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Nigeria jagt ein Gespenst

Von Klaus Huhold

Politik

Was als Koranschule begann, wurde Nigerias gefährlichste Terrorgruppe.


Abuja/Wien. Es sind die typischen Insignien des Terroristen, mit denen Abubakar Shekau sich in einem Bekennervideo zeigt: Der vollbärtige Führer der nigerianischen islamistischen Terror-Sekte Boko Haram trägt eine schusssichere Weste und hat neben sich zwei Maschinengewehre aufgestellt. Mehre hundert Todesopfer haben die Anschläge der Fanatiker in Nigeria allein seit Weihnachten 2011 gefordert. Der Mörder Shekau spricht in einem vor zwei Wochen aufgetauchten Video davon, im Namen Gottes zu handeln und verhöhnt den christlichen Präsidenten Goodluck Jonathan wegen seines Glaubens.

Nun ist erneut eine Videobotschaft von Nigerias meistgesuchten Terroristen im Internet aufgetaucht: Darin übernimmt Shekau die Verantwortung für eine Anschlagserie in der nordnigerianischen Stadt Kano mit mindestens 185 Todesopfern und stößt eine Drohung aus. "Ich habe es angeordnet und werde diesen Befehl wieder und wieder geben."

Jonathan versucht nun, mit einer zweigleisigen Strategie gegen den Terror vorzugehen. Einerseits machte er Boko Haram ein Gesprächsangebot - wobei fraglich ist, ob die Radikalen mit der Regierung überhaupt verhandeln wollen. Andererseits mobilisierte er die Sicherheitskräfte, um die Terroristen, die vor allem im Norden Nigerias operieren, zu jagen. Mit Mohammed D. Abubakar wurde auch ein neuer Polizeichef eingesetzt.

Sekte unterwandert Staat

Doch fraglich ist, wie weit sich dieser auf seine Truppe verlassen kann. Jonathan räumt ein, dass Boko Haram Unterstützer im Sicherheitsapparat hat. Gleichzeitig ist die Verfolgung der Terror-Sekte auch die Jagd nach einem Gespenst. Zwar ist mit Shekau ihr Anführer bekannt, doch sonst operiert Boko Haram wie eine Geheimgesellschaft. Ist ein junger Mann Mitglied der Gruppe, weiß oft nicht einmal sein Vater Bescheid, berichteten laut der "Süddeutschen Zeitung" moslemische Führer aus dem Norden.

Als Boko Haram 2002 von dem Prediger Mohammed Yussuf gegründet wurde, agierte die Vereinigung noch offener. Sie war zunächst auch nicht mehr als eine Koranschule für Arme. Doch schon zwei Jahre später betrieb Boko Haram Terrorcamps. Viele Imame warnten vor der Gruppe, doch wurden sie vom Staat kaum beachtet. 2009 kam es schließlich in Nord- und Zentralnigeria zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der Boko Haram und Sicherheitskräften, bei denen mehrere hundert Menschen getötet wurden. Auch der Anführer der Radikalen, Yussuf, starb damals unter mysteriösen Umständen in Polizeigewahrsam, sein Nachfolger wurde Shekau. Seitdem wurde die Sekte, die mit ausländischen Terrorgruppen verwoben sein soll, immer gewalttätiger, ihre Anschläge folgten in immer kürzeren Abständen.

Feldzug gegen Christen

Ziele der Attentate sind gemäßigte Imame und Institutionen des Staates wie Polizeistationen oder Kirchen. Die Sekte hat zum Feldzug gegen Christen aufgerufen, ihre Mitglieder erschossen in den vergangen Wochen Christen während Messen oder sprengten wie in der Hauptstadt Abuja Gotteshäuser in die Luft.

Übersetzt bedeutet Boko Haram etwa "Westliche Bildung ist Sünde". Die Gruppe will den großteils moslemischen Norden Nigerias in einen radikalislamischen Staat verwandeln, ohne Christen, ohne aus dem westlichen Ausland übernommene Institutionen wie weltliche Schulen und ohne westliche Ausländer. Nun ist die Befürchtung groß, dass Boko Haram auch hinter der Entführung eines Deutschen steht, der am Donnerstag in Kano verschleppt wurde. Bis Freitag hatte sich aber niemand zu der Tat bekannt.

Die religiös motivierte Gewalt beschränkt sich aber nicht auf Boko Haram. So kommt es etwa in Jos in Zentralnigeria immer wieder zu brutalen Straßenschlachten zwischen Moslems und Christen oder gegenseitigen Überfällen auf Dörfern. "Bei diesen Konflikten spielen aber Armut, Korruption oder der Streit um Landbesitz eine mindestens ebenso große Rolle wie Religion", erklärt der Afrika-Experte Gerald Hainzl vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der österreichischen Landesverteidigungsakademie. Doch viele Konflikte würden in Nigeria entlang religiöser Trennlinien ausgetragen, sagt Hainzl. Und diese Trennlinien nutzen Fanatiker wie Boko Haram, um Mitglieder zu rekrutieren und den nigerianischen Staat an den Rand des Abgrunds zu treiben.