starteten in der Vergangenheit immer wieder Rebellionen gegen die Zentralregierung. Der größte Förderer der Tuareg-Rebellen war Gaddafi.

Doch auch in Mali zeigte sich die ganze Zwiespältigkeit seiner wankelmütigen Politik, deren Motive oft schwer zu durchschauen waren. Denn gleichzeitig war Gaddafi ein Partner der Regierung, ließ mit libyschem Geld Hotels oder Regierungsgebäude errichten. Mit dem gleichen Problem wie Mali ist auch der Niger konfrontiert, wo sich die an den Rand gedrängten Tuareg ebenfalls schon öfters gegen die Zentralregierung erhoben haben.

Und die Saaten der Sahelzone sehen auch noch eine ganz andere Gefahr auf sich zukommen: Die aus Libyen geschmuggelten und in die Region gespülten Maschinengewehre, Sprengstoffe und Raketen könnten nämlich auch der Al-Kaida im Maghreb (AQIM) in die Hände fallen. Diese ist bereits für die Entführung mehrerer westlicher Ausländer verantwortlich und soll vor allem in den Wüstengebieten von Mali, Niger oder auch in Mauretanien und Algerien ihr Rückzugsgebiet haben.

Ein Sprecher der AQIM verkündete bereits gegenüber einer mauretanischen Zeitung, dass die Organisation von den libyschen Waffen profitiere. Er blieb allerdings Beweise für seine Behauptung schuldig. Die betroffenen Regierungen, aber auch westliche Geheimdienste befürchten besonders, dass Boden-Luft-Raketen in die Hände von Terroristen gefallen sind, womit sie etwa Angriffe auf den zivilen Luftverkehr verüben könnten. Der Verbleib tausender dieser Raketen ist nach den Wirren des libyschen Bürgerkrieges unklar.

Die AQIM hatte Gaddafi immer verachtet und könnte nun also durch seinen Sturz erstarken. Ganz anders ist die Situation bei einzelnen Staatschefs, die Gaddafi nicht nur unterstützte, sondern in einem gewissen Sinne auch ausbildete. Der Präsident des Tschad, Idriss Deby, und der Präsident von Burkina Faso, Blaise Compaore, wurden in Gaddafis Revolutionszentrum im libyschen Benghazi militärisch geschult und erhielten ideologische Vorträge, die auf Gaddafis Grünem Buch basierten. Beide haben nun mit Gaddafi einen wichtigen Partner verloren und beide befinden sich in einer sehr heiklen Lage.

Ohne Gaddafi wird die Lage für Staatschefs unsicherer

In Burkina Faso hat erst im Frühjahr eine Meuterei von Soldaten Compaore um seine Macht zittern lassen - ein Aufstand, der jederzeit wieder losbrechen kann. Und Deby, der den Tschad mit harter Hand regiert, wird immer wieder von Rebellen bedrängt. Der tschadische Herrscher hatte dem libyschen Revolutionsführer auch dann noch die Treue gehalten, als sich schon fast die ganze Welt von den auch einstmals in EU-Ländern hofierten Diktator abgewandt hatte. Ein Umstand, den ihm die zukünftige libysche Regierung noch ankreiden könnte.

Generell können aber die Folgen von Gaddafis Sturz nicht genau abgesehen werden. "Es kann in den einzelnen Ländern zu Friedensverhandlungen kommen, genau so gut können aber auch Konflikte aufbrechen", sagt Hainzl. "Es wird sich erst in den nächsten ein, zwei Jahren zeigen, wie stark der Einfluss Gaddafis tatsächlich war."

Bemerkbar macht sich aber auf alle Fälle schon in einigen Ländern, dass nun die Finanzkraft Gaddafis fehlt. Denn er trat in Burkina Faso, Mali, Niger oder im Tschad auch als großer Geldgeber auf, ließ etwa Straßen und Bewässerungsanlagen bauen - Projekte, die nun zum Erliegen gekommen sind. Zudem sind in diese Sahel-Staaten zehntausende Gastarbeiter aus Libyen zurückgekehrt - teilweise ausgeraubt von den libyschen Rebellen, die oftmals einfache Gastarbeiter beschuldigten, Söldners Gaddafis zu sein. Diesen bitterarmen Staaten fehlen nun die Überweisungen aus Libyen und Arbeit für die Rückkehrer gibt es auch kaum. Auch das ist ein Zündstoff für Konflikte, die diese Länder destabilisieren könnten.